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Umkehr an der Seine

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Die Wahlen in Frankreich haben zwar einen bürgerlichen Wahlsieg, jedoch auch zum Teil gewaltige Überraschungen gebracht. Als erste Überraschung gilt, daß es den beiden bürgerlichen Parteien, dem gaullistischen Parteiblock (Rassemblement pour la Republique) Jacques Chi-racs (RPR) und der Demokratischen Union (UDF) nicht gelungen ist, für sich allein eine absolute Mehrheit für die 577köpfige Abgeordnetenkammer zu erzielen. Sie brauchen für eine regierungsfähige Mehrheit die Unterstützung einer rechten Splittergruppe, die jedoch den Bürgerlichen nicht gefährlich sein sollte.

Die zweite Überraschung bildet der Einzug der Rechtsextremen ins Parlament. Mit 34 Sitzen wird die Fraktion Jean Marie Le Pens wenn nicht ein Regierungs- dann immerhin ein parlamentarischer Störfaktor sein. Die bürgerlichen Parteien sind jedoch auf die Stimmen der Rechtsextremen höchstens dann angewiesen, wenn es in den bürgerlichen Rängen zu parteipolitischen Deserteuren kommen sollte.

Keine Überraschung, aber ein besonderes Faktum stellt das erwartete schlechte Abschneiden der Kommunisten dar. Mit 35 Sitzen haben sie die Rechtsextremen nur gerade um einen Sitz geschlagen. Der „historische Niedergang“ der Kommunisten scheint damit besiegelt zu sein.

Obwohl die Sozialisten die Verlierer dieses Urnenganges sind, ist das sozialistische Schiff nicht untergegangen, wie das von den bürgerlichen und rechtsextremen Kräften vorausgesagt worden ist. Im Gegenteil und aller Prognosen zum Trotz hat sich die sozialistische Partei relativ gut gehalten und wird mit 215 Sitzen die stärkste Partei in der künftigen Deputiertenkammer sein.

Mit Recht hat der erste Sekretär der sozialistischen Partei Lionel Jospin darauf hingewiesen, daß die Sozialisten, mit Ausnahme des überwältigenden Wahlsieges von 1981, seit 1905 noch nie ein solch gutes Ergebnis bei Wahlen erzielt haben. Trotzdem ist die Mehrheit der Franzosen von der sozialistischen Regierung Francois Mitterrands enttäuscht. Hauptsächlich zwei schwere ,J?annen“ sind es, die für den Unmut des französischen Wählers sorgen. Eine der „Hauptpannen“

ist zweifellos die leidige „Greenpeace“-Affäre. Staatspräsident Mitterrand und die Regierung Laurent Fabius waren zwischen Staatsräson und (halber) Ehrlichkeit hin- und hergerissen. Offensichtlich zur Schonung der Generäle und des Geheimdienstes mußte der allseits beliebte und äußerst kompetente Verteidigungsminister Charles Hernu den Hut nehmen.

Zu gravierenden Fehlschlägen und Irrtümern kam es nach einigen Attentatswellen auch im Bereich der Terroristenbekämpfung mit zum Teil ernsten Auswirkungen auf Frankreichs Politik im Nahen Osten.

Die sozialdemokratische Regierung Laurent Fabius wird aber vor allem über die unbefriedigenden Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt stolpern. Zu kraß klaffen gerade hier die sozialistischen Wahlversprechen von 1981, mit einer „anderen Logik“ in der Wirtschaftspolitik eine Million Arbeitsplätze schaffen zu können, und eine krisenanfällige Wirklichkeit auseinander. Das ohnehin schwere Erbe Giscard d'Estaings und Raymond Barres von 1,6 Millionen Beschäftigungslosen (und eines stark negativen Außenhandels) hat sich jetzt innerhalb von fünf Jahren auf ein Heer von 2,5 Millionen Arbeitssuchenden erhöht. Was heute die sozial großzügig abgeschirmten Franzosen am meisten verbittert, ist die Ohnmacht der sozialistischen Regierung, den Trend der Arbeitslosigkeit umzukehren.

Als positiv kann bewertet werden, daß es der Regierung gelungen ist, in der gleichen Zeitspanne die Inflation um neun Prozentpunkte herunterzuschrauben. Der Kampf gegen die Inflation soll jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß 2,5 Millionen Franzosen ohne Arbeit auskommen müssen.

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