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Umdenken ist kein Luxus

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Schon vor geraumer Zeit haben Menschen ihre Umwelt nachhaltig beeinträchtigt. Die Verkarstung und Landschaftszerstörung im Mittelmeerraum ist ein Beispiel Tür die schlimmen Folgen rücksichtslosen Raubbaus an Wald und Uberbenutzung von Weideland.

Auch Giftkatastrophen und „Bürgerinitiativen“ hat es beispielsweise in Japan schon vor 100 Jahren gegeben. Abwässer aus dem Kupferbergbau hatten einen Fluß vergiftet und die Existenzgrundlage Tausender Fischer und Bauern zerstört. Obwohl tragisch für die Betroffenen, waren Schäden dieser Art aus globaler Sicht jedoch unbedeutend.

Erst die „Bevölkerungsexplosion“ in Teilen der Dritten Welt und die „Explosion der Ansprüche“ (im Gegensatz zu Bedürfnissen, die eine natürliche Sättigungsschwelle haben, sind Ansprüche beliebig steigerbar) in den Industrieländern haben die Lage so weit verschärft, daß das längerfristige Überleben schlechthin gefährdet ist.

In den Industrieländern sind es vor allem die Nebenwirkungen des zivilisatorischen Fortschritts, die in zahlreichen Lebensbereichen gefährliche Dimensionen angenommen haben.

Der technische Fortschritt ist das Ergebnis einer konsequenten Anwendung der Naturwissenschaft, die ihre spektakulärsten Erfolge quantitativ-analytischen Methoden und der Spezialisierung auf das winzige Detail verdankt. Die großtechnische Anwendung dieser, unter Ausblendung wesentlicher Teile der Gesamtwirklichkeit (insbesondere der belebten Welt), gewonnenen wissenschaftlichen Ergebnisse konnte nicht ohne verhängnisvolle Neben- und Spätfolgen bleiben.

Die auf Gewinnmaximierung (im Westen) bzw. .auf Produktionsmaximierung (im Osten) ausgerichtete Wirtschaftsweise hat praktisch die gleichen verheerenden Auswirkungen gezeitigt. Industrieabwässer verschmutzen und vergiften Flüsse, Binnenseen und Meeresteile. In Küstennahe vor industriellen oder urbanen Ballungsräumen dehnen sich immer größer werdende Verödungszonen aus, in denen alles höhere Leben erloschen oder schwer geschädigt ist. Fische mit Mißbildungen und Tumoren werden immer häufiger gefangen, viele Seetiere sind wegen Giftanreicherung ungenießbar geworden.

Industrieabgase beeinträchtigen nicht nur den Nahbereich, sondern wirken sich bereits überregional aus, wie etwa in Südschweden, wo Wälder und Binnengewässer von schwefelsauren Niederschlägen geschädigt werden. Manche Gewässer sind bereits so stark angesäuert, daß Lachslarven absterben.

Der lebensfeindliche Fortschritt wirkt sich auch direkt auf die Gesundheit des Menschen aus. In Ballungsräumen nehmen Krebs und vor allem streßbedingte Zivilisationskrankheiten zu. Die Krankheitsursachen sind zu zahlreich, daß klare Ursache-Wir- kung-Beziehungen äußerst schwer feststellbar sind.

Tausende von Chemikalien haben sich als krebsauslösend und erbschädigend erwiesen. Bekannte Beispiele sind Asbest, Polyvinylchloride, Polychlorbiphenyle und Dioxine. Derzeit liegt der Schwerpunkt der Gefährdung in der chemischen Industrie, vor allem in der Gummi- und Kunststoffindustrie und der Petrochemie.

Gemäß einer Meldung der Weltgesundheitsorganisation werden jedes Jahr eine halbe Million Menschen durch Insektizide gesundheitlich geschädigt oder getötet. Die Anfangserfolge in der Malariabekämpfung durch

Großeinsatz von DDT gegen die krankheitsübertragenden Stechmücken sind vorüber.

Es entstanden giftresistente Mückenstämme und die Malaria ist seit einigen Jahren wieder in rascher Zunahme begriffen. Weltweit sind in allen Organismen Rückstände persistenter Biozide nachweisbar, deren gesundheitsschädigende Wirkung erwiesen ist.

