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Überlebenskampf hinter Kasernentoren

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Präsident Bill Clinton will in den nächsten fünf Jahren die größte Umstrukturierung der US-Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg vornehmen. Kein Wunder, daß in den Reihen der Berufsarmee die drastischen Pläne des Präsidenten auf keine große Gegenliebe stoßen: Mit den Kürzungen im Militärhaushalt beginnt für die bisher materiell verwöhnten Militärs ein mit dem Rechenstift gefochtener Überlebenskampf hinter verschlossenen Kasernentoren.

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Präsident Bill Clinton will in den nächsten fünf Jahren die größte Umstrukturierung der US-Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg vornehmen. Kein Wunder, daß in den Reihen der Berufsarmee die drastischen Pläne des Präsidenten auf keine große Gegenliebe stoßen: Mit den Kürzungen im Militärhaushalt beginnt für die bisher materiell verwöhnten Militärs ein mit dem Rechenstift gefochtener Überlebenskampf hinter verschlossenen Kasernentoren.

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Die US-Öffentlichkeit registriert mit zunehmender Aufmerksamkeit atmosphärische Spannungen zwischen Oberbefehlshaber Bill Clinton und seinen Streitkräften. Viele Offiziere sehen im ersten Präsidenten der USA, der nach 1945 geboren wurde, als Student an Eliteuniversitäten in den politisch bewegten sechziger Jahren kein Hehl aus seiner Gegnerschaft zum Vietnamkrieg machte, und der - wie Tausende seiner Altersgenossen - seiner Einberufung mit geschickten Manipulationen erfolgreich entkommen konnte, keinen natürlichen Verbündeten. Clintons Ankündigung kurz nach seiner Amtsübernahme, die Verordnung gegen Homosexuelle in den Streitkräften aufzuheben, hat zusätzlich zu den Stillegungen Dutzender Militäreinrichtungen eine kulturelle Irritation ausgelöst.

Höhepunkt dieser schwelenden Spannungen ist bisher die Degradierung eines hochdekorierten Luftwaffenoffiziers und Veterans des Vietnamkriegs, Generalmajor Harold Campell, der bei einer Ansprache anläßlich einer Preisverleihung an amerikanische NATO-Truppen in den Niederlanden Bill Clinton abfällig einen „Süchtler”, „Schürzenjäger” und „Wehrdienstverweigerer” nannte. Nicht nur der 53jährige Generalmajor hat sich gegenüber dem Oberbefehlshaber respektlos gezeigt: Vor laufenden Fernsehkameras mußte die ganze Nation mitansehen, wie wenig die jungen Matrosen von ihrem Präsidenten halten, als er dem Flugzeugträger Theodor Roosevelt vor den Küsten Virginias einen eilig geplanten Höflichkeitsbesuch zur Imageaufbesserung abstattete.

Politisch aufgeheizt wird das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und den Militärs durch den Homosexuellenstreit: Clinton will verhindern, daß schwule Soldaten und Offiziere allein aufgrund der Tatsache, daß sie homosexuell sind, vom Militär fristlos entlassen werden. Die US-Streitkräfte sind innerhalb der NATO die einzige Armee, die derart strikte, auf moralischen Prämissen basierende Regelungen kennt.

Wider erotische Irritation

Der Generalstab und die Offiziere begründen diese Maßnahmen mit dem notwendigen „Schutz der Privatsphäre” heterosexueller Soldaten, die durch die Anwesenheit von Homosexuellen nicht gewahrt werden könne. Eine erfolgreiche Armee, trommeln die Militärs, falle und stehe mit der „intimen Zuneigung” der Soldaten, die am Schlachtfeld füreinander ihr Leben riskierten; jede erotische Irritation zerstöre diese „Soldatenliebe” und untergrabe Disziplin, Ordnung und Kampfgeist der Truppen.

In Wirklichkeit hat die US-Armee mit einem unbewältigten Problem ungehemmter Vorurteile zu kämpfen: Der weltweit bekannte Presseoffizier der US-Truppen in Somalia, Colonel Fred Peck, hat zum großen Mißfallen seiner Kollegen bei einem Hearing vor dem US-Senat bemerkt, daß sein „gut aussehender, blonder und blauäugiger” Sohn Scott schwul sei, und er aufgrund eigener Beobachtungen große Bedenken gegen Homosexuelle in der Armee habe; als Vater müsse er nämlich befürchten, daß sein Sohn als Soldat in den Kasernen seines Lebens nicht sicher sein könne. Erst vor einigen Wochen wurde ein Matrose von einem US-Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er im betrunkenen Zustand einen schwulen Kameraden in einer Latrine zu Tode geprügelt hatte. Es zeichnet sich jedoch ein politischer Kompromiß „Frag' nichts, sag' nichts” zwischen dem ”Generalstab, den politischen Instanzen im Pentagon,dem Weißen Haus und dem Kongreß ab: Die angekündigte neue Regelung wird pragmatisch darauf hinauslaufen, daß bei der Rekrutierung nicht nach der sexuellen Orientierung gefragt wird, und homosexuelle Armeeangehörige nicht ausgeschlossen werden, solange sie ihr Sexualleben privat halten und nicht in die Truppe hineintragen.

Den eigentlichen Hintergrund für die Verärgerung weiter Teile des Militärs über Bill Clinton bildet jedoch die existentielle Berufsangst, weil der Präsident das Militärbudget über die nächsten fünf Jahre um weitere 88 Milliarden Dollar, zusätzlich zu den bereits von Präsident George

Bush vorgenommenen drastischen Einsparungen, kürzen wird. Das bedeutet, daß viele ehrgeizige Ausbaupläne für technologisch hochentwik-kelte Waffen ganz einfach nicht mehr realisiert werden können. Und mit der

Stillegung Dutzender Militäreinrichtungen ist ein Personalabbau um 35 Prozent in der Größenordnung von einigen Hunderttausend Berufssoldaten verbunden.

Im Detail wird zum Beispiel die Armee statt zwölf nur zehn Divisionen aufstellen, die Marine mit zehn statt zwölf Flugzeugträgern in See stechen und die Luftwaffe statt mit 26 nur noch mit zwanzig Kampfverbänden den Luftraum beherrschen. Von den im Radar weitgehend unsichtbaren und im Golf krieg erstmals erfolgreich getesteten B-2 Bombern(Stealth-Bombern), die pro Stück 2,2 Milliarden (sie!) Dollar kosten, werden insgesamt nur zwanzig Stück angekauft. Der „Krieg der Sterne” ist endgültig in der teuren Traumwelt des ehemaligen Präsidenten Reagan gelandet.

Der neue Verteidigungsplan der USA sieht vor, daß die Größe der Streitkräfte so bemessen sein soll, daß sie nur an einem größeren Kriegsschauplatz engagiert sein können, und nicht wie bisher, gleichzeitig an zwei. Die Truppeneinheiten werden zu mobilen kleineren Einheiten umstrukturiert, weil Strategen davon ausgehen, daß die Truppen ähnlich wie in Somalia zukünftig in kleineren Konflikten eingesetzt werden. Von dieser Strategie profitieren jedoch nur die Marines, die als vielseitig einsetzbarer Stoßtrupp personell sogar aufgestockt werden.

Politische Beobachter lassen aber trotz dieser arbeitsplatzbedingten Spannungen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß das amerikanische Offizierscorps zu seinen demokratischen Pflichten stehe und jeden Befehl des Oberbefehlshabers Bill Clinton ohne zu zögern ausführen würde.

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