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Um das jüdische Selbstverständnis

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In Wien findet vom 30. Oktober bis 4. November 1979 erstmalig der europäische Kongreß der jüdischen Bruder-Gemeinschaft B’nai B’rith statt. B’nai B’rith wurde 1843 in Amerika von jüdischen Emigranten aus Deutschland gegründet, verbreitete sich bald und zählt heute über eine halbe Million Mitglieder in 42 Staaten. Vom Anfang an besaß diese Organisation eine humanitäre Zielsetzung: „Die höchsten Ideale der • Menschheit zu fördern, Witwen und Waisen zu unterstützen…“ Also: „Wohltätigkeit, Brüderlichkeit und Eintracht.“

Besonders die letzte Zielsetzung ist die schwierigste bei einem Volk von Idealisten und Individualisten, Weltverbesserern und Menschen, die glauben, das Leid der Welt auf ihren Schultern mittragen zu müssen. Es gilt daher, die Spannung zwischen Orthodoxen und agnostischen Juden zu dämpfen und als Katalysator im jüdischen Leben zu wirken. Weiters ist „BB“ bemüht, neben der Pflege der Geselligkeit durch Vortragende aus allen Wissensgebieten und Weltanschauungen den Horizont unserer Mitglieder zu vertiefen und zu erweitern, um dadurch mehr Verständnis und Toleranz in zwischenmenschlichen Bereichen zu erlangen.

Dem Publikum besser bekannt sein dürfte die „Anti Defamation League“, kurz ADL, der B’nai B’rith. Die ADL wurde 1912 gegründet. Ihr obliegt der Abbau von Vorurteilen gegenüber dem Judentum, als auch gegen Nichtjuden. Hier gibt es leider ein reiches Tätigkeitsgebiet! Seit 25

Jahren sind wir auch im christlichjüdischen Dialog aktiv tätig. Besonders unser Europadirektor Dr. E. L. Ehrlich aus Basel ist der Gesprächspartner des Vatikans und des Weltkirchenrates in jüdischen Belangen.

Immer wieder versucht BB im jüdischen Raum, durch Vorträge, Artikel und Broschüren das jüdische Selbstverständnis neu zu artikulieren, die reiche Überlieferung an Kulturgütern zu wahren und zu bewahren und der Jugend weiterzugeben! Ein Podiumsgespräch wird das Mittelstück des Kongresses sein: „Der Jude in der Welt von heute.“

Die Eröffnungssitzung am 30. Oktober wird durch eine Begrüßung des Weltpräsidenten Jack J. Spitzer (USA) eingeleitet. Der Kongreß soll gesamteuropäische Fragen bespre chen, die für unsere Brudergemeinschaft von Bedeutung sind.

Die jüdische Bruderorganisation B’nai B’rith nimmt jeden Menschen mit makellosem Lebenswandel, der sich als Jude bekennt, in ihre Reihen auf. In manchen Ländern gibt es Frauengruppen, gemischte Gemeinschaften und Jugendlogen für die jungen Menschen, die sich für diese humanitären Ziele interessieren. Ein Zusammenhang mit den Freimaurern besteht nicht, wenn er auch gelegentlich behauptet wurde.

Siegmund Freud war ein begeisterter „BB“-Bruder. Daher wird ein Vortrag von Dr. Leupold Löwenthal, dem bekannten Psychoanalytiker, über: „Freud und sein Judentum“ am Kongreß zu hören sein.

Die Stellungnahme der „BB“ zum Staate Israel ist nicht einheitlich, denn wir halten uns an das Motto: Gemeinsam handeln, aber nicht gemeinsam denken! Wir halten uns an das Talmudwort, daß ein ungebetener Ratschlag ein wertloser ist. Dieser weise Spruch sollte auch manchem Politiker zum Vorbild dienen.

Jedes Mitglied der „BB“ fühlt eine, vom Herzen kommende Solidarität mit dem Staate Israel. Ein selbständiger jüdischer Staat in sicheren Grenzen und mit einer gleichberechtigten Minoriät anderer. Jedem Juden der Welt muß es möglich sein, seinen von Thora (Gottes Weisung) und Halacha (Ergänzung zu den Weisungen) gewiesenen Lebensweg im Lande der Väter zu verwirklichen. Der Staat bleibt sich stets seiner geschichtlichen Vergangenheit verbunden. Wenn wir BB „Söhne des Bundes“ genannt, uns der Verpflichtung dieses Bundes von Gott mit den Menschen stets bewußt sind, um so mehr der Judenstaat Israel.

Die arabischen Staaten zählen 110 Millionen Menschen, der Zwergstaat Israel, kaum auf der Karte auszunehmen, nur drei Millionen. Vernunft und Logik sagen daher, daß die inneren Streitigkeiten der Araber- Staaten nicht endlos mit Haß gegen Israel zu übertünchen sind. Die ethische und moralische Kraft, die dem Koran innewohnt, wird hoffentlich das gegenseitige Mißtrauen durch Taten guten Willens der Araber auszuräumen beginnen.

Wenn, wie im Falle Ägypten, dieses Mißtrauen einmal gemildert ist, dann wird sich rasch und endgültig ein friedliches Nebeneinander von Juden und Arabern finden, denn wir Juden kennen aus einer tausendjährigen Diaspora die Sehnsucht der Menschen nach Heimat, Frieden und Glück. Präsident Sadat und sein Volk haben als Erste erfaßt, daß das Mißtrauen das größte Hindernis zum Frieden ist, und er hat großzügig die Hand zum Frieden ausgestreckt.

Der „BB“ will alles in seinen Kräften stehende tun, damit das Friedenswerk zwischen Ägypten und Israel nicht nur Vertragswerk bleibe, sondern in die Herzen der Menschen beider Länder eindringe. Eines der Anliegen des BB-Europakongresses in Wien ist es, diese Mittel und Wege zu finden, um in geeigneter Form den Friedensprozeß wirksam zu unterstützen.

Wir im „BB“ glauben, indem wir mit Taten mithelfen, den Frieden zu erreichen, erfüllen wir Gottes Gebot und machen dadurch unsere Welt lebenswerter und gerechter!

Wenn Juden und Christen, die beiden Teile des Gottesvolkes, unterwegs in die verheißende Zukunft den gemeinsamen Weg der Hoffnung gehen, so vertrauen wir auf das Schriftwort: „Ich will Euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Jerem. 29 11).

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