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Über-Lebenskampf

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Und noch einmal zum Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG): „Zur Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an“ habe die Landesgesetzgebung „für eine besondere Befürsorgung von Schwangeren vorzusorgen.“ So lautet der derzeit gültige Zielparagraph.

Er soll durch einen Text ersetzt werden, der die öffentliche Jugendwohlfahrt beauftragt, „für die Betreuung werdender Mütter, werdender Kinder sowie von Säuglingen vorzusorgen“.

Familienministerin Marilies Flemming und die ÖVP-Führung feiern die neue Formulierung als Erfolg. Der 1986 von der SPO-FPÖ-Koalition eingebrachte Entwurf des JWG hatte nämlich die „werdenden Kinder“ überhaupt nicht berücksichtigt.

Tatsächlich ist die neue Formulierung ein beachtlicher Rückschritt. Warum? Weil von einer lebenswichtigen Klarstellung abgerückt wird: daß menschliches Leben ab der Empfängnis, der Verbindung von Ei- und Samenzelle, mit allen Mitteln zu fördern ist.

Der Begriff werdendes Kind ist bewußt unklar. Ob ein ungeborenes Kind auch ein werdendes oder ein zu vernichtendes ist, bleibt heute dank der unseligen Fristenregelung bis zum dritten Schwangerschaftsmonat offen. Gleiches gilt für die werdende Mutter.

Namhafte Vertreterinnen der SPÖ-Frauen verfolgen diese Aufweichung des Lebensschutzes ganz bewußt: „Die Familienberatungsstellen sollen weiter ausgebaut werden, doch dürfen diese Einrichtungen nicht in der Weise mißbraucht werden, daß die Fristenlösung unmöglich gemacht wird.“ („Sozialistische Korrespondenz“ [SK] über eine Sitzung des SPO-Bundesfrauenkomi-tees).

Was das heißt, bekommt man von Gabrielle Traxler, Famüien-sprecherin der SPÖ, zu hören. Sie fordert Beratungsstellen, die auch zur Abtreibung raten, und hält nichts von Maßnahmen, die darauf zielen, Frauen mittels materieller Hilfe von einer Abtreibung abzuhalten (auf Anfrage bei einer Pressekonferenz am 17. September 1987).

Abtreibung wird da als Recht der Frau und nicht als - straffreies - Verbrechen verstanden. Fürsorgemaßnahmen zur Rettung des Kindes erscheinen als „Miß-

brauch“. Logische Folge: Man verpflichtet die Fürsorgeeinrichtungen nicht mehr auf Schutz ab der Empfängnis.

Dementsprechend wissen die SPÖ-Frauen auch die neue JWG-Formulierung zu schätzen: „Das neue JWG zeigt, daß die Fristenregelung in der Koalitionsregierung außer Streit gestellt ist...“ (Johanna Dohnal und Gabrielle Traxler in SK). Und klargestellt wird auch, „erläuternde Erklärungen hätten keinerlei Rechtswirkungen“ (SPÖ-Stadtrat Friederike Seidl in SK). Und sie hat damit weitgehend recht (FURCHE 43/1987).

Vor unseren Augen sind die Abtreibungsbefürworter dabei, einen entscheidenden Punkt für ihr Anliegen zu buchen. Seit der Fristenregelung wird darauf verzichtet, ein Verbrechen zu ahnden. In Zukunft fällt die ausdrückliche Verpflichtung weg, ab der Empfängnis jede mögliche Hilfsmaßnahme (Wohnraumbeschaffung, Geldzuschüsse, lebensbejahende Beratung...) zur Rettung von Kindern zu unternehmen.

Verringerter Schutz der Kinder im Mutterleib heißt auch freiere Bahn für Manipulationen an Kindern in der Retorte. Ihr Status ist ohnedies umstritten: „Wenn das befruchtete Ei in der Retorte bereits menschliches Leben ist, entziehe ich ja der derzeit geltenden Abtreibungsregelung einen Teil des Bodens“, hatte Ex-Minister Harald Ofner schon vor zwei Jahren auf die enge Beziehung zwischen Abtreibung und Retortenzeugung hingewiesen (FURCHE 14/1985).

Dem widerspricht zwar der einschlägige Bericht des Forschungsministers an den Nationalrat. Bei der derzeitigen Rechtslage sei der Embryo in vitro keine „beliebiger Verfügung zugängliche Sache. Vielmehr hat er ab der Verbindung von Ei- und Samenzellen .Anspruch auf den Schutz der Gesetze'.“ (mit Bezug auf Paragraph 22 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches).

Das ist mehr als deutlich: Den Schutzwall bildet die derzeit noch klare Rechtslage. Denn mit der Natur des Embryos argumentiert auch der Bericht an den Nationalrat nicht. Er räumt vielmehr — allerdings unter Einhaltung bestimmter Regeln - die Möglichkeit ein, mit überzähligen Embryos bis zu ihrem 14. „Lebenstag“ zu experimentieren. Daran hat die Reproduktionsforschung eminentes Interesse.

Befürworter der Abtreibung und der Retorten-Manipulation versuchen ihre Anliegen ähnlich durchzusetzen: schwammige Wortschöpfungen verschleiern die Tatsache, daß menschliches Leben im Spiel ist. „Werdendes Kind“ ist eines dieser Gebilde. Den „Präembryo“ lancieren die Reproduktionsforscher.

Fazit: Um die Verfügbarkeit menschlichen Lebens ist heute ein Kampf ausgebrochen. Sein Schauplatz ist die Gesetzgebung. Fragt sich nur: Wo sind die Abgeordneten, die sich auch gegen ihre Parteiführung auf die Seite des Lebens stellen und gegen den neuen Zielparagraphen im JWG stimmen? Oder gibt es Dissidenten nur, wenn es um den Draken geht?

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