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Überlegungen nicht wertfrei

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Am Donnerstag beginnt in den Wiener Sofiensälen der 25. ordentliche Bundesparteitag der SPÖ, der unter dem Motto „Weiter auf dem österreichischen Weg“ steht. Die nach dem Wahlerfolg vom 6. Mai stärkste und selbstbewußteste SPÖ, die es je gab, stellt damit ihre politischen Weichen. Was von diesem Parteitag zu erwarten ist, beleuchtet nebenan SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha. Die FURCHE analysiert dazu Anträge und Resolutionen, die dem SPÖ-Parteitag Vorlieben.

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Am Donnerstag beginnt in den Wiener Sofiensälen der 25. ordentliche Bundesparteitag der SPÖ, der unter dem Motto „Weiter auf dem österreichischen Weg“ steht. Die nach dem Wahlerfolg vom 6. Mai stärkste und selbstbewußteste SPÖ, die es je gab, stellt damit ihre politischen Weichen. Was von diesem Parteitag zu erwarten ist, beleuchtet nebenan SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha. Die FURCHE analysiert dazu Anträge und Resolutionen, die dem SPÖ-Parteitag Vorlieben.

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Die österreichische politische Szenerie ist seit nunmehr neun Jahren durch eine bemerkenswerte Tatsache gekennzeichnet: in wohl keinem anderen Land unterliegt eine Regierung einer derart rigiden Kritik, einer derart peniblen Kontrolle durch die Massenmedien wie hierzulande; in kaum einem anderen Land repräsentieren die der Regierung nahestehenden Zeitungen einen so geringen Anteil an der Gesamtauflage der Presseprodukte (was nicht zuletzt auf die historisch erklärbare Absenz einer liberalen Presse zurückzuführen ist); in keinem anderen demokratischen Land allerdings kann sich eine Regierungspartei auf eine so große Mehrheit der Wähler stützen wie die österreichische Bundesregierung.

Will man diesen Umstand nicht auf die Schwäche der österreichischen Massenmedien zurückführen - und es liegt mir fern, dies zu tun - bleibt nur der Schluß, daß Bundeskanzler Bruno Kreisky, aber auch die Programmatik und die praktische Politik der österreichischen Sozialisten von großer Attraktivität für weite Teile der Bevölkerung sein muß.

Ich nenne ausdrücklich und bewußt auch das Programm der SPÖ als einen der wahrscheinlichen Gründe für die Anziehungskraft der Sozialisten. Aus mehreren Gründen:

Einerseits hat keine Partei in Österreich die Debatte um ihre Grundsätze und Grundwerte so offen und so ein-, gehend geführt, wie dies die SPÖ in den Jahren vor der Beschlußfassung ihres Maiprogramms im vergangenen Jahr getan hat.

Anderseits haben in einer Nachwahluntersuchung 23 Prozent der Wähler auf die Frage, was der SPÖ ihren Erfolg gebracht habe, „die Politik und das Programm der SPÖ“ genannt.

Wenn also das Erfolgsrezept der Sozialisten lautet: grundwertebezo- gene praktische Politik, aufbauend auf einer Analyse der Unterschiedlichkeit der in unserer Gesellschaftsform herrschenden Interessen, dann ist auch die Marschrichtung für die Zukunft vorgegeben.

Ich möchte dies an praktischen Beispielen verdeutlichen.

Die SPÖ tritt nicht deshalb für die „Neue Mittelschule“ ein, weil sie glaubt, daß dieser Schultyp geeichte Sozialisten am Fließband produziert - ein Eindruck, der bei der Lektüre gewisser österreichischer Tageszeitungen zweifelsohne entstehen könnte. Wäre dies so, hätten beispielsweise die USA, wo es sogar eine Gesamtschule aller 6- bis 18jährigen gibt (wenn auch in etwas anderer Form) längst eine sozialistische Regierung.

Der Grund für unser massives Engagement für die „Neue Mittelschule“ liegt darin, daß wir der festen Überzeugung sind, daß bessere Bildungsmöglichkeiten mehr Freiheit bedeuten, daß die gemeinsame Erziehung von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Gruppen zu solidarischem Verhalten beiträgt, daß die Aufhebung der Trennung der

Bildungswege in der Mittelstufe die Chancengerechtigkeit vergrößert, die Leistungsdifferenzierung den unterschiedlichen Begabungen der Kinder gerecht wird.

Dies sind - wohlgemerkt - keine wertfreien Überlegungen, wie Sozialisten nie behauptet haben, wertfreie“ Forderungen aufzustellen (was keine gesellschaftliche Interessengruppe zuwegebringt, was aber trotzdem oft behauptet wird). Aber dennoch sind die unserem Postulat nach einer neuen Schule zugrundeliegende Werte in einem größtmöglichen Basiskonsens fundiert: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind eben Werte, die sowohl aus marxistischer Analyse, als auch aus der Botschaft des Evangeliums abgeleitet werden können.

Der Leitgedanke unserer gesamten Politik wird auch in den kommenden Jahren die Sicherung der Vollbeschäftigung sein. Sie ist die Grundlage der sozialen Sicherheit der Menschen dieses Landes. Ihr ist unter allen Umständen Priorität einzuräumen.

Das wird uns aber nicht daran hindern, auch die Forderung nach mehr Gerechtigkeit in der Einkommensverteilung zu erheben, eine Forderung, die sich auch Christen zu eigen machen sollen. Gerade für sie darf ja Freiheit nicht bloß die Freiheit der Gewinne, Friede das Stillhalten der Unterdrückten, Versöhnung das Einverständnis mit Privilegien und Gerechtigkeit die Verteilung des Reichtums nach ungerechten Kriterien sein.

Darüber und über vieles mehr wird am kommenden Parteitag der SPÖ diskutiert werden. Es wird beispielsweise über Bevölkerungsinitiativen und Alternativbewegungen gesprochen werden, die zweifelsohne prägende Merkmale der politischen Szenerie der achtziger Jahre sein werden. Die SPÖ hat bereits auf ihrem Parteitag 1976 eine positive Stellung gegenüber diesen Bewegungen eingenommen, was aber Sozialisten nicht daran hindern wird, jede dieser Initiativen genau daraufhin zu überprüfen, ob sie allgemeinen oder Teilinteressen dient, die die Interessen der Allgemeinheit vernachlässigen.

Es wird auch Gelegenheit zum kritischen Durchleuchten der eigenen Arbeit geben; Gelegenheit zur Feststellung, daß wir wieder lernen müssen, daß menschliche Wärme, Empfindsamkeit und Phantasie in höchstem Maße politische Kategorien sind - alles Eigenschaften, die in der Hektik politischer Alltagsarbeit oft verloren gehen.

Es ist dieser nun bevorstehende Parteitag der letzte in den für die österreichischen Sozialisten so erfolgreichen siebziger Jahren. Wir werden ihn dazu nützen, unsere bisherigen Erfahrungen als Regierungspartei kritisch und selbstkritisch zu analysieren.

Die Tatsache, daß wir in unserem neuen Parteiprogramm bereits die konkreten politischen Forderungen für das nächste Jahrzehnt erhoben haben, läßt uns die Zeit dazu.

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