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Umgekehrte Vorzeichen

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Am Beispiel Erdöl sieht man, in welch unglaublich kurzer Zeit heute selbst die gravierendsten Änderungen in der Weltwirtschaft vor sich gehen können. Was vor nur neun Jahren — und was sind schon neun Jahre in einer Branche mit derartig langen Vorlaufzeiten bei In-

vestitionen? — praktisch alle Experten ausgeschlossen hatten, zeichnet sich mittlerweile recht deutlich ab: Der Preis für Rohöl könnte nicht nur kiirzfristig, sondern langfristig wieder sinken.

Mehr noch als beim Quantensprung des Olpreises nach oben, müßte man freilich bei einem Quantensprung nach unten Angst haben, daß die Weltwirtschaft wieder in Unordnung gerät. Im Uberschwang des neuen Reichtums haben viele der Ollän-der ihre gesamte Wirtschaftspolitik auf steigende Verkaufserlöse abgestellt und ehrgeizige Industrialisierungsprojekte gestartet. Schon die Stagnation der Nachfrage noch vor dem Preisverfall hat einige von ihnen in erhebliche Schwierigkeiten gebracht, die natürlich letztlich wieder auf die Industrieländer durchschlagen, weil die Schulden nicht mehr bedient werden und/ oder keine moderne Technologie mehY importiert wird.

:Anders als die entwickelten Länder Mitte der siebziger Jahre, werden diese Länder freilich kaum in der Lage sein, in einer derart kurzen Zeit ihre Volkswirtschaften den neuen Gegebenheiten — stagnierende oder sogar sinkende Erlöse aus dem Olver-kauf — anzupassen. Welche enormen Anpassungsprozesse in den Industrieländern in diesen nur neun Jahren seit dem ersten Olschock erfolgt sind, soll an Hand von einigen sehr eindrucksvollen Zahlen gezeigt werden:

Obwohl noch unmittelbar vor dem ersten Olpreis-schock enorme Zuwachsraten beim Mineralölverbrauch prognostiziert waren, ist der tatsächliche Olkon-sum seither in praktisch allen Industrieländern z^irück-gegangen. In den USA beispielsweise von 776 Millionen Tonnen pro Jahr (1972) auf 760 Millionen Tonnen (1981). in Westeuropa von 704 auf 655 Millionen Tonnen.

Obwohl der Ostblock und einige Entwicklungsländer noch signifikante Verbrauchszunahmen verzeichneten, konnte (oder mußte, je nach Standpunkt) die Weltrohölförderung von 1979 auf 1981 um gut zehn Prozent zurückgenommen werden und nähert sich heuer vermutlich dem Stand von 1972 (dem Jahr vor dem Olpreis-schock).

Dadurch — und die durch den Preisanreiz gesteigerte Explorationstätigkeit der internationalen Olgesellschaf-ten — bleibt die Vision vom Leben ohne Ol vorläufig eine solche: Mit rund 91 Milliarden Tonnen ist der Stand der bekannten sicheren Olreser-ven heute gleich hoch wie vor zehn Jahren, obwohl seither etiva ein Drittel der damals bekannten Reserven verbraucht wurde.

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