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Über die eigenen Schwächen lächeln

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Selbstironie ist eine selten gewordene Tugend. Mit der Ironie verwandt, unterscheidet sie sich von dieser, fordert sie doch nicht nur Geist, sondern menschliche Größe.

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Selbstironie ist eine selten gewordene Tugend. Mit der Ironie verwandt, unterscheidet sie sich von dieser, fordert sie doch nicht nur Geist, sondern menschliche Größe.

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Glücklich jener Gast, der einem fade vor sich hinköchelnden Gespräch mit einer Messerspitze voll Ironie die geistvolle Würze schenkt: der Dank des Hausherrn und der Neid der übrigen Gäste sind ihm gewiß! So genießt die Ironie in der Welt der Unterhaltung, der Literatur und des Theaters schon immer großes Ansehen.

Ironie setzt nicht nur beweglichen Geist und sprachliches Fingerspitzengefühl voraus, sondern auch schauspielerisches Talent. Denn sie sagt mit vorgetäuschtem Ernst das Gegenteil von dem, was sie eigentlich meint. Ihre Zielscheibe ist alles Hohle und Un-

wahre, das sie unter dem Schein der Billigung lächerlich macht.

Nicht ohne Grund gelten die Franzosen als Meister intelligenter Ironie. Sensibilität für die reizvollen Facetten ihrer Muttersprache und darstellerische Qualitäten sind ihnen angeboren. Den Deutschen hingegen, die gemeinhin im Ruf der Schwerblütigkeit stehen, gerät die vermeintliche Ironie oft eher zur Grobheit oder Besserwisserei.

Die Kirnst, seine Mitmenschen ironisch zu attackieren, geht selten mit der Bereitschaft züsain-men, selber Ironie einzustecken. Im Gegenteil: Gerade die Meister spitzer Feder oder Zunge sind Mimosen ihrer selbst.

Sie, die kräftig auszuteilen verstehen, verziehen sich in ihren Schmollwinkel, sobald ihnen Kollegenhand ans Zeug flickt. Es fehlt ihnen schlicht die Souveränität gegenüber eigenen Tiefen oder Untiefen. Und diese Haltung werden sie schon allein aus Zeitmangel nie gewinnen können, weil sie ja ständig die Schwachstellen ihrer Umwelt abklopfen müssen.

Damit sind wir endlich an jenem Punkt angelangt, wo sich Ironie und Selbstironie qualitativ zu unterscheiden beginnen. Denn wer Ironie betreibt, braucht sich über seine eigene Person keine Gedanken zu machen. Zielscheibe für seine Pfeile sind immer die anderen, während sich der Schütze bedeckt halten kann.

Umgekehrt ist es mit der Selbstironie: Sie zielt nicht auf die mehr oder minder geliebten Mitmenschen, sondern hat ihren Urheber höchstpersönlich im Visier. Seine Fehler und Schwächen sind es, die er in aller Öffentlichkeit unters Seziermesser nimmt.

Er sitzt sich gleichsam gegenüber und übt Ironie am eigenen Ich. Ein solches Nichternstnehmen seiner selbst unter Vorspiegelung von Ernsthaftigkeit setzt Charaktereigenschaften voraus, die einem nicht zufliegen, sondern mühselig erkämpft sein wollen.

Wohlgemerkt: vom Nichternstnehmen der eigenen Person und nicht von ihrem Zurschaustellen ist hier die Rede. Denn es liegt nur ein schmaler Grat zwischen spielerischer Selbstironie und egozentrischer Nabelschau oder krankhafter Eigendemontage.

Selbstironie kann, sofern sie verstanden wird, auf die Umwelt anregend wirken. Nabelschau hingegen löst Gähnen aus, und Demontage der eigenen Persönlichkeit sollte im Bereich der Therapie verbleiben.

Ein Testfeld übrigens, ob wir ohne Bauchgrimmen Ironie einstecken können und zur Selbstironie fähig sind, ist das Theater.

Wir freuen uns diebisch, sobald auf der Bühne menschliche Schwächen angeprangert werden. Aber wer wird schon gewahr, daß etwa Moliere mit dem heuchelnden Tartuffe oder dem geizigen Harpagon uns selber meint!

Bühnenautoren verzweifeln oft an ihrem Handwerk, weil das von ihnen beabsichtigte Purgatorium wirkungslos verpufft.

Nestroy kannte sich als Darsteller der von ihm geschriebenen Hauptrollen wie kaum ein anderer Komödiant auf der Bühne aus. Er ließ deshalb auch seine zeitkritischen Couplets in den Zuschauerraum hineinsingen und die Schauspieler noch dazu mit ihrem Zeigefinger aufs Publikum zielen.

Unsere von Computern beherrschte Gegenwart ist vonvie-gend auf Positiv- und Negativimpulse dressiert. Folglich sind wir noch abgestumpfter gegenüber den feinen Zwischentönen der Ironie als die Menschen zu Nestroys Zeit.

Ironie von hoher Qualität ist heute so rar, weil sie keinen aufnahmebereiten Humus mehr findet.

Noch trostloser ist es um die

Selbstironie bestellt. Sie wird nicht mehr praktiziert, weil sich ihr ernstgemeinter Unernst nicht mit unseren technokratischen Denkschablonen verträgt. In einer leistungsorientierten Gesellschaft, die angeblich den totalen Einsatz fordert, wagen es nur noch Paradiesvögel, sich in aller Öffentlichkeit nicht ernst zu nehmen.

Insgeheim leiden zwar viele unter der Schizophrenie von wichtigtuerischem Anspruch und kärglichem Resultat. Die befreiende Wirkung der Selbstironie würde hier so manche seelische Verstopfung lösen. Da aber jedermann darauf geschult ist, sein Gesicht außerhalb der eigenen vier Wände sogleich in gewichtige Falten zu legen, gerät dieses Hausmittel zur Förderung der inneren Hygiene immer mehr in Vergessenheit.

Unvorstellbar etwa ein Spitzenmanager, der vor Kollegen den tieferen Sinn seiner rastlosen Tätigkeit in Frage stellte.

Oder ein Politiker, der bekennen würde, daß hinter seiner scheinbaren Aufopferung für das Wählervolk ein gehöriges Quantum Machtgenuß steckt.

Erfolgsmenschen werden nie vor anderen das eigene Karrierestreben ad absurdum führen. Es bleibt nur die Flucht in Sarkas-mus und Zynismus, die ihnen nicht wehtut, da sie nicht am eigenen Image kratzt.

Warum denn über Selbstironie reden, da wir dieses Gesellschaftsspiel aus angeblich müßiggängerischer Vergangenheit nicht mehr beherrschen? Weil Tugenden wie diese zeitlos sind und oft nur mißverstanden werden.

Selbstironie heißt ja nicht, seine schwere irdische Pflicht auf die leichte Schulter zu nehmen. So-krates wollte mit seiner Dialektik der Ironie seinen überheblichen Zeitgenossen auch nur den Blick dafür schärfen, daß alle Situationen und Verhaltensweisen auf dieser Welt etwas gemeinsam haben; nämlich: die Begrenztheit menschlicher Einsichten und Fähigkeiten.

Darin steckt mehr Realitätssinn als in der zumindest nach außen hin vertretenen Maxime, für den modernen Menschen seien die meisten Visionen realisierbar und sämtliche Probleme lösbar.

„Alles klar" ist heute ein gängiges Wort, das viel über unser Selbstverständnis verrät. Sokra-tes hätte es bestimmt aufgespießt und genüßlich tranchiert.

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