Neben diesen unmittelbar lebensbedrohenden ökologischen Auswirkungen moderner Großindustrie und -Produktion dürfen gefährliche gesellschaftliche Aspekte nicht übersehen werden. Die Dinge, die (nach E. F. Schumacher) zu groß, zu kompliziert, zu teuer und zu gewaltsam geworden sind, haben auch eine Eigendynamik erlangt. Milliardeninvestitionen schaffen ökonomische „Sachzwänge“, die den Verlauf der weiteren Entwicklung stärker bestimmen als Vernunft und Verantwortungsgefühl.

In den großen hierarchisch aufgebauten technisch-wirtschaftlichen Strukturen kommt es zur ständigen Zunahme technokratischer Machtakkumulation. DiemultinationalenKonzerne maximieren über Staatsgrenzen hinweg ihre Gewinne unter Ausnützung der Schwächen nationaler Gesetzgebungen und unterdrücken kleines privates Unternehmertum.

Der „militärisch-industrielle Komplex“ betreibt einen internationalen Rüstungswettlauf, der nicht nur enorme Kapazitäten an Intelligenz, Energie, Rohstoffen und Geldmittel verschlingt, sondern alle substantiellen Friedensbestrebungen zunichte.macht.

Politik, als die Kunst in Alternativen zu denken und auch handeln zu können, wird von der Eigendynamik verselbständigter übermächtiger Apparate in Frage gestellt. Es besteht kein Zweifel daran, daß bei Fortschreiten auf dem Weg der bisherigen „Erfolge“ bald der Punkt erreicht ist, an dem eine Umkehr zu spät kommt.

Es ist daher nicht die Frage, ob eine Wende notwendig ist, sondern ob sie überhaupt noch rechtzeitig wirksam werden kann. Bekämpfung der Symptome der Krise mit technischen Mitteln reicht nicht aus, es ist eine tiefgreifende Neuorientierung zu vollziehen. Das lineare, einspurige, auf unmittelbaren Vorteil gerichtete Denken ist von einer Gesinnung abzulösen, die die Welt als kompliziertes, vernetztes System begreift und der langfristigen Bewahrung des Lebens absoluten Vorrang von Gruppenegoismen einräumt.

Individuellem Verantwortungsbewußtsein steht organisierte Verantwortungslosigkeit (in Gestalt technokratischer Großstrukturen) gegenüber. Um

weltschutz ist daher auch ein wichtiges Organisationsproblem.

Weltweit ist eine Alternativbewegung in Entstehung begriffen, die einen grundlegenden Gesinnungs- und Strukturwandel propagiert:

• Selbständige dezentrale Kleinstrukturen statt technokratischer Machtakkumulation

• Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung, Mut zur Verantwortung, Basisdemokratie statt Dirigismus

• Selbstbegrenzung von Rohstoff- und Energieverbrauch in den Industrieländern als erste Voraussetzung einer gerechten Verteilung der Ressourcen unter den Nationen, Solidarität mit den Menschen in der Dritten Welt

• Haushalten statt Raubbau, Maßhalten statt Verschwenden

• Übergang zur Nutzung der Energiequellen (Sonne, Biomasse, etc.) statt immer rascherem Raubbau an den Energievorräten

• Gewaltlosigkeit statt Militarismus und Massenmord

• Ehrfurcht auch vor dem nichtmenschlichen Leben ganzheitliches Denken statt Wissen- Schaftsgläubigkeit und Expertenkult

Ebenso wie sich die Funktion großer Ökosysteme aus dem komplexen Zusammenwirken kleiner Lebensgemeinschaften ergibt, kommt in der dezentralen Gesellschaft die Gesamtleistung durch optimales Zusammenwirken autonomer Einzelleistungen zustande.

Das hervorstechende Merkmal einer ökologisch orientierten Gesellschaft ist die Mannigfaltigkeit der Lebensform.

Während der, ostdeutsche Philosoph Wolfgang Harich einen „allmächtigen Parteiapparat“ für die beste Voraussetzung zur Lösung der Umweltprobleme hält, besteht in der Ökologiebewegung weitgehend Übereinstimmung, daß eine „Wirtschaft und Technik mit menschlichem Antlitz“ (Schumacher) nur in einer wahrhaft humanen Gesell

schaft auf demokratischer Grundlage verwirklicht werden kann.

Aus einem Vortrag bei der Nö-Umweltschutz- enquete „Lebenswerte Gemeinde“

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