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Um Herz und Niere

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Wer darf über einen Leichnam verfügen?

Die nahen Angehörigen des Verstorbenen? Die Ärzte? Der Staat? Soll jeder Mensch dazu angehalten werden, vor seinem Tod selbst die entsprechenden Verfügungen zu treffen? Was geschieht, wenn er es nicht tut?

Ein Gerichtsurteil vom vergangenen Herbst, eine Lücke in der Gesetzgebung, die sprunghaften Fortschritte der Medizin und eine Aktion der Tageszeitung „Kurier“ haben einem äußerst heiklen Thema wieder zu großer Publizität verholfen: der Organtransplantation - insbesondere der Organentnahme von Verstorbenen.

Bekanntlich wurde kürzlich ein bekannter Wiener Unfallchirurg in erster Instanz verurteilt, weil er der Leiche eines jungen Mannes zu medizinischen Zwecken Knochenspäne entnommen hatte und deswegen von der Mutter des Toten wegen „Störung der Totenruhe“ - nach Paragraph 190 des Strafgesetzbuches, der dafür eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen vorsieht - angeklagt worden war.

Natürlich wurde dieses Urteil vielerorts - nicht zuletzt seitens des Justizministers - mit Befremden aufgenommen. Natürlich besteht die Möglichkeit, daß der Arzt in der nächsten Instanz freigesprochen wird, weil er im Grunde genommen richtig und im Interesse kranker Menschen, denen mit den Knochenspänen des Toten geholfen werden konnte, gehandelt hat. Aber beweist nicht die Tatsache, daß überhaupt ein solches Urteil Zustandekommen konnte, daß auf diesem Gebiet eine gewisse Rechtsunsicherheit herrscht?

Es ist kein Geheimnis, daß ähnliche „Delikte“ laufend begangen werden, daß vermutlich ständig Chirurgen auf der Anklagebank sitzen müßten, würde hier in jedem einzelnen Fall Anzeige erstattet werden und die jeweilige Staatsanwaltschaft alle derartigen „Fälle“ verfolgen. Das geschieht, da ja nur ein immaterieller Schaden vorliegt, in der Regel nicht. Ein Chirurg kann aber - trotz des besagten Urteils - relativ risikolos einem Toten Organe oder Gewebe ent-

nehmen, urp damit seinen Patienten zu helfen.

Für eine Verpflanzung von einem Menschen auf einen anderen kom, men in erster Linie Binde- und Stützgewebe, wie Haut, Knorpel, Knochen, Sehnen oder die Hornhaut des Auges, in Frage. Mit verhältnismäßig großem Erfolg wird heute auch bereits weltweit die Nierentransplantation durchgeführt, in einer Handvoll SpezialZentren verpflanzt man auch Herz und Leber. Bei Lunge und Bauchspeicheldrüse ist man noch ganz am Anfang.

Ganz abgesehen von der Problematik, die sich hinsichtlich des Organempfängers oder eines lebenden Organspenders ergibt, ist auch bei einem toten Organspender Vorsicht geboten. Das beginnt bei der Bestimmung des Todeszeitpunktes, die nach der Deklaration von Sydney von zwei oder mehreren nicht unmittelbar an der Transplantation betei-

ligten Ärzten vorgenommen werden soll. Und das endet bei der Vision von riesigen Organbanken, „menschlichen Ersatzteillagern“, mit denen auch unseriöse Geschäfte, zumindest aber nicht gerade pietätvolle Vorstellungen verbunden werden können.

Letzterem setzt die begrenzte Kon-servierbarkeit der wichtigen Organe vorläufig noch Grenzen. Tatsache ist, daß Organe wie die Niere sofort nach dem Tod des Spenders entnommen werden, die Vorbereitungen dafür sogar noch zu dessen Lebzeiten beginnen müssen - eine Notwendigkeit, die man einsieht, obwohl sie mit dem vielzitierten „Sterben in Würde“ kaum vereinbar scheint.

Das Problem bedarf jedenfalls einer gesetzlichen Lösung, die flexibel genug ist, um allen Einzelfällen gerecht werden zu können. Der Kern dieser Lösung liegt zweifellos in einer Antwort auf die eingangs gestellte

Frage: Wer darf über einen Leichnam verfügen?

Die naheliegende Antwort ist: der letzte Wille des Verstorbenen ist zu respektieren. Wenn aber ein solcher nicht vorliegt? Haben dann die Ärzte das Recht, sich über den Wunsch der Verwandten hinwegzusetzen? Haben die Verwandten das moralische Recht, einen Arzt, der nach bestem Wissen und Gewissen einem Kranken mit einem Organ oder Gewebe eines Toten geholfen hat, „zur Verantwortung zu ziehen“?

Grundsätzlich ist daher jede Aktion, die Menschen veranlaßt, vor ihrem Ableben zum Ausdruck zu bringen, ob sie zum Organspenden bereit sind oder nicht, zu begrüßen. Daß die Bereitschaft, Organe zu spenden, aus der Sicht der christlichen Weltanschauung unbedingt gutzuheißen ist, muß hier nicht eigens betont werden.

Wenn Moraltheologen und Ethiker noch Einwände dagegen haben, dann nur die vorhin genannten, daß - unter Umständen - die Gefahr besteht, im menschlichen Körper einen bis zum letzten ausschlachtbaren „Ersatzteillieferanten“ zu sehen. Hier wird man zweifellos Grenzen zu ziehen haben. Daß dem Leichnam pietätvolle Behandlung widerfahren muß, ist ja schon in vorchristlicher Zeit stets unbestritten gewesen.

Im Zusammenhang mit einer solchen Überlegung unterstützt die FURCHE die Aktion der Tageszeitung „Kurier“ und empfiehlt die Bestellung oder Abholung eines Organspenderausweises beim „Kurier“ (1072 Wien, Lindengasse 52, Tel. 96 21-633), wobei bei schriftlichen Bestellungen die Beilage eines frankierten Rückkuverts erbeten wird.

Eine Aktion, die auf ein freiwilliges Organspenden abzielt, ist sicher die beste Lösung. Eine andere wird in der Bundesrepublik Deutschland vorsichtig angepeilt: nur wer schriftlich eine Organentnahme ausdrücklich ablehnt, kann dann damit rechnen, daß sein Leichnam unversehrt bleibt. Damit kann freilich auch jeder rechnen, der über sechzig Jahre alt wird beziehungsweise aus anderen Gründen nicht als Organspender in Betracht kommt.

Der Christ glaubt an die Auferstehung mit Leib und Seele. Am Aschermittwoch wurde wieder daran erinnert, daß der menschliche Körper Staub ist und wieder zu Staub zerfallen wird. Wenn einzelne Teile dieses Körpers vor dem Zerfall noch anderen helfen können, sollten sie dafür zur Verfügung gestellt werden.

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