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Über das Fernweh

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Auf der einen Seite verfrachten die Charterflieger immer mehr Menschen zu immer weiter entfernten Urlaubszielen. Auf der anderen Seite wissen dort viele Leute auch nicht mehr anzufangen als daheim: Hunderttausende Menschen liegen zehntausende Kilometer von ihren Heimen in der Sonne und suchen nicht den Kontakt zu Menschen und Kultur ihres Urlaubslandes. Der Psychologe Wilfried Daim geht ihren Motiven auf den Grund, der Journalist Georg Wailand bricht eine Lanze für Österreich als Urlaubsland auch der Österreicher.

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Auf der einen Seite verfrachten die Charterflieger immer mehr Menschen zu immer weiter entfernten Urlaubszielen. Auf der anderen Seite wissen dort viele Leute auch nicht mehr anzufangen als daheim: Hunderttausende Menschen liegen zehntausende Kilometer von ihren Heimen in der Sonne und suchen nicht den Kontakt zu Menschen und Kultur ihres Urlaubslandes. Der Psychologe Wilfried Daim geht ihren Motiven auf den Grund, der Journalist Georg Wailand bricht eine Lanze für Österreich als Urlaubsland auch der Österreicher.

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Die Tatsache, daß immer mehr Leute im Urlaub in immer weitere Feme zu fahren trachten, läßt die Frage nach den Motiven auftauchen, die die Menschen so weit weglocken.

Vorauszuschicken ist, daß man, sobald man ein solches Problem psychologisch zu klären sucht, von vornherein damit rechnen muß, einer ganzen Reihe von Pro- und Kontra-Motiven zu begegnen, einer sogenannten „Motivationsbatterie", wobei das jeweils vernünftigste Motiv oft weit hinter fragwürdigen Motivationen zurücktritt. Weiter muß man damit rechnen, daß nur ein Teil der Motivationen bewußt, ein Großteil jedoch unbewußt ist.

Ein solcher Aufsatz kann natürlich nicht eine umfangreiche methodisch aufgezogene Studie ersetzen, es kann sich nur um unvollständige Angaben handeln.

Zunächst, um ein vergleichsweise edles Motiv zu nennen: Der Bildungsdrang. Denn Reisen relativiert die ursprüngliche Lebensbasis. Man lernt die Vielfalt der Ausprägung menschlichen Lebens kennen. Um es ganz primitiv zu sagen: Man sieht, daß Straßenbahnen nicht, wie in Wien, rot sein müssen, daß man ganz andere Dinge essen kann, daß es konkret ein anderes Klima gibt, andere Religionen, andere Baustile und so fort.

Damit relativieren sich eine Menge Selbstverständlichkeiten und verlangen, verarbeitet zu werden. Man ist nicht der Nabel der Welt, es gibt noch andere, die sich auch als Mittelpunkt betrachten. Dieses Motivationsbündel ist sicherlich das edelste und vernünftigste.

Sicher, man kennt auch schon-allerdings oberflächlich - die Gebiete, die einem näher liegen. Allerdings laufen die auch nicht weg. Das Fliegen wird sprunghaft teurer, so ist es besser, jetzt noch weit zu reisen, solange man es sich noch leisten kann ...

Hinzu kommt allerdings, daß die Länder in der Nähe längst ihre „Exklusivität" verloren haben. Fährt nicht Herr Hinz und Frau Pospischil nach Lignano oder nach Dalmatien, ja nach Spanien und Griechenland? Ihnen will man nicht begegnen, wenn man „mehr" sein will.

Da schon lieber nach Afrika und Südamerika. Da ist man zwar auch nicht mehr „unter sich", aber doch noch mehr. Es gibt also die Sehnsucht, es den alten Aristokraten nachzumachen und damit zu den Exklusiven zu gehören; und wenn man schon keine echte Elefanten- oder Löwenjagd mitmachen kann, so wenigstens eine „Fotosafari", eine unblutige Jagd.

Dieses Prestigemoment ist sehr wichtig, es verleiht die Vorstellung, „herausgehoben" zu sein aus der Menge der gewöhnlichen Menschen, die sich nur in Spanien oder Griechenland herumtreiben. Man will sich in „besseren Kreisen" bewegen, auf die anderen herabsehen und, wenn man zurückkommt, auch damit „angeben" können. Dieses Moment ist außerordentlich wichtig.

Ein Weitgereister, ein Flugroutinier, hat einen weiten Horizont und vermag sich blasiert über jene zu erheben, die nur die Insel Rab öder Lignano besuchten. Und, das wurde ja schon angedeutet, man weiß nicht, wie lange man das alles noch kann. Die Energiezange ist nur eine Seite der Sache. Längst ist der Glaube auch nur an eine relativ kurze Zeit friedlicher Entwicklung einer sehr skeptischen Betrachtung der Zukunft gewichen. Kommt nicht bald „der große Kladderatsch", ja eine vom Menschen ausgelöste Apokalypse?

Da gibt es so etwas wie den „Tanz auf dem Vulkan", den Drang nach einem übersteigerten Leben. Man kann wenig tun für die Zukunft. Man ist ausgeliefert, die „Insel der Seligen" ist ein Kork auf bewegtem Wasser, mehr nicht. So schafft man sich jetzt einen Genuß, den kann einem niemand wegnehmen. Denn die Zukunft ist düster verhangen.

Ich kenne einen konkreten Fall, wo ein Mann unter anderem deshalb große Summen für Reisen ausgibt, um nicht für sein erspartes Geld auch noch Vermögenssteuer zahlen zu müssen, die er als Strafe fürs Sparen ansieht. Ehe er sich von der Finanz auch noch am Vermögen schröpfen läßt, fährt er lieber auch noch nach China und Südamerika.

Hier steckt auch noch so etwas darin wie „verkauft's mei' G'wand, i fahr in Himmel". Eine weitere Geldentwertung wird einem noch mehr wegnehmen. Und auch der Sozialstaat steht in Frage.

Der Kulturpessimismus ist recht bewußtseinsnah und er fördert eher den Lebensexzeß. Man weiß sich weitgehend an Kräfte ausgeliefert, denen man nichts entgegenzusetzen hat. Während sich die Entwicklung ja schon lange abzeichnete, ist durch Moskaus brutalen

Griff nach Afghanistan klar geworden, daß das „Gleichgewicht des Schrek-kens" nur dann funktioniert, wenn jede der beiden Seiten lieber bereit ist, eine Apokalypse auszulösen, als dem anderen noch einen weiteren „Fußbreit Bodens" zu überlassen. Wenn man da zu blinzeln beginnt, ist es aus. Da muß man dem anderen den Sieg überlassen.

Und in dieser Verstrickung, in der fünfzigfachen „overkill capacity", flüchtet man in die Hysterie, in übersteigertes

Leben, will noch recht fest genießen, bevor es zum immer wahrscheinlicheren totalen Zusammenbruch kommt.

Und wegen einer solchen Ferienreise läßt man nötigenfalls auch ein Kind abtreiben, das „ohnehin nichts Gutes zu erwarten hätte". Das Sparen lohnt sich nicht mehr, das Geld auf den Banken behält im besten Fall seinen Wert. Zukunftsvorsorge ist problematisch, also

Genuß hier und jetzt. Und zum wahren Genuß.gehört auch die Arroganz der Exklusivität.

Es mag auch gar nicht gesund sein, so weit zu reisen. Aber was bedeutet schon langfristig Gesundheit? Um es zu wiederholen: All das erhebt keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit. Ganz im Gegenteil. Aber ganz wesentliche Punkte wurden zweifellos berührt.

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