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Um gute Kontakte mit Moskau bemüht

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Bereits im Mai 1945 wurde in Wien die Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion gegründet. Der damalige Unterstaatssekretär Für Unterricht in der Provisorischen Staatsregierung, Karl Lugmayer (ÖVP), wurde bald im Vorstand Vizepräsident. Er gehörte zu den charakteristischen Gestalten des neuen Österreich.

In der Zeit von 1938 bis 1945 hatte sich Lugmayer für die neuen Aufgaben gründlich vorbereitet. Seine Studierstube in Starchant war der Treffpunkt für viele geistige Auseinandersetzungen.

Bei einer Zusammenkunft im Gasthaus Knakal (Starchant, Wien XVI) erzählte Jakob Kaiser, der einzige Uberlebende aus dem Kreis um Carl Goerdeler, von den Vorbereitungen zum Sturz Hitlers. Kaiser stellte sich ein weiteres Verbleiben Österreichs bei Großdeutschland vor.

Er stieß bei den Österreichern auf allgemeine Ablehnung. Lugmayer fragte Kaiser, wie sich die Nachfolger Hitlers zu den Ostfragen verhalten werden. Kaiser antwortete: „Wir brauchen Raum”.

Lugmayer war hier anderer Meinung. Er studierte nun besonders die russische Sprache und Kultur, um bei der Herstellung von geordneten Beziehungen zur UdSSR das notwendige geistige Rüstzeug zu besitzen.

Uber die Arbeit im Staatsamt für Unterricht urteilt Ernst Fischer (KPÖ) über Lugmayer: „Er war klug, schnell und ein hilfsbereiter Mitarbeiter. Daß er versuchte, möglichst viele seiner Couleur heranzuziehen, wußte ich, ja noch mehr, ich war darauf angewiesen, die Sozialisten hatten wenig anzubieten.”

Bereits 1946 schrieb Lugmayer in seiner Zeitschrift „Neue Ordnung” ausführlich über das Schlagwort vom neuen Österreich als Brücke zwischen Ost und West. 1947 formulierte er konkret im „Kleinen Volksblatt”: „Österreich wird mit Rußland in Zukunft in möglichst aktiver Freundschaft leben ... Freundschaft gibt es aber nur zwischen Gleichen, nicht zwischen Herren und Hörigen.”

Durch seine klare und ehrliche Haltung gewann Lugmayer in der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft und bei den Russen immer mehr Ansehen.

Im März 1953 war Stalin gestorben. Lugmayer wurde Bundesobmann-Stellvertreter des ÖAAB und Vorsitzender des Bundesrates. Julius Raab wurde Bundeskanzler und kam wegen seiner Haltung gegenüber den Russen unter scharfen Beschuß durch die „Arbeiterzeitung”. Der österreichische Botschafter in Moskau, Norbert Bischoff, hielt Raab im Hinblick auf einen durchaus möglichen Staatsvertrag in sympathischer Haltung.

Damals bekam Karl Lugmayer von der Moskauer Gesellschaft zur Pflege der kulturellen Beziehungen mit dem Ausland eine Einladung zu einer Studienreise nach Moskau. Lugmayer besprach die Lage auch mit Viktor Matejka, der von Botschafter Bischoff sehr genaue Informationen bekam. Jetzt mußte eine Vertrauensbasis zu Moskau hergestellt werden.

Lugmayer ging zu Parteiobmann Raab, der kurz sagte: „Fahr nur voraus, ich komme schon nach, laß die ,Hund* nur ruhig bellen.” Auf Grund eines Parteibeschlusses durfte der Kulturdelegation kein Mitglied der SPÖ angehören.

Der Abflug nach Moskau erfolgte mit einer Maschine der „Aeroflot” von Vöslau. Gleich nach der Ankunft in Moskau wies Lugmayer die Kritik über die schwachen Ergebnisse der österreichisch-sowjetischen Beziehungen zurück und verwies auf die Folgen, die eben Besatzungsverhältnisse mit sich bringen. Während der kommenden drei Wochen kam es zu unzähligen Gesprächen.

Während der Abwesenheit von Wien stand Lugmayer wegen seiner Moskaureise am Parteitag der SPÖ am 6. November 1953 unter Beschuß. Kanzler Raab stellte sich in aller Öffentlichkeit ganz hinter Lugmayer. Am 13. November wurde Karl Lugmayer auf dem Flugplatz von Vöslau von Gesandten Timoschtschenko empfangen. Am gleichen Tag wurde der Rücktritt von Minister Karl Gruber bekannt.

Die Angriffe und Beleidigungen in der „Arbeiterzeitung” dauerten nun wochenlang. So erschien noch am 29. November der Aufsatz „Die Marionetten des Neutralismus”. Botschafter Bischoff war darüber sehr bestürzt und schrieb am 8. Dezember in einem Brief an Lugmayer u. a.: „Mit Mitgefühl, aber ohne Überraschung sehe ich, mit welchen Massen Unflat und Infamie man Sie überschüttet...

Nach dem Staatsvertrag erklärte Raab öffentlich, daß er ohne der Reise von Lugmayer nicht nach Moskau gefahren wäre. Im Mai 1954 lehnte Adolf Schärf dreimal eine Beteiligung von SPÖ-Ministern an einer Reise nach Moskau ab. Am 28. Juni flogen dann Minister Franz Thoma und, auf besonderen Wunsch von Raab, auch der Staatsbeauftragte Johann Blöchel nach Moskau.

Die ablehnende Haltung der SPÖ gegenüber der Ostpolitik von Raab hielt auch 1955 an. Eine Mitteilung von Raab an Lugmayer vom April 1955 beweist dies deutlich (Brief an Dr. Tscha-dek):

Raab: Herr Vizekanzler, fliegen Sie mit?

Schärf: Ich kann nicht. In meiner Partei gibt es einen Beschluß, daß jeder Besucher Moskaus aus der Partei ausgeschlossen wird.

Raab: Ich mache Sie aufmerksam, daß Sie dann als Vertreter Ihrer Partei an der Erreichung eines Staatsvertrages unbeteiligt sind.

Schärf: Ich werde heute noch einmal mit dem Parteivorstand sprechen.

Kurz darauf erfolgt eine neuerliche Mitteilung von Schärf an Raab: Ich werde mitfliegen, der Parteivorstand ist einverstanden.

Bekanntlich mußte Raab sogar noch in Moskau die letzten Meinungsverschiedenheiten ausräumen. Dabei erklärte Schärf zu Raab gewandt: „Wenn Sie das Wort Neutralität nehmen, fahren wir zurück” (Mitteilung von Ludwig Steiner an Ludwig Reichold). Nun hielt Raab dem Vizekanzler die Folgen einer solchen Haltung vor Augen.

Auf dem Rückflug trat Raab auf Schärf zu: „Na, Herr Vizekanzler, werden Sie jetzt aus Ihrer Partei ausgeschlossen, wenn Sie nach Wien zurückkommen?” (Nachlaß Karl Lugmayer).

Die ganze Geschichte über die Herstellung normaler, freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion ist noch nicht geschrieben. Es ist eine Aufgabe der historischen Wahrheitspflicht, die Gewichte und Verantwortungen so zu verteilen, wie sie damals wirklich lagen.

Nach dem Tod von Karl Lugmayer (1972), dem Sohn eines oberösterreichischen Zollbeamten, erreichte die Familie aus Moskau folgendes Telegramm: „Prof. Lugmayer hat einen ernsten Beitrag zur Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen und kulturellen Verbindungen zwischen dem österreichischen und dem sowjetischen Volke geleistet.”

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