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Umgang mit der Zukunft

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Staunend starrte der kleine Junge vom Straßenrand zu uns herüber. Als wir die Ventile des gewaltigen Motors freigelegt hatten, wollte er wissen, was das sei. Das Nächstliegende wäre gewesen, Ihn mit der Bemerkung abzufinden, daß er das doch nicht verstehe. Weniger bequem war es, ihm den Gang eines Ottomotors leicht faßlich zu erklären: daß dieser immer wieder einen Schluck Benzin nehme, welches in seinem Innern angezündet werde, worauf er es schnell wieder ausspucken wolle, weil’s ihm zu heiß sei. Und da mache er eben seinen Mund auf und lasse das Benzin wieder heraus — der Mund aber, das seien die Ventile.

„Das sind aber viele Munde“, antwortete der Kleine flink; die Hydra erhob vielfach das Haupt, das wir ihr abgeschlagen zu haben meinten. Wir mußten uns bereit finden, zu erklären, daß der Motor vier verschiedene Mägen habe, und daß jeder Magen wieder einen Mund zum Schlucken und einen Mund zum Spucken habe. Jetzt lachte der Kleine aus vollem Halse.

Natürlich wollte er uns helfen. So ließen wir ihn denn zuerst das Rücklicht polieren, dann fiel ein Schraubenschlüssel ips Innere der Maschine, und unsere Hände waren viel zu klobig, um ihn her-aufzuholen. Also hoben wir den Knirps über den Kotflügel, und schnell hatte er den Tiefstapler gefischt.

„Wie alt bist du denn?“ fragten wir den geschickten Helfer. „Fünf Jahre“, sagte er, „ich heiße Klaus.“ Die Freundschaft war besiegelt.

Als er im Wageninnern einen Aschenbecher entdeckte, lief er rasch davon und holte drei große Löwenzahnblüten vom Wiesenrain, die er in die „Blumenvase“ tat, damit wir nicht ohne Schmuck fahren müßten. Hätte er die Blumen wohl gebracht, wenn wir ihm vorhin gesagt hätten, er verstünde das ohnehin nicht und er solle den Mund halten? Er fühlte sich ernstgenommen, und das dankte er uns.

Dieses Ernstnehmen ist eines der grundsätzlichen Rezepte im Umgang mit Kindern. Fast immer wird es vernachlässigt, oft in der besten Absicht. Man spricht mit den kleinen Menschen, als gehörten sie nicht zur menschlichen Gesellschaft, man tändelt in einer blödsinnigen Sprache. Eigentlich ist es nicht zu verwundern, daß sie die Erwachsenen für unzurech nungsfähig halten und ihnen kein Vertrauen schenken. Was tun denn Erwachsene?

Sie sprechen dich in einer Sprache an, die man nicht versteht: Ja, wer tömmerlt denn da? sagen sie strahlend, und dann fragen sie als erstes, wie man heißt. Will man selbst etwas wissen, antworten sie, das könne man noch nicht verstehen, sagen aber, man sei ein blonder Süßer und streicheln einem den Kopf. Bauern, Chauffeure und Briefträger sind im allgemeinen weniger putzig, aber sie hören oft nicht auf das, was man sagt. Dabei verstehen wir doch einen Spaß.

Neulich kam ein Autofahrer durch das Dorf, hielt beim Krämer und schraubte seinen Wagen hinten auf. Dann steckte er einen dünnen Stock in die Öffnung und zog ihn langsam wieder heraus. „Was tust du da?“ fragte ich. „Das siehst du doch, ich messe den Benzinstand. Schau nur her: der Stab zeigt mir an, wieviel Liter noch drinnen sind. Du brauchst nur die Zahl dort abzulesen, wo die Säule feiner ist“, sagte der Autofahrer und hielt mir die Stange hin. Aber ich konnte doch nichts lesen, der Stab war von oben bis unten flek- kig, und keine Zahl war zu erkennen. „Mir scheint, du kannst nicht Chinesisch“, sagte der Autofahrer, „sonst müßtest du doch sehen, daß der nasse Streifen bei 28,5 aufhört.“ „Wo, wo?“ sagte ich jetzt, denn ich wollte doch erfahren, wie chinesische Ziffern aus- sehen. Aber jetzt lachte mich der Autofahrer aus: „Hier sind keine chinesischen Ziffern“, sagte er, „auch keine anderen, es sieht nur so aus, weil der Stab Flecken hat.“ Da lachte ich mit ihm, weil er mich hereingelegt hatte.

So einen Spaß läßt man sich gefallen, aber nicht die dummen Witze, die die Onkels mit uns machen, als wären wir Babies.

Braucht es noch weitere Beispiele dafür, wie man mit Kindern umgehen soll? Hier hat einmal selbst eines der Kinder gesprochen, während sonst nur die Erwachsenen über sie reden, und mir scheint, es ist manches Beherzigenswerte dabei sichtbar geworden: daß man sie ernst nehmen soll, die Kleinen, daß man mit ihnen spaßen soll, aber im Ernst; und daß sie gescheiter sind, als man meint. Und daß es nicht ganz einfach ist, sich mit ihnen zu unterhalten, weil man nicht über eine Sache hinweggehen darf, die einem selbst nicht ganz klar ist, Man muß, das hat sich weiter ergeben, niemals vergessen, daß die Kleinen unsere Kameraden sind; Kameraden einer schöneren Zeit, und darum doppelt wert, daß man sie liebe. Zärtlich soll man ihnen entgegenkommen, aber ohne das Vorurteil, daß sie die reinen Engel seien. Sie sind Menschen, wie wir Menschen sind, sie haben ihre Untugenden, ihre naive Grausamkeit, ihre Gier; sie haben alles, was wir später dann zur Vollendung ausgebildet haben; aber noch ist es nur in Ansätzen da, noch liegt der Hauch des Himmlischen darüber. Das Spiel ist Ernst für sie, der Ernst oft nicht zu fassen. Und sie haben ihre kleine männliche Ehre und ihre große männliche Eitelkeit... auch die Damen, die winzigen. Hauchdünn ist die Haut, die über ihren Herzen liegt, und federleicht steigt ihr Gemüt ins Himmelblaue oder sinkt ab in Höllenschwärze.

Jedes Wort an ein Kind ist ein Wort an die Zukunft, es trifft tiefer, als hundert Worte später. So wollen wir sie denn ächten, die kleinen Damen und Herren, die einst die Welt s'ein werden und als welche sie zum Guten zu formen uns unverdientermaßen geschenkt sind.

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