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Über Macht und Ohnmacht

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Bei einem Gespräch mit dem Obmann und dem nicht weniger engagierten Generalsekretär meiner Partei über ganz andere, vordergründige Themen komme ich zu einer Zwischenbemerkung: „Die jüngst veröffentlichten Essays von Manes Sperber müßt ihr lesen!”

Kein Zeitgeschichtler, Soziologe oder Psychologe habe in letzter Zeit Gestalten und Probleme der Weltgeschichte der Gegenwart (Lenin, De Gaulle, Mihailov, Dji-las, Münzenberg, S. Freud, E. T. Lawrence, Lee Oswald) so scharfsinnig analysiert und gedeutet den (Katzen-)Jammer der Ideologien, das „Elend der Psychologie”, das „Mißgeschick der Intellektuellen in der Politik”, die „Psychologie der Terroristen” und die Rösselsprünge des Zeitgeistes in einer so erhellenden, verständnisvollen und zugleich dichterisch schönen Sprache dargestellt wie er.

Die Reaktion der beiden überraschte. Die Vielbeschäftigten antworteten nicht mit dem üblichen viel- wie nichtssagenden Kopfnicken, ja nicht einmal mit dem üblichen Seufzer, Zeit müßte man halt für so was haben...

„Ich lese gerade seinen Roman ,Wie eine Träne im Ozean”, meinte der Obmann. „Ich soll über Anregung Buseks demnächst mit Sperber in Salzburg zusammentreffen und möchte ihn und sein Werk gern kennenlernen”, ergänzte der andere.

Postwendend erhielt er von mir anderntags den kleinen Essayband aus den frühen siebziger Jahren „Leben in dieser Zeit” und dazu noch einen vergilbten Zeitungsausschnitt mit der Dankrede Sperbers anläßlich der 1972 erfolgten Verleihung des Hanseschen Goethe-Preises: „Schreiben in dieser Zeit”.

Glücklich eine große „Volks”-Partei, die einem Autor so aufgeschlossen gegenübersteht, der in diesem Band von sich bekennt: „Seit meiner frühen Jugend, seit etwa 60 Jahren gehöre ich zur Linken” — aber immer wieder offenherzig hinzufügt, daß er sich längst nicht mehr mit der heute gängigen linken Schickeria und ihren Subkulturen abfindet; im Gegenteil, wie fast aus jedem dieser Essay herauszulesen ist einer ihrer schärfsten Kritiker geworden ist.

Es schadet nicht, vielmehr erweist es sich als äußerst vorteilhaft, wenn ein Schriftsteller in einem wissenschaftlichen ”Fach zu Hause ist - vorausgesetzt, daß er auch schreiben kann. Das kann man wohltuend bei der promovierten Kunsthistorikerin Gertrud Fussenegger, bei den promovierten Historikern Hugo von Hofmannsthal und Heimito von Doderer wie auch bei den Absolventen Technischer Hochschulen” Robert Musil und Arthur Koest-ler feststellen wie auch in unserem Fall bei dem Individualpsy-chologen Manes Sperber, dem Schüler und Assistenten Alfred Adlers.

Natürlich, fachliches Wissen kann man auch ohne einen großen Lehrer erwerben, aber Autodidakten erkennt man oft an ihrer umständlichen, unklaren und unsicheren Schreibweise, wenn sie sich von reinem Erzählen ab- und der essayhaften Darstellung zuwenden. Beim Lesen der Essays von Manes Sperber hat man immer das Gefühl von Wahrheitsnähe, Sach- und Menschenverstand; man gibt ihm gerne das Recht zu oft messerscharfer Kritik.

Als ein Beispiel diene seine grundlegende Kritik Sigmund Freuds. Während uns — auch aus Professorenmund — Freuds Lehre oft mit oberflächlichen, ja unflätigen Ausdrücken verteufelt und verleidet wurde, setzt Sperbers Kritik an Freud sachlich und tiefgründig dort an, wo er die Psychoanalyse schlechthin zu einer Theorie des schuldigen Menschen werden läßt:

„Der Mensch ist schuldig durch das, was er tut, und durch das, was er begehrt, schuldig durch die Erbsünde, die von jeder Generation erneut begangen wird. So stellt die Psychoanalyse am Ende viel eher eine Mythologie des schlechten Gewissens als eine Psychologie des Unbewußten dar.”

Ein anderes Beispiel: seine Charakterisierung der „Schieläugigen”. In „Geschick und Mißgeschick des Intellektuellen in der Politik” beschäftigt sich Sperber unter anderem mit den Gastrollen Thomas Manns und Bertold Brechts in politicis.

Während uns Bertold Brecht noch immer als ein Dichter, der nur so nebenbei Kommunist war, serviert wird, behauptet unser Autor:

„Doch ist Bert Brecht zum Unterschied von Thomas Mann einer der Meister der .Schieläugigen' gewesen,... sie waren die devoten Ideologen der Mächtigen. Heute gibt es sie unter Leuten, die sich Revolutionäre nennen, aber sich auf die Seite der Folterknechte stellen, wenn deren Opfer dem anderen Lager angehören, doch gegen jede Unterdrückung und die mindeste Art von Freiheitsbeschränkung auftreten, wenn sie selbst oder ihre Gesinnungsgenossen deren Opfer zu werden drohen.”

Noch ein Drittes: Im „Essay über die Linke” wird ebenso klarsichtig wie erschütternd der totale Verlust von Freiheit und Menschenwürde des Sowjetvolkes dargestellt: „Der einzelne Bürger steht vielmehr als Objekt allein, jeder Unterstützung beraubt und von der ganzen Welt abgeschnitten, einer Million allmächtiger Agenten des Regimes gegenüber, welche die Ubereinstimmung aller gegen einen geltend machen. Die 200 Millionen existieren zwar als Wesen mit menschlichen Körpern, doch im Zerwürfnis mit dem Regime werden sie reduziert und atomisiert...”

Der zentrale Essay „Leben in dieser Zeit” beginnt mit einem Kindheitserlebnis, das für die Geisteshaltung Manes Sperbers von entscheidender Bedeutung für das ganze Leben geworden ist:

Am Vormittag des 1. oder 2. Novembers 1918 wartet der Dreizehnjährige auf einem Bahnsteig des Wiener Nordbahnhofs stundenlang auf einen Zug.

Einem Zug entsteigt ein Hauptmann mit seinem schwerbepackten Diener, den er dauernd kujoniert. Binnen weniger Minuten aber, sobald dem Offizier von anderen Soldaten die Kokarde von der Mütze gerissen wird, kehrt sich das Herren-Beherrschten-Verhältnis blitzschnell — durch ein paar dem Hauptmann verabreichte Ohrfeigen und sein lautloses Verschwinden in der Menge — um. So schnell wird Macht zur Ohnmacht.

Dem Dreizehnjährigen wurde schon früh das Problem der Macht faßbar: „Seit jenem Novembermorgen 1918 habe ich nicht aufgehört dieser Frage nachzuforschen, und fast alles, was ich in diesem Buche zu sagen habe, bezieht sich darauf. Was hier über politische Bewegungen, über Diktaturen und über den Terror herrschender Cliquen ausgeführt wird, ist Ergebnis sowohl der erlebten Geschichte als auch der hier angewandten Methode der Feststellung von Sachverhalten und ihrer Deutung.”

ESSAYS ZUR TÄGLICHEN WELTGESCHICHTE. Von Manes Sperber. Europa-verlag. Wien 1981. 720 Seiten. Ln.. öS 298.-.

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