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UBER VOLKSTÜMLICHKEIT UND DIE MUSIK

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Wem bis jetzt nichts eingefallen ist, der hat, so er ein Texter oder Musiker des österreichischen, deutschen oder schweizerischen Volkes ist, für heuer seine große Chance verpaßt:

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Wem bis jetzt nichts eingefallen ist, der hat, so er ein Texter oder Musiker des österreichischen, deutschen oder schweizerischen Volkes ist, für heuer seine große Chance verpaßt:

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Mit Ende Jänner ist nämlich die Einreichfrist für den „Grand Prix der Volksmusik” abgelaufen. Gefragt waren Kompositionen, die die Länge von drei Minuten nicht übersteigen und deren Arrangements die volkstümliche Farbe nicht verlieren. In nächster Zeit wird sich eine Jury aus Experten für volkstümliche Musik an die Vorauswahl von fünfzehn Titeln machen. Dann hat das Volk das Wort:

„Der Sieger in der Fernsehsendung am 19. Juni 1993 wird durch einen repräsentativen Querschnitt von an volkstümlicher Musik interessierten Zuschauern ermittelt.” Diese Ausschreibungsbedingungen waren der , .Autorenzeitung'' der AKM, der Staat-lich genehmigten Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger in Österreich zu entnehmen, die diesen Wettbewerb gemeinsam mit ORF, ZDF in Deutschland und SRG/DRF in der Schweiz durchführt, und deren Engagement für eine Förderung österreichischer Musik in den Medien zweifellos an sich löblich ist.

Was dabei Jahr für Jahr herauskommt, wird in einer gigantischen Fernseh-Show präsentiert, die allerdings kaum darüber hinwegtäuschen kann, daß der Inhalt dünn ist. Schon seit der Einführung des „Musikantenstadls” im Jahr 1981 im Hauptabendprogramm des österreichischen Fernsehens regt sich der Widerstand gegen den billigen Ausverkauf rim Namen der Volksmusik.

Als für Juli 1991 der „Grand Prix der Volksmusik” in Innsbruck geplant war, dem auch noch ein „Tag der Volksmusik” angeschlossen werden sollte (Vision des verantwortlichen Medienmanagers Hans R. Beierlein,

München: „Wir fassen uns alle an den Händen, brennen Wunderkerzen ab und singen: ,So ein Tag, so wunderschön wie heute'.”) bildete sich die „Szene Tirol” empörter Kulturleute, fand Unterstützung auf breiter Basis und erreichte die Umbenennung der Abschlußshow für Österreich in „Grand Prix der volkstümlichen Musik”.

„Volkstümlicher” Kitsch

Man hat also aufgemuckt und ein kleines Zeichen gesetzt, mit dem in Zukunft wenigstens in der öffentlichrechtlichen Wortwahl die „Volksmusik” als regionaltypische Kunstgattung unterschieden werden wird vom „volkstümlichen” Heimatkitsch. Das gilt allerdings nur für Österreich und die Schweiz. Im Zweiten Deutschen Femsehen hält man aus Gründen der besseren Werbewirksamkeit fest an der Bezeichnung „Grand Prix der Volksmusik”. Kulturforscher orten hier den „Warencharakter” der Musik und einen eklatanten Etikettenschwindel, der weltweit in allen Mediengesellschaften, vorzugsweise in Tourismusländern zu beobachten ist.

Ich blättere in den Notenheften von „Koch International”, einem Musikverlag in Elbi-genalp:

„Ein Lied der Berge aus meiner Heimat erklingt im letzten Abendrot. Es soll dir sagen: Liebe die Heimat! Ja es ist wie ein Gebot!” / „Host a bisserl Zeit für mi? Zeit für uns zwoa! Laß mit net im Leb'n steh'n, laß mi net alloa. Host a bisserl Zeit für mi, du red' ma uns aus. I hob dir so viel zum sag'n, komm endlich wieder z'Haus!” (Siegertitel des „Grand Prix 1991”).

„Der Habe Gott muß a Tiroler (Cowboy) sein, der schenkt uns mehr als Musig und an Wein! Statt Halleluja singenmir: Dullje! Ja.sagt'smirLeut, is des nit schee?”/„Der Winter ist mei Jahreszeit, da staub ich dann ins Tal, der Wintersport, der ist für mich schon lang mein Kapital! Ich zeig den Frau'n wie's Schifahr'n geht und manches noch dazu, so komm ich fröhlich durch das Jahr, ich weiß schon, was ich tu! 1.000 Kisses für die Misses aus den fernen USA”.

In ästhetischer Hinsicht sind solche Texte geradezu ein Lehrstück für Trivialliteratur: Es geht um die Vermittlung ganz bestimmter Einstellungen und Verhaltensweisen, der Konsument wird „indoktriniert”. Der Zweck des trivialen Werkes liegt nicht im Werk selbst, es fördert den distanzlosen Genuß, eine stimmungsgetragene, ichbezogene Haltung. Die Texte sind Wirklichkeitsverfälschung mit „Zwangsharmonisierung” im „happy end”. Der oberflächliche Wirklichkeitsbezug erlaubt zwar, sie wie zeitgeschichtliche Dokumente zu lesen, verzichtet aber auf psychologische Begründungen menschlichen Handelns und auf dessen Einbettung in größere gesellschaftliche Zusammenhänge.

Maßstab: Einschaltziffern

Anstelle der organischen Einheit des klassischen Kunstwerkes tritt die Kumulation der auf Wirkungen des Augenblicks zielenden Reize, die Auswechselbarkeit der Episoden, die Beliebigkeit der gesamten Struktur. Bekanntes und Gewohntes wird klischeehaft reproduziert und bestätigt den Erwartungshorizont der Konsumenten, anstatt ihn zu erweitern.

Soweit die Trivialliteraturforschung, die allerdings angesichts der massenhaften Verbreitung von Texten, wie den oben zitierten, inzwischen von deren rein ästhetischer Bewertung abgerückt ist und ihr soziologisches Instrumentarium auspackt.

Das heißt, daß an des internationalen Kochs Angeboten die Texte selbst viel weniger interessant sind, als beispielsweise die Tatsache, daß dieser Verlag - wie alle andern in der Branche - Disketten anbietet mit den „Studio Original-Songs” im Sequen-zerformat, die man - im Fall eines Bühnenauftrittes - nur noch in den Computer zu schieben braucht, um die vollständige Begleitmusik für den Gesang zu haben. Singen muß man allerdings noch immer selber, und ein bißchen auf dem Keyboard mitzufin-gem, macht sich auch gut.

Bleibt noch die Frage, welche Kriterien die „Experten” in der Jury des „Grand Prix der Volksmusik” für ihre Auswahl anlegen. Denn wie die „Stimme des Volkes” reagiert, wissen wir, es wird uns von Medienumfragen oft und gerne bestätigt: mit Einschaltziffern in Millionenhöhe. Hinter die Bedürfnisse zu schauen, die zuerst erzeugt und dann oberflächlich befriedigt werden, ist nicht Sache der Medien.

Vor einigen Tagen war ich bei der „Stimme des Volkes” in Gestalt eines alten Zitherspielers im Zillertal, einem Mann voll Humor und Lebenslust und feinsinniger Musikalität. Als die Rede kam auf kommerzielle Unterhaltungsmusik, meinte er so beiläufig, ohne Zynismus und ohne Resignation, es müsse eben auch Musik geben für Unmusikalische. Mir scheint, er hat die Sache auf den Punkt gebracht.

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