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Um ein „Umsturz- Kapitel” reicher
Bolivien kommt nicht zur Ruhe: Hatte man sich von den Präsidentschaftswahlen am 9. Juli die Einleitung eines Demokratisierungsprozesses in La Paz erhofft, entpuppte sich der Urnengang schließlich als handfester Wahlbetrug, bei dem vor allem die Militärs kräftig mitgemischt hatten. Der zweifelhafte Sieger dieser Wahlen, Luftwaffengeneral Juan Pereda Asbün, bat daraufhin zusammen mit dem regierenden Diktator Hugo Banzer das Wahlgericht, die Wahlen zu annullieren und diese zu wiederholen, „um Bolivien Leid und Tränen zu ersparen”.
Bolivien kommt nicht zur Ruhe: Hatte man sich von den Präsidentschaftswahlen am 9. Juli die Einleitung eines Demokratisierungsprozesses in La Paz erhofft, entpuppte sich der Urnengang schließlich als handfester Wahlbetrug, bei dem vor allem die Militärs kräftig mitgemischt hatten. Der zweifelhafte Sieger dieser Wahlen, Luftwaffengeneral Juan Pereda Asbün, bat daraufhin zusammen mit dem regierenden Diktator Hugo Banzer das Wahlgericht, die Wahlen zu annullieren und diese zu wiederholen, „um Bolivien Leid und Tränen zu ersparen”.
So ernst konnte es Pereda mit diesei „Rettungsaktion” freüich nicht gemeint haben: Wenige Tage nach den Wahlen führte er eine Müitärrevolte an und zwang mit Unterstützung von Teilen der Luftwaffe und des Heeres Staatschef General Hugo “Banzer, rund drei Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit, zur Übergabe der Regierungsgeschäfte an eine Junta, die aber sofort die Macht an Pereda abtrat. Am Abend des 21. Juli konnte sich Pereda Asbün als Präsident ausrufen lassen, nicht mehr als gewählter (darauf hatte er kurz vorher verzichtet), sondern als sich an die Macht geputschter Staatschef. Die Geschichte des umsturzfreudigsten Landes in Lateinamerika ist damit um ein trauriges Kapitel reicher.
Bolivien ist ein traditionell unruhiges Land. Seit der von Simon Bolivar im Jahre 1825 herbeigeführten Unabhängigkeit erlebte das nach ihm benannte Land 188 Staatsstreiche. Das ist absoluter Weltrekord. Die rechten und linken Putsche waren oft nichts anderes als Operetten-Revolten. Revolutionär hingegen war im Jahre 1952 die von Paz-Estensorro durchgesetzte Agrarreform zugunsten der bis dahin praktisch rechtlosen indianischen Bevölkerungsmehrheit. Freüich, die landwirtschaftlichen Erträge sind nicht wesentlich gestiegen, seit rund 60 Prozent der Bevölkerung als Kleinbauern auf eigenem Grund und Boden leben. Reformen in Bolivien, so wird gesagt, scheiterten an der Apathie der Eingeborenen, deren Ehrgeiz nicht über eine bescheidene Subsistenzwirtschaft hinausgehe.
Neben Paraguay ist Bolivien das ärmste, am wenigsten entwickelte Land im südlichen Amerika; es verfügt zwar über reiche Mineralvorkommen in den Anden wie über Erdöl- und Erdgasschätze in den Yungas. Aber Bolivien hat große Transpartprobleme - ein Umstand, der nicht gerade die staatliche Einheit fördert. Bis in unsere Zeit blieb dieser seit dem „Salpeterkrieg” (1879 bis 1883) vom Meer abgeschnittene Binnenstaat ein Indioland, dessen extreme Natur nur wenige Weiße anzuziehen vermochte; sie machen weniger als zehn Prozent der 5,6-Mülionen-Bevölkerung Boliviens aus. Aber vornehmlich Weiße büden seit der spanischen Eroberung die Oberschicht.
Entwicklungshelfer finden in’ diesem Land ein weites Betätigungsfeld. Zwei Fünftel der Bevölkerung sind Analphabeten. Der Schulbesuch, auch das Universitätsstudium, ist kostenlos. Es besteht Schulpflicht, zumindest auf dem Papier, es fehlt jedoch an Dorfschulen, und viele Eingeborene sprechen nur ihre Indiodialekte, nicht die offizielle spanische Landessprache.
Die Gehälter sind so niedrig, daß viele Bolivianer zwei oder drei Beschäftigungen nachgehen. Ein Lehrer verdient umgerechnet monatlich 300 Mark, ein Universitätsprofessor 1100 Mark. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in diesem kraß unterentwik- kelten Land beträgt 316 Dollar.
Die Frage, ob durch eine Demokratisierung die großen sozialen Probleme Boliviens gelöst werden können, stellt sich angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen erst gar nicht. Aber hat die Demokratie in diesem umsturzfreudigsten Andenstaat überhaupt eine Chance? Der Weg in Richtung Demokratie ist jedenfalls viel steiniger als Optimisten in La Paz angenommen haben. Bevor etwa bei den eingangs erwähnten Präsidentschaftswahlen vom Juli die Stimmen ausgezählt waren, wurde der Kandidat des bolivianischen Müitärregimes, eben der Luftwaffengeneral und Innenminister Juan Pereda Asbün, zum Wahlsieger erklärt. Eine internationale Beobachterkommission bezeichnete die Wahlen als „einen großen schamlosen Betrug”. Angeblich wurden Wahlurnen gesetzwidrig von Armeeangehörigen weggeschafft und Zählprotokolle gefälscht In einigen Provinzen wurden mehr Stimmen gezählt, als Wähler eingetragen waren. Der aussichtsreichste Oppositionskandidat, das ehemalige Staatsoberhaupt Herman Sües Zuazo, trat denn aus Protest auch in einen Hungerstreik.
Nach dem Putsch Peredas wurde über ganz Bolivien der Ausnahmezustand verhängt - ein eher normaler Zustand in diesem unruhigen Land. Ein Ausblick in die Zukunft des Landes ist so gut wie unmöglich, nur soviel scheint sicher; Auch Pereda wird auf dem wackligsten Präsidentenstuhl Lateinamerikas sitzen.
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