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Um die Prioritätenliste von Dürnstein

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Novitäten sind die Prioritäten gerade nicht, die bei der Partei- und Regierungstagung in Dürnstein gesetzt wurden. Schon allein die Idee, Prioritäten zu setzen, könnte sich die Regierung nicht patentieren lassen. Sie wurde schon in der alten Koalitionsära ventiliert, mehr noch unter der Regierung Klaus.

Rang Nummer eins auf der nunmehrigen Prioritätenliste, so versicherte der Bundeskanzler, nehmen die Bemühungen um die Stabilität ein. Kraftvolle Worte fallen: „Niemand soll glauben, er würde uns in den nächsten Wochen davon abbringen können.“ Wie bitte? Nur in den nächsten Wochen? Es wird doch niemand glauben, daß das Problem der Inflation so schnell erledigt werden könnte?

Aber auf die Ankündigung konkreter Anti-Inflationsmaßnahmen wartet man vergebens. Der Stabilitätspakt wird beschworen; nun, den gibt es bereits, und dank der mehrheitlichen Disziplin der Wirtschaft sind wir zunächst bei der Einführung der Mehrwertsteuer glimpflich über die Runden gekommen.

Allerdings ist das Rennen noch nicht gelaufen. Viele, insbesondere die Großkaufhäuser, verzichteten auf Neukalkulation ihrer Waren, verkaufen sie zu alten, vielleicht sogar zu etwas ermäßigten Preisen ab. Eventuelle Verluste durch niedrigere Verkaufspreise schlagen weniger zu Buch als die Kosten einer umfassenden Neuberechnung. Wie die Dinge wirklich aussehen, wird sich erst zeigen, wenn neue Waren auf Grund neuer Kalkulationen angeboten werden.

Allerdings: in Dürnstein kündigte Präsident Benya an, es werde keine Zwischenlohnrunde geben. Die „normale“ Lohnrunde werde aber ohne Aufschub durchgezogen werden. An ein Stillhalten im ersten Halbjahr sei nicht gedacht. Nun, die Forderungen, die wir demnächst zu erwarten haben, werden geigen, wieweit die Gewerkschaften ihrerseits gewillt sind, einen Beitrag zur Stabilität zu leisten.

Aber von dem eigentlichen Beitrag, den die Regierung selbst zur Stabilisierung leisten könnte und müßte, war nicht die Rede: von einer Kürzung des Rekordbudgets 1973, der Durchführung echter Sparmaßnahmen usw.

Schon Priorität Nummer zwei läßt daran zweifeln, ob es der Regierung mit der Inflationsbekämpfung auch wirklich so ernst ist. Die Aufgaben der Raumordnung wurden als besonders wichtig bezeichnet. Wie wahr, wenn darunter eine sinnvolle Bodenwidmung verstanden wird, bei der es künftig keine Durchstechereien — weder von privaten noch von öffentlichen Institutionen — geben dürfte. Doch es zeigt sich bald, was wirklich gemeint ist: die sogenannte Bodenbeschaffung nämlich. Hier wird geschickt der Trick angewandt, große, wichtige und sachlich berechtigte Forderungen insofern als Attrappe zu verwenden, als sich dahinter alte parteipolitische Anliegen verbergen.

„Was nützt das Geld für Wohnungen“, rief der Bundeskanzler publikumswirksam aus, „wenn wir dafür keinen Boden haben?“ Nun, angesichts der gigantischen Baulandhortung der Gemeinde Wien (und auch anderer Gemeinden) ist diese neue Formel erstaunlich. Außerdem sind die Grundstückpreise in den Urbanen Agglomerationen ja erstaunlich stabil. Nur in den Fremdenverkehrszentren klettern sie nach wie vor — aber wenn dort weniger gebaut würde, wäre das wahrscheinlich kein Unglück.

Daß sich in allen Bauzonen wenige Verkaufswillige finden, ist angesichts der Inflation nicht weiter erstaunlich. Bemühte sich die Regierung mehr und vor allem effektiver um die Stabilisierung, würde sich das Bodenbeschaffungsproblem wahrscheinlich weitgehend von selbst erledigen.

Das eigentliche Problem mit dem „Geld für Wohnungen“ ist, daß es angesichts der steigenden Baukosten immer weniger wird, ja daß infolge der herrschenden Arbeitskräfteknappheit auch gar nicht mehr Bauleistungen angeboten werden können und eine echte Stabilisierungspolitik gerade im Bauwesen, insbesondere beim Hochbau (ganz im allgemeinen, nicht nur beim Wohnungsbau), Zurückhaltung üben müßte.

Entweder die Regierung nimmt die Inflationsbekämpfung ernst, dann weiß sie genau, daß die Baukapazität ohne neuerliche Inflationsschübe nicht mehr erweiterungsfähig ist. Dann ist der Slogan vom „Geld für Wohnungen“ nicht ganz ernst gemeint und nur ein Vorwand, hinter dem sich eine resolute Kommu-nalisierungspolitik von Haus und Boden verbirgt, wobei man offenbar davon ausgeht, daß Raumordnung gleichbedeutend mit Entprivatisie-rung sein muß.

Oder aber die Regierung nimmt es mit einer Steigerung der Bauleistungen ernst; dann kann die Stabilisierungspolitik nicht sehr ernst gemeint sein.

Ziemlich weit nach unten gerutscht ist auf der Prioritätenliste die Reform der Stahlindustrie. Das Sachproblem der Koordination und Programmbereinigung im Interesse einer besseren internationalen Konkurrenzfähigkeit Ist daher heute weit in den Hintergrund getreten, in Wirklichkeit geht es jetzt in erster Linie um Aufsichtsratsposten für Betriebsräte und darum, in welches Säckel die Gemeindesteuern des neuen Monsterkonzerns fließen sollen. Wer je geglaubt hatte, daß Sachfragen in einer verstaatlichten Industrie, in der die „Interessen“ und die „Profitgier“ privater Eigentümer ausgeschaltet sind, leichter und kompetenter zu lösen seien, der wird durch das österreichische Beispiel eines anderen belehrt.

Von den großen Reformen, die man einst visionär in die Wolken projizierte, war in Dürnstein leider nicht mehr viel die Rede; sie sind offenbar von der Flut der Inflation fortgespült worden. Auch für Österreich erweist sich die Richtigkeit jenes Satzes, den vor einiger Zeit ein deutscher Wirtschaftspolitiker ausgesprochen hat: Stabilität ist nicht alles; aber ohne Stabilität ist alles nichts. AUGUST DOBBELING

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