6999850-1987_21_13.jpg
Digital In Arbeit

Über Heimat nachdenken

Werbung
Werbung
Werbung

Vorerst besehen hat kulturelles Geschehen in Kärnten denselben Stellenwert wie anderswo. Es soll daher ein Faden gesucht werden, der weiter reicht als zu einem bloß provinziellen Bild. Es geht um einen Komplex, ein Trauma, auch um eine Schönheit, die hierzulande alles durchdringen: den Begriff Heimat.

Das empfindet selbst der unmittelbare Nachbar aus der Steiermark, wenn er über die Paßhöhe kommt und einen ersten Blick auf das Land wirft. Er erkennt neben dem gewohnten Grün ein Blau, in dem alle Eigenschaften einer Landschaft wie auf einem Teller präsentiert werden. Beckenlage und Karawankenränder assoziieren ein Paradies. Der nächste Blick erfaßt an topographisch markanten Punkten Kirchen, Burgen und Schlösser.

Kärnten hat eine vielschichtige Vergangenheit. Abwechselnde Machtkonstellationen haben diesen beckenartigen Raum gefüllt und geleert. Außer dem Bodensatz blieb oft wenig an Substanz zurück. Bestimmend bis zum heutigen Tag war Weniges durch We-. nige. So ist es auch erklärlich, daß sich die Künste auf das beschränkten, was durch Hand und Wort und Gemüt zu vermitteln möglich ist.

Gemeinsame Leistungen einer Agrikultur, des Städtebaues und der Architektur sind nicht hervorstechend. Einzigartig im südeuropäischen Raum ist die Malerei. Farbe ist hier wie Speise. Sie durchzieht die Jahrhunderte bis zur Gegenwart. Aber nur kurz währte das Glück des Herbert Böckl mit seinem Fresko im Dom zu Maria Saal. Sein über den See gehender Jesus wurde schon 1928 als entartet empfunden, von höchster Stelle verboten und über Jahrzehnte abgedeckt. Obwohl inzwischen wieder befreit, wird das farbig ganz kärntnerische Bild nicht voll anerkannt.

Ähnlich war es mit Giselbert Hokes großzügigen Fresken. Der in den fünfziger Jahren beste bemalte Bahnhofsraum Österreichs in Klagenfurt wurde mit Tintenfässern beworfen. Unterstützt wurde der Volkszorn durch eine Kärntner Heimatorganisation.

Tempora mutantur: Kärntner Maler bekommen heute offizielle Anerkennung und Förderung. Gleichzeitig tritt Stagnation ein.’ Unter dem oft wiederholten Motto „Wir in Kärnten" wird offiziell. Heimat ingezüchtet. Es ist nur natürlich, daß sich einige diesem Gluckhenneneffekt entziehen. Die Besten des Landes haben immer in einem Spannungsverhältnis zum Zuhause gearbeitet.

„Ich stieg auf die Terrasse des Fluggebäudes und suchte mir eine schneeweiße Maschine mit frischgewaschenen Flügeln und roten Kennzeichen darauf, und ich hätte sie gegen keine andere eintauschen mögen." (Ingeborg Bachmann)

„In meinem Ursprungsland war nie auch die Vorstellung möglich, zu dem Land und den Leuten zu gehören. Es gab nicht einmal eine -Land- -und ~Leute-Vor teUung. -Und gerade die Wildnis hier ver-įiift mir zur Idee, was ein Dorf sei« kann." (Peter Handke, Langsame Heimkehr)

Die Literatur in Kärnten ist keine des Provinzialpatriotismus. Aus bäuerlichem Ursprung entstanden, entzieht sie sich letztlich politischen Mißbräuchen. Schon zu Zeiten, in denen alles vom Nationalismus durchsetzt war, zeichnet Josef Friedrich Per konig das Bild des Kärntner Slowenen. Er erzählt von Gesprächen in sei-

nem Vaterhause, wo sich ein und dieselben Personen in beiden Sprachen ausdrücken. „Slowenisch, wenn das Herz in besonderem Maß daran beteiligt war. Deutsch, wenn sie sich ein wenig in der Welt umtun wollten."

Heute steht Lyrik Deutsch und Slowenisch Seite an Seite gedruckt. „Morda kak človek pre-sanja vse svoje življenje… Vielleicht durchträumt ein Mensch all sein Leben." (Valentin Polansek) Vollkommen ineinander verschränkt sind beide Wesen im Kärntnerlied.

Thomas Koschats Lied „Verlässen" hat zur Grundlage den Gesang von slowenischen Wollspinnerinnen. Es ist keine Frage. In diesem Land wird Heimat vielmals und in unterschiedlicher Weise angerufen. Heimat steht neben Heimat. Es gibt den verordneten Heimatritus im Kärntneranzug am 10. Oktober. Es gibt das Bestreben, einen Kärntner Baustil zu finden, viele Brauchtums- und Gesangsvereine.

Umfragen zum Thema Heimat ergeben immer wieder, daß es sich um etwas Vergangenes, Vorgeburtliches handelt. Daraus erklärt sich die Passivität gegenüber gegenwärtigen Heimatproblemen. „Heimat vorher" blok-kiert „Heimat jetzt". Und jetzt würde Heimat alle nur möglichen Geistes- und Gemütskräfte erfordern.

Uber die Köpfe der Einwohner wird das Dogma des immerwährenden Wirtschaftswachstums verkündet, der Tanz um das goldene Kalb des Tourismus angespornt. Gott sei Dank beginnen einzelne über Heimat zu denken und zu schreiben. Unter anderen sind es die Kleinsten im Land, die Dichter, die ihr Herz an die Zeit legen.

Der Mundartdichter Bernhard C. Bunker bezeichnet sich als ganz heutigen Heimatdichter. Er protestiert dichtend gegen den Ausverkauf der Heimat an die Touristen, gegen Kraftwerksbau und ganz konkret gegen das Zubeto-nieren seines Dorfbaches:

„Ich glaube, daß die Welt überall die ganze Welt ist. Nicht im Sinn von Heil, sondern im Sinn von Komplett." Hoffentlich werden einzelne dieser Stimmen zu einem Chor, der uns zuruft: Schafft substanzielle Werte und Sinn in diesem Lande und habt auch Mut zur Utopie! Vor allem sollten „wir in Kärnten" unsere Köpfe über den Zaun erheben und sehen, was uns zu denken gibt. Ernst Bloch beendet sein Werk „Das Prinzip Hoffnung" auf geheimnisvolle Weise mit dem Wort „Heimat", das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.

Der Autor ist freischaffender Architekt in Kärnten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung