7072759-1993_07_09.jpg
Digital In Arbeit

UBERSCHAUBAR UND WELTLÄUFIG

19451960198020002020

Auch Felix Mitterers „Piefke-Saga” hat jene unbestimmbare Sehnsucht nach „Heimat” und ländlicher Geborgenheit angesprochen, deren Wiedererwachen an der steigenden Beliebtheit von Blasmusik und Trachtenumzug, von Bauerntruhen und Kreuzstichdeckerl abzulesen ist -Was steckt dahinter?

19451960198020002020

Auch Felix Mitterers „Piefke-Saga” hat jene unbestimmbare Sehnsucht nach „Heimat” und ländlicher Geborgenheit angesprochen, deren Wiedererwachen an der steigenden Beliebtheit von Blasmusik und Trachtenumzug, von Bauerntruhen und Kreuzstichdeckerl abzulesen ist -Was steckt dahinter?

Werbung
Werbung
Werbung

In den Begriff „Heimat” scheint alles eingeflossen zu sein, was Menschen an Sentimentalität und Nostalgie aufzubringen vermögen, von weit zurückliegenden Kindheitsträumen bis zu diffusen Zukunftserwartungen, wo der Rückzug in die Vertrautheit und Überschaubarkeit des Grätzls, des Dorfes oder der Kleinstadt ein, wenn auch häufig nur vermeintliches, Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit entstehen läßt.

Im Deutschen kommt dazu, daß kaum ein Begriff so gebraucht und mißbraucht wurde wie der der Heimat: Die Heimat wurde „geschützt”, vor „Verjudung” und „Entartung”, vor „Asphaltliteratur” und „Negermusik”, vor „Überfremdung” und „Verschan-delung”. Zahlreiche Wissenschaften, von der Volkskunde bis zur Raumordnung, und viele Bereiche der Kultur, vom Heimatroman bis zum Heimatfilm, haben das Wort suspekt gemacht und in die Nähe rassistischer und imperialistischer Ziele gebracht. Die Bilder gleichen sich, heute wie gestern, vom Volk ohne Raum zu den ethnischen Säuberungen: Haß, Krieg, Vertreibung, Mord, Ausrottung -Mobilisierung der letzten Reserven mit den diffusen Stereotypen der Heimat und des Nationalgefühls.

Geschäft mit der Heimat

Heimat ist in vielerlei Form wieder gesellschaftsfähig geworden. Das betrifft nicht nur geschäftstüchtige Stadelmusikanten, die die Hitlisten der Rundfunk- und Fernsehanstalten stürmen, und junge Volksmusikanten, die alte, gesellschaftskritische Funktionen der Volksmusik wiederbeleben. Wir erleben einen Boom der Heimatmuseen und Flohmärkte, der regionalen Dialekte und bodenständigen Küchen, der autonomen Bewegungen und basisnahen Initiativen.

Die Bürgernähe als neuer politischer Begriff richtet sich gegen den Zentralismus und die Bevormundung durch moderne Bürokratien, gegen große Einheiten und nivellierende Tendenzen, gegen Anonymität und Vermassung. Die Grün-Bewegungen, und nicht nur sie, fordern regionale Identitäten und überschaubare Strukturen. Heimat ist generell zu einer politischen Grundstimmung geworden, die Autonomiebewegungen und Regionalinteressen Platz bietet.

Sind hier Chancen enthalten, über den Mißbrauch, der mit dem Heimatbegriff so häufig verbunden war, hinauszukommen, oder fordert die Heimat neuerlich tragischen Tribut? Wird durch die Nähe zu den Betroffenen Kompetenz vermittelt, oder entsteht ein neuer Kirchturmshorizont, der die gewählten Entscheidungsträger letztlich völlig immobil macht? Wird die multikulturelle Gesellschaft der Regionen Wirklichkeit, oder steht wiederum das Gespenst des Nationalismus auf, blutig und direkt in Ost- und Südosteuropa, verhaltener in Westeuropa, und von uns nicht wahrgenommen, aber nicht weniger massiv, in der Dritten und Vierten Welt?

Heimat ist der Gegenbegriff zur Fremde. Heimat ist das Haus, das „Heimatl”, die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde, in der man im Regelfall geboren war und durch Besitz das Heimatrecht erworben hatte. Die Besitzlosen waren heimatlos. Sie, die Durch- und Zuwanderer, die Zigeuner und Juden, die Fremden und Unbekannten, die Städter und Kapitalisten, wurden von den Seßhaften als Bedrohung empfunden.

