6814339-1972_52_03.jpg
Digital In Arbeit

Um den Vorrang des Lebens

19451960198020002020

Die Gefahren für unsere natürliche Umwelt sind Gefahren für den Menschen: für den heute lebenden und für den, der erst geboren wird. Erde, Luft und Wasser müssen radikaler, als das bisher geschehen ist, geschützt werden. Wir sind in Österreich — was den Umweltschutz anlangt — weit hinter andern Ländern zurück.

19451960198020002020

Die Gefahren für unsere natürliche Umwelt sind Gefahren für den Menschen: für den heute lebenden und für den, der erst geboren wird. Erde, Luft und Wasser müssen radikaler, als das bisher geschehen ist, geschützt werden. Wir sind in Österreich — was den Umweltschutz anlangt — weit hinter andern Ländern zurück.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Bundesgesetz vom 21. Jänner 1972 wurde ein Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz errichtet. Dieses Bun-desnunistarium war von Anfang an eine Fehlkonstruktion. Es wurde versäumt, dieses Bundesministerium mit wirksamen Zuständigkeiten auszustatten. Entscheidende Bereiche des Gesundheitswesens verbleiben im Sozialministerium. Dem Gesundheitsministerium bleibt das Koordinieren der Umweltschutzmaßnahmen — eine Aufgabe, die ebensogut ein anderes Ressort erfüllen hätte können. Die Aufgaben des Umweltschutzes selbst und die zu ihrer Bewältigung bestehenden — weithin reformbedürftigen — Rechtsvorschriften sind total zersplittert. Sie verteilen sich nicht nur innerhalb des Bundes auf verschiedene Ressortbereiche, sondern auch noch auf die Länder und Gemeinden. Während hier eine Konzentration — auch in anderen Staaten — kaum möglich ist, ohne die gesamte staatliche Organisation über den Haufen zu werfen, wäre eine Konzentration auf der Ebene der Bundesministerien sehr wohl möglich gewesen — die aber ist eben nicht erfolgt.

Wie wenig das Gesundheitsministerium in Wahrheit zu sagen hat, zeigt ein Gespräch mit Frau Bundes-. minister Dr. Leodolter, das in der „Wiener Zeitung“ vom 22. Oktober 1972 veröffentlicht wurde. Man kann dort die bemerkenswerten Sätze aus dem Gesundheitsplan ihres Ministeriums lesen:

„Die neuen Aufgaben, vor denen die Gesellschaft und das neu geschaffene Ressort stehen, erfordern den Einsatz neuer Methoden. Das Bundesministerium wird daher nicht nur die Arbeitsweise eines Organs der obersten Bundesverwaltung anwenden, sondern“ — man höre — „auch die moralische Autorität eines vom Gesetzgeber bestellten Hüters von Gesundheit und Umwelt. Historisch gewachsene Kompetenzgrenzen der Gebietskörperschaften und Behörden dürfen — obwohl sie zu beachten sind — kein Hindernis für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben sein.“

Das ist genau die Haltung, in der sich heute Regierungsorgane — nicht nur in Österreich — gefallen: statt verantwortlich zu verwalten und zu arbeiten, maßt man sich die Rolle einer „moralischen Autorität“, eines Lehrers und Erziehers der Gesellschaft an. Statt klar abgegrenzter und gehandhabter Kompetenzen läßt man den Staatsbürger mit hocherhobenem Zeigefinger Reden hören. Hier verwechselt man aber die Demokratie mit einem Kinderdorf. Die demokratische Gesellschaft braucht sich nicht bevormunden zu lassen, sie hat vielmehr ein Recht darauf, daß die von ihrem Geld erhaltenen Behörden und Ämter arbeiten.

Es ist kennzeichnend, daß sich nicht einmal das Parlament darauf zu verlassen vermochte, daß das zuständige Ressort von sich aus eine systematische Klarstellung des zur Bewältigung der Umweltproblematik notwendigen Rechtsstoffes erarbeitet. In einer Entschließung vom 14. März 1972 (9 — NR/13. GP) wurde der Bundeskanzler vom Parlament aufgefordert, „unverzüglich durch Experten ein Gutachter auf dem Gebiet des Umweltrechtes ausarbeiten zu lassen“. Dieses Gutachten soll nach den Vorstellungen unseres Parlaments nicht nur eine Bestandsaufnahme sein, sondern den Rechtsstoff auf Wirksames und Unwirksames sichten und eine Koordination zwischen Bund und Ländern, aber auch iwischen den einzelnen Bundesministerien erst ermöglichen. Die Entschließung zielt auf die Erfüllung der „tatsächlichen Anforderungen sines wirkungsvollen Umweltschuttes“ ab.

Die Bundesregierung der BRD hat schon im Jahre 1971 dem Bundestag Bin umfassendes Umweltprogramm vorgelegt. Es umfaßt 63 Druckseiten, der Materialienband 661 Seiten. Die DDR hat am 14. Mai 1970 ein „Gesetz über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur“ erlassen. Der Europarat beschäftigt sich laufend mit den Fragen des Umweltschutzes. Die Diskussion ist heute weltweit. Aber zugleich wurde vor der „heute so beliebten Reformmethode“ gewarnt, „zunächst hochtönende Organisations- und Kompetenzmodelle zu entwickeln, ohne vorher ein detailliertes, realisierbares Sachprogramm erarbeitet zu haben“; der Umweltschutz sei zu wichtig, „um tagespolitischen Modeeffekten oder romantischen Utopien anheimzufallen“ (Rupp, JZ 1971, 404).

Das ist völlig richtig. Planen und Modelle bauen ist gut und notwendig. Aber im Schatten der dadurch ausgelösten Diskussion mehr oder weniger sachverständiger Gremien schreitet permanent die Zerstörung fort und permanent mit ihr konfrontiert ist der Einzelmensch. Er ist es, der die Last der modernen Entwicklung zu tragen hat. Folglich ist auch er es, von dem alle rechtlichen Maßnahmen ihren Ausgang nehmen müssen. Das Recht jedes einzelnen Menschen auf einen zeitgemäßen Umweltschutz muß angesichts der offiziellen Passivität ausdrücklich und unmißverständlich in der österreichischen Bundesverfassung zum Ausdruck kommen. Die dem Einzelmenschen gegenüber dem Staat gewährleisteten Grund- und Freiheitsrechte: Leben, persönliche Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Glaubens- und Gewissensfreiheit und andere fundamentale Rechte sind im alten Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet. Die Europäische Sozialcharta garantiert die sozialen Rechte. Was aber in unserer Verfassung fehlt, ist das Grundrecht des Menschen auf eine natürliche Umwelt.

Seit dem Jahre 1964, vom damaligen Bundeskanzler Dr. Klaus im Bundeskanzleramt gegründet, arbeitt ein Expertenkollegium — die sogenannte „Grundrechtskommission“ — in monatlichen Sitzungen gründlich und konsequent an der Neuformulierung eines modernen, den gegenwärtigen Gefährdungen des Menschen Rechnung tragenden Srundrechtskatalogs. Sie hat sich schon im Jahre 1966 in ihrer 19. Ar-Deitstagung ausführlich mit der Formulierung eines Grundrechtes auf sine natürliche Umwelt beschäftigt. Bereits in dem von der UNO im Jahre 1966 aufgelegten WeZtpafcet für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem Österreich leider bisher noch nicht beigetreten ist finden sich Ansätze (Art. 2 Z. 1, Art. 11 Z. 1, Z. 2a, Art. 12 Z. 2b).

So sagt Art. 12 Z. 1 dieses Weltpaktes:

„Die Teilnehmerstaaten dieses Paktes erkennen an, daß jedermann das Recht auf den höchsten erreichbaren Stand körperlicher und geistiger Gesundheit hat.“ und Art. 12 Z. 2 bestimmt, daß die von den Teilnehmerstaaten „zur vollen Verwirklichung dieses Rechtes zu ergreifenden Maßnahmen auch Maßnahmen einschließen, die für eine gesunde Entwicklung des Kindes“ und eine „Verbesserung der Umwelthygiene“ erforderlich sind. Weiter wurde auf der vom 5. bis 16. Juni 1972 in Stockholm durchgeführten „UNO-Konferenz über die Umwelt des Menschen“ als erster Grundsatz verkündet:

„Der Mensch hat ein fundamentales Recht auf Freiheit und auf angemessene Lebensbedingungen in einer Umwelt, die so beschaffen ist, daß sie ein Leben in Würde und Wohlergehen ermöglicht. Er hat die feierliche Pflicht, die Umwelt für diese Generation und für kommende Geschlechter zu erhalten und zu verbessern.“

In unserem Nachbarland, der Schweiz, hat die Universität Zürich im Rahmen der umfassenden Diskussion um eine Totalrevision der Bundesverfassung einen aus elf Artikeln bestehenden Entwurf eines Verfassungsgesetzes vorgelegt, der den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt sichern soll. Sehr richtig begründet die Universität Zürich diesen Schritt folgendermaßen:

„Der Schutz von Mensch und Natur vor den Übergriffen der Technik und der Wissenschaft ist eine Existenzfrage für die Menschheit geworden. Statt sich deren Errungenschaften dienstbar zu machen, gerät die Menschheit mehr und mehr in den Bann der Technik und der Wissenschaft und opfert beiden immer mehr Menschenleben, menschlichen Geist und Seele ... Dieser verhängnisvollen Entwicklung gilt es Einhalt zu gebieten, dieser Geisteshaltung ist entgegenzutreten ... Eine Normierung bloß auf Gesetzesstufe, wie das heute noch der Fall ist, kann nicht mehr genügen ... Die Vordringlichkeit des Schutzes der Lebensgüter ruft nach der Verankerung der grundlegenden Verhaltensnormen in der Verfassung. Selbstverständlich müssen weitere Einzelheiten noch in Gesetzen geregelt werden. Der Primat von Mensch und Natur für die gesamte Rechtsordnung muß jedoch auf Verfassungsstufe zum Grundsatz erhoben werden.“

Der Artikel 1 dieses Verfassungsgesetzentwurfes erklärt:

„Die Würde, die Freiheit und die Unversehrtheit der menschlichen Person sind unantastbar.“

Artikel 3 sagt:

„Das geistig-seelische und körperliche Wohl des Menschen geht den wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Interessen vor.“

Artikel 5 bestimmt:

„Der Bund gewährleistet das Recht des Menschen auf eine natürliche Umwelt und schützt ihn vor den Gefahren der Technik. Dieses Recht und dieser Schutz sind so umfassend, als es mit den lebenswichtigen Bedürfnissen der Gemeinschaft zu vereinbaren ist. Jeder Mensch hat insbesondere ein Recht auf Ruhe, auf reine Luft, auf gesundes Wasser und auf Schutz vor schädlichen, lästigen oder gefährlichen Einwirkungen.“

Treffend hat aber die Universität Zürich auch erkannt, daß die schönsten verfassungsrechtlichen Proklamationen nichts helfen, wenn nicht ein entsprechendes Rechtsschutzorgan sie durchsetzt. Als solches soll nach Art. 10 zur Erhaltung der natürlichen Umwelt des Menschen ein „eidgenössischer Anwalt der Natur“ eingesetzt werden. Dieser soll von der Bundesversammlung auf die Dauer von vier Jahren gewählt werden. Er darf kein anderes Amt ausüben. Er soll von den Verwaltungsbehörden unabhängig sein und die gesamte Verwaltungstätigkeit daraufhin überwachen, daß sie die natürliche Umwelt des Menschen gewährleistet. Er soll Anzeigeinstanz und Beschwerdeführer in Fällen sein, in denen diese Umwelt gestört worden ist. Er soll vor der Erlassung eines jeden Bundesgesetzes und einer jeden Bundes Verordnung zu hören sein. Auch in der österreichischen Rechtsordnung finden sich übrigens gewisse Ansatzpunkte für Umweltschutzorgane, so der Kärntner „Bauanwalt“, der Kärntner „Landschaftskurator“ oder der Vorarlberger „Landschaftsanwalt“, der allerdings erst rechtlich geschaffen werden soll.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland macht man sich viele Gedanken über die rechtliche Durchsetzung des Umweltschutzes. Die Einführung einer „Popularklage“ oder „Bürgerklage“, die also jedermann einbringen kann, auf dem Gebiete des Umweltschutzes wird erörtert (Rttpp, ZRP 1972, H. 2, S. 25; Hofmann, Bayerische Verwaltungsblätter 1972, S. 524 ff.). Im Auftrag der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft in Bonn wurde ein Gutachten über die theoretischen Grundlagen und die praktischen Möglichkeiten erstattet, den Natur-und Umweltschutzverbänden ein Klagerecht einzuräumen. Namhafte deutsche Rechtswissenschaftler, wii Rehbinder (ZRP 1970, 255) odei Kupp (JZ 1971, S. 402), haben di< Zulassung eines solchen Klagerech tes von unabhängigen Umwf schutzverbänden, die statutarisch keine andere Aufgabe haben, als der gesetzwidrigen Umweltbelastungei auf die Spur zu kommen und geger sie gerichtlich vorzugehen, als dii „eiligste“ Forderung bezeichnet. Da bei hat man sich auf amerikanischi und schweizerische Rechtsvorbilde berufen.

Höchste Zeit wäre es also auch fü Österreich, ähnliche rechtliche Vor kehrungen zu schaffen. Denkt mai an das weithin inhaltlose nur von Machtstreben in Gang gehaltene Ge triebe, das heute als Politik be zeichnet wird, so erkennt man mi Schrecken, wie hier eben jenes ge sellschaftliche Potential sinrüo; vergeudet wird, das für die Bewäl tigung der großen Grundfrage un serer Zeit so dringend nötig wäre, de Frage: Was können, ja was müssei wir tun, um der rapiden Verschlech terung der menschlichen Lebensbe dingungen Einhalt zu gebieten?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung