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Uberangebot an Pfarrern?

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Fünf und mehr Theologen, die sich um eine Pfarrstelle bewerben; arbeitslose Pfarrer, die stempeln gehen müssen - das sind keine Wahnvorstellungen einer vom Personalmangel zermürbten Kirchenleitung. In manchen evangelischen deutschen Landeskirchen ist diese Situation bereits eine Realität. Nachwuchssorgen einmal anders — das gilt auch für die Evangelische Kirche in Österreich.

Die Tatsache scheint so ungewöhnlich, daß sie Schlagzeilen in den Tageszeitungen wert ist: Eine Kirche hat zu viele Pfarrer. Waren vor zehn Jahren an die hundert Studenten an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien, der einzigen österreichischen Ausbildungsstätte für evangelische Theologie, inskribiert, so sind es heute über 200. Auch die Zahl der Studenten, die durch die Eintragung in die sogenannte Theologenliste bei der Kirchenleitung ihre Absicht deponieren, in den Dienst der Evangelischen Kirche in Österreich treten zu wollen, ist in den letzten Jahren um über 100 Prozent gestiegen. Den rund 50 Bewerbern im Jahr 1975 standen Anfang 1985 103 gegenüber.

Untersuchungen über die Gründe dafür liegen nicht vor. Der - gelegentlich zitierte—nicht vorhandene Zölibat wird es wohl kaum sein. Durften doch evangelische Pfarrer auch vor zehn und zwanzig Jahren, also in Zeiten akuten Pfarrermangels, heiraten. Schon eher liegt der Trend zum Pfarrerberuf in der allgemeinen Entwicklung der Abkehr vom rein materialistischen Denken und in der Suche nach Sinn im Leben.

In den kommenden Jahren ist mit einer Zunahme von jährlich zehn Pfarrern zu rechnen, aber nur zwei bis drei werden pro Jahr in Pension gehen. Die nicht einmal 30 derzeit noch unbesetzten Pfarrstellen, von denen ein Teil mit den in Ausbildung befindlichen Vikaren besetzt wird, werden also in drei bis vier Jahren einen Pfarrer haben. Spätestens dann müssen Kirchenleitung und Gemeinden Wege und Mittel gefunden haben, um arbeitslose Theologen zu verhindern.

Die erste Maßnahme hat die Kirchenleitung bereits Anfang 1984 gesetzt. Die Aufnahme ausländischer Theologen wird seither konsequent abgelehnt, um dem eigenen Nachwuchs die Stellen freizuhalten. Immerhin ist es das erste Mal in der Geschichte der Evangelischen Kirche in Österreich, . daß ausreichend Theologen aus dem eigenen Bereich kommen. Aufgrund der großen Zahl der Nachwuchstheologen bedeutet dieser Beschluß nur eine „Vertagung” des Problems.

Ähnliches ist auch von der nun geplanten Maßnahme zu erwarten. Die evangelischen Theologen sollen nicht wie bisher nach der zweijährigen Ausbüdungszeit (Vikariat) das Recht auf Bewerbung um eine Pfarrstelle erhalten, sondern erst nach drei weiteren Jahren, in denen sie als ordinierte Vikare in einem provisorischen Dienstverhältnis zur Kirche stehen. Eine entsprechende Bestimmung besteht bereits, wurde jedoch in Zeiten des Pfarrermangels nicht angewendet. Nun soll die Generalsynode, das gesetzgebende Gremium der evangelischen Kirche, bei einer Tagung am 18. Juni 1985 in Wien diese Bestimmung für alle verbindlich machen.

Der Vorteü: Innerhalb der fünf Jahre können die Vikare einer bestehenden Stelle zugeteüt werden. Weniger attraktive Stellen können durch Zuteüung besetzt werden. Die Gründung neuer Stellen ist noch nicht notwendig. Die Kirchenleitung hat für die definitive Aufnahme eine längere Zeit, um die Eignung eines Theologen für den Pfarrdienst beurteilen zu können.

In den personalpolitischen Möglichkeiten dieser Regelung und in der ungesicherten Stellung der Vikare sehen die Kritiker dieser Bestimmung aber auch ihre Nachteile. Zu rechnen ist bei der Generalsynode daher auch mit anderen Anträgen, etwa dem, die Ausbildungszeit von zwei auf drei Jahre zu erhöhen, danach Ordination und Recht auf Pfarrstellen-bewerbung.

Wie auch immer die Synode entscheiden wird, ausreichend wird keine der getroffenen Maßnahmen sein. Was getan werden müßte: Schaffung neuer Pfarrstellen auf Gemeindeebene (noch immer gibt es in Großstädten Gemeinden mit 10.000 und mehr Mitgliedern) und in überregionalen Arbeitsgebieten (z. B. Jugendarbeit, Familien- und Eheberatung, Krankenhausseelsorge u. v. a.) sowie Ermöglichung der Teilzeitarbeit. Kein Zweifel, daß genügend Arbeit für alle da ist. Das größte Problem letztlich ist, ob auch das Geld für die Bezahlung reicht. Aber die Chance, ausreichend Mitarbeiter zu haben, um die man jahrelang gebetet hat, sollte nun auch positiv genützt werden. PAUL WEILAND

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