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Übersetzungen

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Zumindest vor oder nach jeder Frankfurter Buchmesse, die ja sehr international geworden ist, Ifesen wir mit tiefster Hochachtung, wie viele Tausend und Zigtausend Bücher nun wieder auf der Welt erschienen sind, und vielleicht auch mit Trauer, weil wir wissen, daß wir sie nie alle werden lesen können. Nicht einmal den germgen Teil von einem Prozent.

Freilich, die Ziffern täuschen. Die Übersetzungen werden in den Statistiken nicht berücksichtigt, will sagen ein Buch, das fünfmal über- sezt worden ist, fungiert eben in diesen Statistiken als sechs Bücher und nicht als eines. Und manche Bücher werden gar in 14 Sprachen übersetzt und , manchmal in noch mehr.

Das heißt nun nicht, daß sie in all den 14 Sprachgebieten und mehr auf Interesse stoßen. Es bedeutet lediglich, daß Verleger, die zu einer hoff- mmgslosen Spezies von Menschen gehören, eine Milchmädchenrechnung auf machen — etwa so: wenn dieses Buch schon in Amerika auf solches Interesse stößt, müßte es doch auch in Finnland gelesen werden. Tut es aber nicht. Jedenfalls nicht mit Sicherheit.

Die meisten Bücher werden aus dem Englischen übersetzt. Ich habe nie herausbekommen können, warum. Ich vermute, daß mehr Menschen neben ihrer eigenen Sprache auch Englisch reden können und den Verlegern einreden, dies sei gleich-

Ibedeutend damit, daß sie aus dem Englischen zu übersetzen vermögen.

An Hand einer selbstgebastelten Statisik, basierend auf einem Gallup-Pool mit einem Frager und einem Befragten, bin ich eher zu dem Ergebnis gekommen, daß mehr Leute Englisch nicht verstehen als Englisch verstehen, die Amerikaner, Engländer und Australier eingerechnet.

Ach, es war schon immer ein Jammer mit den Übersetzungen! Ich erinnere mich noch, daß in .den zwanziger Jahren die erste deutsche Gesamtübertragung des großen Franzosen Marcel Proust herauskam. Man las und stutzte immer häufiger. Dann kam eine Stelle, da handelte es sich um einige Leute — ich vergaß, wie viele — die miteinander Kaffee tranken. Die Gastgeberin fragte: „Wollen Sie eine Ente?“ — Eine Ente zum Kaffee? Des Rätsels Lösung War „Canard“, das heißt nicht nur Ente, sondern bedeutet auch ein Stückchen Zucker, das man in den Kaffee taucht und dann im Mund zergehen läßt. Auf diese „Ente“ hin wurde die Übersetzung etwas genauer geprüft und dann eingestampft.

Ja, das gab es in den zwanziger Jahren noch, daß ein Verleger Tausende abschrieb, weil er eine unmögliche Übersetzung nicht auf den Markt bringen oder dort halten wollte.

Wenn das heute noch so wäre, würden vielleicht mehr Bücher eingestampft als gedruckt. Nun ja, nicht alle, oder zumindest nicht, weil sie fehlerhaft übersetzt sind.

Was nun die Übersetzung angeht: Jeder von uns, der zwei oder gar drei Sprachen einigermaßen beherrscht, heult wie ein Hund bei neun von zehn Übersetzungen. Es gibt kaum eine Buchseite, wo sich nicht ein Fehler findet. Die Sprachkundigen können sich ungefähr vorstellen, was eigentlich an der fehlerhaften Stelle hätte stehen müssen. Die Nichtspraohkundigen haben das unangenehme Gefühl, daß da irgend etwas nicht stimmt. Ach, es stimmt so vieles nicht!

Spät in den dreißiger Jahren fragte Ich einmal bei einem Spaziergang Thomas Mann, wie er zu Übersetzungen stehe. Thomas Mann„ das wissen wir ja, brauchte oft mehrere Stunden, um auch nur einen Satz zu formulieren. Übersetzer konnten und können sich, das nicht leisten, sie verdienen ja nicht annähernd genug Geld mit Übersetzungen, um sich solcher „Zeitverschwendung“ hinzugeben.

Thomas Mann, der zumindest mit seinen englischen Übersetzungen Glück hatte, schüttelte düster den Kopf: „Die Übersetzungen meiner Bücher? Gar nicht hinsehen, gar nicht hinsehen!“

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