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Um Haaresbreite

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Vor wenigen Wochen erst hat Dänemarks Regierungschef Anker Jörgensen, ganz überraschend auch für seine engsten Parteifreunde, eine umfassende Umbildung seines Kabi-nettes vorgenommen: drei Regierungsmitglieder mußten ihre Posten verlassen, vier neue wurden ernannt, einige der verbleibenden Minister erhielten neue Aufgaben. Um der immer beschwerlicher werdenden Linksopposition in seiner eigenen Partei entgegenzukommen, nahm Jörgensen sogar zwei Gegner der EWG-Mitgliedschaft Dänemarks in das Kabinett auf, darunter eine erst 32 Jahre alte Volksschullehrerin, die an der Spitze des dänischen Widerstandes gegen einen Anschluß ihres Landes an die EWG gestanden hatte. Sie war in aiier Herrgottsfrühe vom Regierungschef angerufen und gefragt worden, ob sie gewillt sei, in die Regierung einzutreten; Ritt Bjerregaard sagte ja, und war zwei Stunden späte:- der jüngste Unterrichtsminister, den Dänemark jemals besessen hat.

Doch die Beschwichtigung der Linken führte zur Rebellion auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie. Am 7. November teilte der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Erhard Jacobsen mit, daß er aus der Partei austreten und eine neue, rechts von der Sozialdemokratie stehende Partei bilden werde. Jacobsen, der durch 20 Jahre sozialdemokratischer Abgeordneter gewesen war, gehörte in seiner Fraktion dem äußersten rechten Flügel an; er setzte sich vor allem für die Besitzer kleiner Einfamilienhäuser ein, die nach seiner Überzeugung von der Regierung viel zu hart besteuert werden. Als er sogar eine Widerstandsgruppe gegen die allzu sozialistenfreundliche Programmpolitik des dänischen Rundfunks aufstellte,

begann man allgemein damit zu rechnen, daß Jacobsen der Sozialdemokratie bald den Rücken kehren werde. Das ist nun geschehen, doch der Außenseiter hat der Regierung bis auf weiteres seine Stimmenhilfe zugesagt, da sich die Regierung im Parlament nur auf 90 Mandate stüt-

zen kann, während die bürgerliche Opposition über 88 Mandate verfügt.

Bei einer wichtigen Abstimmung in einer Steuerfrage waren nun am Donnerstag, dem 8. November, nicht nur ein Abgeordneter aus Grönland, sondern, entgegen seiner Zusage, auch Bürgermeister Jacobsen ausgeblieben. Bei einem Abstimmungsergebnis von 86 zu 86 erschien der —i-ana-1 _i_

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Regierungsvorschlag als abgelehnt und Jörgensen verkündete kurz darauf die Auflösung des Parlamentes und vorzeitige Neuwahlen, die am 4. Dezember stattfinden sollen.

Die Eigentümlichkeiten der dänischen Politik bringen es mit sich, daß es hier vom Tragischen zum Komischen, ja zum Lächerlichen, nicht sehr weit ist. Der abtrünnige Jacobsen wehrte sich nämlich nach seinem Eintreffen im Parlament mit allen Zeichen der höchsten Erregung gegen den Vorwurf, daß er mit voller Absicht der Abstimmung ferngeblieben sei und so zum Sturz der Regierung Jörgensen beigetragen habe. Ein blockiertes Telephon, ein Paar vergessene Augengläser und ein im unglücklichsten Augenblick trocken gewordener Benzintank wurden als Gründe seines Zuspätkommens angeführt. Es kann also ohne weiteres sein, daß die dänische Regierung versehentlich gestürzt worden ist.

Die Neuwahlen allerdings haben fast allen Parteien schwere Sorgen gebracht. Die Arbeiterpartei, die bei den letzten Wahlen im September 1971 noch 37,3 Prozent aller Stimmen erhalten hat, erhielt bei der letzten Meinungsumfrage unter der Wählerschaft nur noch 28,1 Prozent, und nach dem Absprung Jacobsens hat sie ganz sicherlich noch weiter an Boden verloren. Jacobsen selbst, der seine neue Partei „Zentrumsdemokraten“ nennen will, sieht sich gezwungen, innerhalb von zwanzig Tagen 20.000 Unterschriften von Sympathisanten aufzutreiben, wenn sich seine Partei um Wählerstimmen bewerben will. Da er die dafür notwendige Organisation in wenigen Tagen schaffen muß, kann man sehr wohl seiner Versicherung glauben, daß er den Sturz Jörgensens zu diesem Zeitpunkt nicht gewollt hat.

Ist man geneigt, den Zentrums-

dempkraten zuzutrauen, daß sie sechs bis sieben Prozent der Wählerschaft für sich gewinnen könnten, so traut man jedoch auch der Sleuer-verweigererpartei des Advokaten Glistrup zu, auf 13 Prozent aller Stimmen zu kommen. Damit aber würde weder das bürgerliche noch das sozialdemokratische Lager imstande sein, allein eine Regierung zu bilden. Mit Glistrup will und kann

keine der alten traditionellen Parteien zusammenarbeiten, dßchon jetzt zeigt sich die Notwendigkeit, die bisherigen starren Fronten zu zerbrechen, um zur Zusammenarbeit aller verantwortungsbewußten Parteien, zu kommen. Rafft man sich nicht zu einem neuen Denken und einem neuen politischen Stil auf, dann kann das Resultat nur ein Vertrauensverlust für die parlamentarische Demokratie sein.

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