Auf Francois Quesnay, den Begründer der ökonomischen Denkschule der Physiokraten, geht die Vorstellung zurück, in den Kapitalisten Leute zu sehen, „die weder König noch Heimat kennen”. Man braucht nur Peter Roseggers Bauernromane und Heimaterzählungen zu lesen, um genug zu erfahren von der Angst vor dem Einbruch des städtischen Kapitals in die Waldheimat. Als der deutsche Kaiser 1895 die Arbeiter als „vaterlandslose Gesellen” bezeichnete, knüpfte er an diese Vorstellung von der Heimatlosigkeit an, die für die Arbeiter traurige Realität war und der Arbeiterbewegung zum Programm ihrer Internationalität wurde: „Unsere Heimat ist die Welt: Wo wir Menschen sein können, ist unser Vaterland.”

Der ganzen Welt als der wahren Heimat des Menschen hatte das Christentum die Vorstellung von der irdischen Heimatlosigkeit und vom Jenseits als der wahren Heimat entgegenzusetzen. Des Menschen Leben sei eine Pilgerreise: „Wir sind nur Gast auf Erden...” „Mein Heimat ist dort droben”, heißt es in einem Kirchenlied von Paul Gerhardt aus dem Jahr 1666.

Der Ausdruck „international”, der im 18. Jahrhundert das ältere „kosmopolitisch” abzulösen begann, signalisiert das Ende des christlichen Universalismus und den Aufstieg der Nationalismen. Der zum Weltbürger gewordene Mensch ist Idee geblieben. Die Aufklärung hat den Nationalstaaten die Bahn geebnet. Die Industrialisierung hat unsere Welt zwar kleiner und uniformer gemacht. Aber statt Fortschritte in Richtung einer universellen Heimat zu machen, waren nationale Enge und vielfache Heimatlosigkeit die Folge.

Internationali-tät wurde zum Programm und Schimpfwort. Man sprach von der sozialistischen Internationale der Arbeiter, der „schwarzen Internationale” der Kirche und der Jesuiten, von der „goldenen Internationale” der häufig als „jüdisch” apostrophierten Kapita-listenklassej, von der „blauen” Internationale des Hochadels, von der Internationale des Freimau-rertums. Heimat wurde immer mehr zum Klischee für schöne, unberührte, höchstens durch die sorgsame Pflege des Landmanns veredelte Natur, für verträumte Dörfer im altdeutschen Stil, fern von allen äußeren Zeichen der Industrialisierung. Die Romantik verklärte die altständische Gesellschaft und verbrämte sie zu einer heilen Welt, wo die Wälder rauschten und die Bächlein gluckerten, bevölkert von schwarzen Wildschützen und reichen Erbbauern, von reschen Dirnen und alternden Dorftrotteln, wo der Sog der

Großstädte, dieser Wasserköpfe der Zivilisation, die biederen und zufriedenen Landbewohner in eine unsichere Zukunft lockt.

Heimat - das waren nunmehr Fachwerkhäuser, Bräuche, Trachten. Die Erhaltung der Heimat wurde auf ganz wenige Bereiche und Reservate eingeengt, während gleichzeitig das Leben einem rücksichtslosen Zerstörungsprozeß anheimfiel.

Die Kulturkritik bekam damit eine merkwürdige Schlagseite. Aus einem diffusen Unbehagen an der Moderne heraus wurden die kulturlosen Massen der städtischen Ballungsgebiete und ihre Massenproduktion zum Hauptpunkt der Kritik. Übersehen wurde, daß auch die Versatzstücke der Heimat als Massenprodukte von der Stange geliefert wurden: die Heimatlieder und Heimatschlager, die Heimatromane und Heimatfilme, die Trachten und Heimatstilhäuser.

Der Nationalsozialismus machte Industrialisierungskritik und Heimatsehnsucht deckungsgleich mit der Beschwörung eines in der Scholle wurzelnden Bauernstandes. Heimat, verstanden als Einheit von rassisch geschlossenem „Volk” und diesem eigenen, von ihm gestalteten „Boden”, wurde zum Vorwand für imperialistisch-räuberische Ziele, die für so viele in den Verlust der Heimat mündeten.

Neues Heimatbewußtsein

Heimat existiert konkret oder gar nicht. Heimat ist dort, wo Provinzia-lität durch Weite des Horizonts konterkariert wird. Eine Heimat, wo Flüchtlinge, Asylanten und Gastarbeiter ausgeschlossen werden, hört auf, Heimat auch für die dort Ansässigen zu sein. Heimat kann nur als Synonym für Menschlichkeit bestehen, die keine Grenzen kennt. Die Exilierten und Vertriebenen, die Weltläufigen und Ausfahrer haben die Aufgabe, daß Heimat nicht zu Pro-vinzialität verkommt. Heimatverbundenheit und Weltbürgerlichkeit dürfen einander nicht ausschließen, sondern müssen sich ergänzen und aus einander herauswachsen.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte der Universität Linz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung