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Um die Balance

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Die Niederlage der Unionsparteien bei den Bundestagswahlen hat eine Fülle von Fragen aufgeworfen, die sich auf die künftige politische Strategie von CDU und CSU beziehen.Um das Tauziehen zwischen den „Linken“ und den „Rechten“ in der Union zu begreifen, zwischen denen, die im Hinblick auf die Brandt-Regierung für „Flexibilität“ plädieren und denen, die eine „harte Konfrontation“ für unumgänglich halten, ist es notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Wurzeln dieses jetzigen Dissjjgse^s tiefer liegen.

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Die Niederlage der Unionsparteien bei den Bundestagswahlen hat eine Fülle von Fragen aufgeworfen, die sich auf die künftige politische Strategie von CDU und CSU beziehen.Um das Tauziehen zwischen den „Linken“ und den „Rechten“ in der Union zu begreifen, zwischen denen, die im Hinblick auf die Brandt-Regierung für „Flexibilität“ plädieren und denen, die eine „harte Konfrontation“ für unumgänglich halten, ist es notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Wurzeln dieses jetzigen Dissjjgse^s tiefer liegen.

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Es war nicht erst der Oppositionsführer Rainer Barzel, der von Seiten der bayrischen CSU zu hören bekam, er habe nicht klar genug die Grundsätze der Union in der Deutschland-und Ostpolitik zum Ausdruck gebracht. Bereits der Kanzler der großen Koalition, Kurt Georg Kiesinger, wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Außenpolitik gegenüber Moskau die Konturen verwischt zu haben, die einst Adenauer gezeichnet hatte.

Damals blieb der sich daraus ergebende innerparteiliche Konfliktstoff freilich noch sehr begrenzt. Dabei spielte es unter anderem eine Rolle, daß der Außenminister Willy Brandt hieß, daß also jene, die mit Kiesingers Kurs nicht zufrieden waren, sich mit der Erkenntnis trösten konnten, daß eben die Union innerhalb des Kabinetts nolens volens „Konzessionen“ machen müsse.

Willy Brandt, der Kurt Georg Kiesinger im Palais Schaumburg nachfolgte, bewirkte insofern einen Bruch in der „Kontinuität“ der Bonner Außenpolitik, als er nicht mehr die vorsichtig-pragmatische Art walten ließ, mit der sein Vorgänger versuchte, angesichts der sich wandelnden Weltlage der Gefahr einer Isolation des freien Teiles Deutschlands entgegenzuwirken. Es war unter anderem ein der Union fremdes ideologisches Motiv, das den SPD-Vorsitzenden dazu veranlaßte, in Richtung Osten eine verhängnisvolle Hektik an den Tag zu legen. Dabei trat eine Gewichtsverlagerung ein, es ging bis zu einem bestimmten Grad die Balance zwischen Ostpolitik und Westpolitik verloren, auf die Kiesinger sorgsam geachtet hatte.

Für Rainer Barzel ergab sich die außerordentlich schwierige Aufgabe, in der Partei den Konsens, der im Hinblick auf die Außenpolitik bereits teilweise verlorengegangen war, wiederherzustellen. Man hätte annehmen können, daß die der Union zugefallene Oppositionsrolle Divergenzen übertüncht hätte. Doch Brandts forcierte „Friedenspolitik“, die Eile, mit der er die „Realitäten“in Europa und speziell in Deutschland akzeptierte, ließ die Gegensätze in der Union eher immer deutlicher werden.

Was bislang von seiner eigenen Partei vielfach kaum gewürdigt wurde, war der von Rainer Barzel mit zäher Geduld und großem diplomatischem Geschick unternommene Versuch, dem die Gefühle der Massen ansprechenden „Friedens-banzler“ Brandt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der sozialdemokratische Politiker hatte eigentlich alle Vorteile auf seiner Seite: Er kam der geistigen Trägheit vieler Bundesdeutscher entgegen.

Von vornherein hielt daher Barzel einen „konstruktiven“ Oppositionsstil für unabdingbar. Wer die Strategie dieses Mannes verfolgt hat, konnte feststellen, daß sie stets an einer Position orientiert war, die sich mit der simplen Formel „Ja, aber...“ beschreiben läßt.

Höhepunkt dieses „konstruktiven“ Oppositionskurses war die von der CDU/CSU angeregte Resolution des deutschen Bundestags zu den Ostverträgen, in der vom „unveräußerlichen Recht auf Selbstbestimmung“ und „einer Wiederherstellung der natonalen Einheit im europäischen Rahmen“ die Rede ist. Barzel gelang es hier, gegenüber der Regierung Brandt statt „Konfrontation“ eine dem ganzen Volk dienende „Kooperation“ zu praktizieren.

Der CDU-Vorsitzende, dem wie eine Klette der Tadel anzuhaften scheint, er verfüge über „keine Ausstrahlungskraft“, suchte auf mancherlei Weise das „nationale Anliegen“ seines abstrakten Charakters zu entkleiden, den es in den Augen vieler Bundesdeutscher hat. Er sprach daher zum Beispiel nicht mehr von der „gefährlichen Preisgabe deutscher Rechtspositionen“, sondern immer und immer wieder von der notwendigen „Freizügigkeit für Menschen, Ideen und Informationen“, ohne die von einer echten Entspannung zwischen Ost und West keine Rede sein könne. Auch suchte Barzel stets von neuem der Friedenseuphorie, die Brandt verbreitete, mit dem Hinweis entgegenzuwirken, man könne keinen Optimismus huldigen, solange an der Mauer in Berlin „geschossen wird“.

Freilich: Etliche von Barzels Parteifreunden legten das Bestreben ihres Vorsitzenden, Sachlichkeit da zu proklamieren, wo der Kanzler mit Gefühlen operierte, als „Zaudern“ und als „Unentschlossenheit“ aus. Rückblickend stellen jetzt manche Kommentatoren in der Bundesrepublik fest, Barzel sei es nicht gelungen, das „außenpolitische Profil“ der Opposition „klar hervortreten zu lassen“. Daß es ihm jedoch weder die innerparteiliche Situation noch die politische Gesamtkonstellation im Bundestag erlaubte, sich wesentlich anders zu verhalten, wird dabei übersehen.

Die, häufig an Nuancen ausgerichtete „Politik der mittleren Linie“, drang offenkundig nicht so recht ins Bewußtsein etlicher seiner Parteifreunde. Im Grunde geht es aber dennoch darum, die richtige Balance zu halten zwischen der Weigerung, „nationale Substanz“ aufzugeben und der Notwendigkeit, sich an diese Fakten anzupassen, um bei den nächsten Bundestagswahlen erfolgreich zu sein.

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