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Üppiges Blühen, kuhner Aufbruch

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Eine Riesenschau im Wiener Künstlerhaus versucht, die letzte große Epoche der Stadt darzustellen. Große Kunstwerke sind zu sehen, dennoch bleibt der Eindruck zwiespältig.

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Eine Riesenschau im Wiener Künstlerhaus versucht, die letzte große Epoche der Stadt darzustellen. Große Kunstwerke sind zu sehen, dennoch bleibt der Eindruck zwiespältig.

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Was da wie in ein schauriges Panoptikum oder in eine Prater-Geisterbahn lädt, diese „goldene Lemure” am Dach des linken vergoldeten Flügels des Wiener Künstlerhauses, und der kleinformatige Karl Marx-Hof am Dach des rechten grauen Flügels, erweist der Sache — der Ausstellung „Traufn und Wirklichkeit Wien 1870-1930” (bis 6. Oktober 1985) - keinen guten Dienst. Gustav Klimt hat selbst niemals Skulpturen, also dreidimensionale Kunstwerke, hergestellt, und blieb auch in seinen Gemälden und Zeichnungen bewußt ganz in der Fläche; die Tiefe wußte er durch Gefühle zu vermitteln.

Von der Außengestaltung bis in alle 24 Stationen der Ausstellung wird immer wieder versucht, die Welt des Traumes gegen die der Wirklichkeit auszuspielen, was aber heißt, künstliche Gegensatzpaare zu schaffen. Denn „daß jeder Traum sich als ein sinnvolles

Gustav Klimt, Pallas Athene, 1898 psychisches Gebilde herausstellt, welches an angehbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist”, das bewies Sigmund Freud in seinem im Jahre 1900 erschienen Buch „Die Traumdeutung”.

Wo Kontrapostisches wirklich aufzuspüren und darzustellen wäre, wie etwa bei Gustav Klimt und Richard Gerstl, bei Otto Wagner und Adolf Loos, hat man diese allerdings in keine räumliche Gegenüberstellung gebracht.

Trotz 2.200 Exponaten von zum Teil höchster Qualität gewinnt der Betrachter manchmal den unbefriedigenden Eindruck, daß an das optisch nur schwer zu präsentierende gesellschaftliche und politische, philosophische und literarische xlmfeld zu viel Raum verschenkt worden ist. Ein entsprechendes Theater- und Konzert-, Opern-, Lese- und Besichtigungsangebot könnte Träume besser vergegenwärtigen.

Die Riesenschau hat aber auch unbestreitbare Höhepunkte, zum Beispiel einen Sakralraum, die Rekonstruktion des von Josef Hoffmann entworfenen Raumes der Wiener Secession mit Gustav Klimts berühmten „Beethovenfries” aus dem Jahre 1902. Eben dieser F?ies zur 9. Symphonie Ludwig van Beethovens ist hier und jetzt nach mehr als achtzig Jahren im restaurierten Zustand erstmals wieder öffentlich zu bewundern.

In einem angrenzenden Saal sind Klimts prächtige Gemälde seiner „goldenen Periode”—groß-teils aus der österreichischen Galerie im Oberen Belvedere gut bekannt — um einige interessante Leihgaben bereichert, zu sehen. Dabei spürt der Betrachter, wie zwingend es war, daß nach so viel ästhetisierende Pracht eine andere Kunst erschienen ist: Maler, die in ihrer inneren Haltung und äußeren Form viel extremer waren wie Egon Schiele, wie Oskar Kokoschka und Richard Gerstl. Auch von ihnen finden sich großartige Exponate.

Wie eine überdimensionale Schmuckschatulle wirkt der Raum, der den 600 Exponaten der 1903 gegründeten Wiener Werkstätte gewidmet ist. Josef Hoffmann, Mitbegründer und wichtigster Künstler, schreibt im „Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte”:

„Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit ist unsere erste Bedingung, unsere Stärke soll in guten Verhältnissen und in guter Materialbehandlung bestehen. Wo es geht, werden wir zu schmücken suchen, doch ohne Zwang und nicht um jeden Preis.”

Höchste Eleganz war das Ergebnis.

Eine besondere Köstlichkeit der Ausstellung bildet Richard Te-schners „Goldener Schrein”, ein Puppentheater mit Stabpuppen, an dessen Bespielung sich ein älteres Spezialistenpublikum sogar noch erinnern können mag.

Auch Adolf Loos und seinem Haus am Michaelerplatz wird ein eigener Abschnitt der Ausstellung gewidmet. Loos mußte sich im schmuckfreudigen Wien mit seiner Schmähung des Ornaments viele Feinde geschaffen haben. 1908 schrieb er in „ornament und verbrechen”:

„Evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des Ornamentes aus dem gebrauchs-gegenstande. ... die ornament-seuche ist staatlich anerkannt... Das tempo der kulturellen ent-wicklung leidet unter den nach-züglern...”

Im großen Saal des ersten Stockwerkes des Künstlerhauses hat man Otto Wagner in Form von penibel nachgebauten Modellen seiner Bauwerke und einer perfekten Rekonstruktion seiner Fassade des Depeschenbüros ,J3ie Zeit” in der Wiener Kärntner Straße die Ehr' erwiesen. Neben Lyiel Ästhetischem und Fortschrittlichem, das Otto Wagner dieser Stadt geschenkt hat, ist doch auch mit dem Nicht-Errich-ten seines Kaiser-Franz-Joseph-Brunnens am Karlsplatz ein Kelch an uns vorübergegangen.

Das für mich Faszinierendste dieser Ausstellung aber ist die Darstellung Arnold Schönbergs als Maler mit Porträts, Selbstporträts und Visionen in Zusammenschau mit zwar leider nur wenigen, doch großartigen, erschütternd modern wirkenden Gemälden Richard Gerstls. Der junge Gerstl, den eine tragische Liebesbeziehung mit Schönbergs Frau verband, erteilte dem Musiker Malunterricht. Sicherlich verband die beiden Künstler eine Seelenverwandtschaft.

Der wilde Animismus in den Bildern des 1908 mit 25 Jahren freiwillig aus dem Leben geschiedenen Gerstl und der halluzinati-ve Expressionismus in den „Blik-ken” des großartig dilettierenden Schönberg bilden einen klaren Gegensatz zum schönen doch starren Formalismus der Jahrhundertwende; zugleich findet sich ihr innerer Anspruch im Besten der heutigen Wilden Malerei wieder entf acht.

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