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Ulisse: von Monteverdi?

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Als Eigenproduktion der Wiener Festwochen wurde im Theater an der Wien das Dramma in musica „II Ritorno d’ Ulisse in Patria“ von Claudio Monteverdi aufgeführt. Der aus Tirana stammende ehemalige Regieassistent der Wiener Staatsoper Federik Mirdita hat von dem umfangreichen Werk eine heute spielbare Bühnenfassung hergestellt, und Harnoncourt hat es bearbeitet, das Reißt er hat die nur Oberstimmen und Bässe enthaltende Partitur ausgefüllt und für Originalinstrumente aus der Zeit Monteverdis eingerichtet (vollständig notiert sind bei Monteverdi nur einige Instrumental- nummem, Ritomelle usw.). Beide Künstler sind Fachleute auf dem Gebiet des 16. und 17. Jahrhunderts und haben ihre Sache gewissenhaft und mit Einfühlung gemacht.

Auch mit der Ausstattung Johannes Raders, des gebürtigen Linzers, der gegenwärtig an den Städtischen Bühnen Freiburg tätig ist, kann man sich einverstanden erklären, zumal er die der Musik entsprechenden drei Realitätsebanen optisch deutlich gemacht hat: Die Allegorie des Prologs ist dem mittelalterlichen Mysterienspiel zugeordnet, die Götterszenen dem Barocktheater und die Odysseus-Handlung ist aus der Sicht der Renaissance auf die Antike dargestellt. Das ergab viele reizvolle kulturhistorische Durchblicke und Details, von denen das phantastisch kostümierte Komödiantenballett besonders hervorgehoben sei. Auch die Idee, die allen sichtbaren Musiker (etwa zwei Dutzend), mit ihren schönen alten Blasund Streichinstrumenten nebst Cembalo, Virginal, Orgel, Regal, Laute und Chitarrone in Kostüme der Zeit zu kleiden und sie quasi dem Bühnengeschehen zu integrieren, kann gutgeheißen werden.

Die Qualität der Sänger lag hoch über dem langjährigen Durchschnitt dessen, was man sonst in Ausgrabungen (etwa in Salzburg) zu investieren pflegt: Da gab es nicht nur schöne Stimmen, sondern auch spielgewandte Rollengestaltung, soweit das eher statische Monteverdi- Theater diese fordert bzw. zuläßt. Viele von ihnen waren mehrfach beschäftigt, wie Richard Holm, der die Titelpartie sang, Walker Wyatt, Margaret Baker, Rotraut Hansmann, Norma Leser, Werner Krenn sowie, keineswegs ultimo loco: Murray Dickie und Ladislaus Anderko. Von den vier Komödianten sei wenigstens Friederike Singer genannt.

Daß sich die mehr ‘als dreistündige Aufführung stark in die Länge zog, lag keineswegs an den Ausführenden, sondern einfach an der Musik. Über die Schwierigkeiten, heute, in der Zeit der Reizüberflutung, Monteverdi mehr als drei Stunden lang konzentriert zu hören, wollen wir uns nicht verbreiten. Aber wer die zwei Jahre später entstandene „Poppäa“ in der Staatsoper gehört hat (freilich in einer viel freieren, effektvolleren Instrumentierung), dem mögen ernsthafte Zweifel über die Autorschaft Monteverdis an dieser Partitur gekommen sein. Während in ,,L’ Incöranaziö’ne di Pbppea“ sozusagen Schlager ,ayf Schlager folgt, gab es hier, in „Ulisse“, nicht mehr als ein halbes Dutzend Stellen, wo man den Atem des Genies zu spüren vermeinte. Und dies, obwohl Nikolaus Harnoncourt und seine Musiker wunderschön mit vollem Ton — und keineswegs leisetreterisch — gespielt haben. Die Frage der Authentizität dieses in der Wiener Nationalbibliothek verwahrten Manuskripts beschäftigt seit vielen Jahren die Wissenschaft. Sie ist weder von Monteverdis Hand noch von der eines zeitgenössischen Kopisten. Aber von wem ist die Musik? Wer aufmerksam zugehört hat und wer sich dabei an „Orfeo“, „Arianna“ und „Poppea“ erinnerte, den ließ den ganzen langen Abend über diese Frage nicht los.

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