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Ubernation in Europa

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FURCHE: Kann man sagen, daß Sie als Teil einer Jahrhundert-Einwanderungswelle nach Österreich gekommen sind?

MILO DOR: Ich bin mit der großen Welle nach Österreich gekommen, die Hitler verursacht hat, im Sommer 43 in einem bewachten Zug aus einem Lager in Belgrad als Zwangsarbeiter nach Wien. Es hat damals hier Zwangsarbeiter aus Frankreich, Jugoslawien, der Tschechoslowakei, Polen, Rumänien, Bulgarien und auch Griechenland gegeben, Hunderttausende, die meisten sind nach 1945 in ihre Heimat zurückgekehrt. Zum Beispiel die Franzosen in ihre freie Heimat. Die in die kommunistischen Länder nicht zurückkehren wollten, sind hier geblieben. Dazu kamen, auch dies eine Folge von Hitlers Krieg, die vielen Volksdeutschen, die man zwangsweise ausgesiedelt hat.

FURCHE: Wie beurteilen Sie den Beitrag dieser Menschen zu dem, was Österreich heute ist - wirtschaftlich, aber auch zur österreichischen Identität?

DÖR: Sie haben das Schicksal aller Österreicher geteilt, haben den Schutt weggeräumt und langsam begonnen, ihre Existenz aufzubauen und sind Österreicher geworden. Es war eine Fortsetzung der früheren, freiwilligen Zuwanderungen aus aller Herren Länder, die zur Monarchie gehört haben. Wie alle anderen haben sie zu dem beigetragen, was Österreich heute ist.

FURCHE: Wie wurden Sie aufgenommen, werden Sie heute als Österreicher voll akzeptiert?

DOR: Man hat mich ein bißchen schief angeschaut, weil alle anderen in ihre Heimat zurückgekehrt sind, aber die Jugoslawen waren damals stalinstischer als die Stalinisten, deswegen bin ich hier geblieben. Aber mit der Zeit hat man sich an mich gewöhnt, ich konnte ganz gut Deutsch sprechen, ich habe in Wien studiert, habe meine Freunde, und mit der Zeit sah man in mir den Österreicher, der ich immer war. Manchmal gibt es in verschiedenen Bundesländern doch noch Leute, die in mir einen Fremden sehen, der sich unbefugt in die österreichischen Angelegenheiten einmischt. Aber ich kann mich mit vollem Recht als Österreicher betrachten.

FURCHE: Fühlen Sie sich auch als Österreicher?

DOR: Selbstverständlich, und zwar im Sinne eines größeren Österreich, das viel größere Räume umfaßte, es war ein Schmelztiegel der Nationen. Deshalb wundert es mich, daß manche unserer Landsleute ihre wahre Identität noch immer nicht erfassen. Wir - meine Familie - sind aus allen Völkern zusammengesetzt, die einmal in der Monarchie gelebt haben. Meine Eltern haben neben der serbokroatischen Muttersprache fließend Deutsch und Ungarisch gesprochen, meine Vorfahren sind vor den Türken nach Österreich geflohen, haben im Erbfolgekrieg am Rhein gegen die Preußen für die österreichische Krone gekämpft, Österreich ist eine Übernation mitten in Europa.

FURCHE: Ist nach so langer Zeit etwas vom kritisch distanzierten Blick des Zuwanderers auf die hiesige Realität geblieben?

DOR: Sicher. Aber nicht, weil ich mich als Fremder fühle. Weil ich ein Intellektueller bin, der auch zu sich selbst eine gewisse Distanz wahrt, sehe ich alles mit einem kritischen Blick. Aber das heißt: Ich möchte etwas Besseres aus meinem Land machen, als es ist.

Mit Milo Dor sprach Hellmut Butterweck.

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