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Umkehr zum gnädigen Gott

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Das Sakrament der Buße setzt Bekehrung und Hoffnung auf Vergebung voraus -, die Wahrheit vom vergebenden, barmherzigen Gott ist uns heute schwer zugänglich.

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Das Sakrament der Buße setzt Bekehrung und Hoffnung auf Vergebung voraus -, die Wahrheit vom vergebenden, barmherzigen Gott ist uns heute schwer zugänglich.

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Die Notwendigkeit der Umkehr wird heute wieder mehr eingesehen. Es verbreitet sich das Bewußtsein, daß der Mensch nicht so weiterleben kann, ohne sich selbst, seine Mit- und Umwelt zu zerstören. Eine kleine Minderheit versucht auch, daraus Konsequenzen zu ziehen und möchte „anders" leben.

Diese Form der Umkehr, die sehr wichtig ist und zur Entdek-kung neuer oder auch alter Werte führt, ist aber noch nicht jene Umkehr, welche die Bibel mit diesem Worte meint. Sie kann unter Umständen darauf vorbereiten. Bekehrung im Sinne der Bibel ist mehr als die Veränderung der Lebensweise. Sie betrifft die Grundeinstellung des Menschen und erfordert ein neues Verhältnis zu Gott, zu sich selbst und den Mitmenschen. Eine solche Bekehrung gibt es nur dort, wo der Mensch in die tiefsten Wurzeln seiner Existenz vorstößt und Gott begegnet. Er muß erkennen, daß er auch vor Gott verantwortlich ist und schuldig werden kann, und er muß hoffen können, daß Gott die Schuld vergibt und die Chance zu einem neuen Leben schenkt.

Voraussetzung für die Umkehr ist ein echtes Sündenbewußtsein. Es genügt nicht, sich vor sich selbst oder den Mitmenschen schuldig zu wissen. Der Mensch muß erkennen, daß diese Schuld vor sich selbst und den Mitmenschen zugleich auch eine Schuld vor Gott ist und daß in jeder Schuld auch eine Trennung von Gott mitgeschieht. Diese Schuld muß er eingestehen.

„Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir mißfällt" (Ps 51), gesteht David nach dem Ehebruch und nach der Tötung des Urija. Und der verlorene Sohn, der sein Vermögen in einem zügellosen Leben vergeudet hat, gesteht: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen" (Lk 15,18).

Dieses Erkennen und Eingestehen der Schuld, das tiefe Schuldgefühl, ist aber nicht ungefährlich. Es kann den Menschen in die Verzweiflung treiben. Es geschieht auch aus Selbstschutz, wenn Menschen sich entschuldigen oder andere beschuldigen, um sich selbst von Schuld freizusprechen.

Das Eingestehen der Schuld

vor Gott wird nur fruchtbar und heilsam, wenn es sich verbindet mit der Hoffnung auf Vergebung. Dies ist auch dargestellt im Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Menschen ihre Sünden bewußt zu machen, ohne ihnen zugleich Hoffnung zu geben, ist tatsächlich verantwortungslos. Denn erst in der Hoffnung auf Vergebung und auf die Möglichkeit zu einem neuen Anfang wird das Sündenbewußtsein heilsam.

Darum ist die Forderung zur Umkehr — die Bußpredigt—in der

Schrift immer verbunden mit der Verheißung der Vergebung. Auch das Gleichnis von der Umkehr des verlorenen Sohnes ist zugleich und vor allem die Frohe Botschaft vom barmherzigen Vater. Diese Botschaft ist auch heute nötig, selbst wenn gesagt wird, der heutige Mensch brauche und suche nicht so sehr den gnädigen Gott, als vielmehr den gnädigen Mitmenschen. Der gnädige Mitmensch, der vergibt und auch den schuldigen Mitmenschen annimmt, ist sehr nötig, aber er ist in vielen Schuldsituationen ohnmächtig und unzuständig. Sünden vergeben und sie heilen kann letztlich doch nur Gott allein. Gibt es keinen gnädigen Gott, wird nur allzu leicht das gesamte Leben gnadenlos.

Bekehrung und Hoffnung auf Vergebung sind eng miteinander verknüpft. Nicht selten besteht die Bekehrung auch darin, daß der Mensch Angst und Verzweiflung überwindet und auf die Macht Gottes vertraut, auch seinem zerbrochenen Leben noch Sinn geben und einen neuen Anfang setzen zu können. Die verborgene Verzweiflung an sich selbst ist viel weiter verbreitet, als es den Anschein hat.

Die christliche Lehre von der Bekehrung ist etwas sehr Positives und Erfreuliches. Es ist eine Lehre von Freiheit und Gnade; von der Freiheit, weil der Mensch sich zum Guten ändern kann, von der Gnade, weü der Mensch auch nach größter Schuld auf die Vergebung und Zuwendung Gottes hoffen darf: eine Freizügigkeit Gottes, die gerade der „Gerechte" (der ältere Sohn im Gleichnis) schwer versteht.

Aber warum ist dann auch unter Christen das Sakrament der Buße — das Sakrament der Umkehr und Versöhnung — so wenig gefragt? Dafür gibt es viele Gründe. Ein wichtiger Grund besteht darin, daß die beiden bis jetzt genannten Wahrheiten für viele verhüllt sind: die Wahrheit von der Sünde und die Wahrheit vom barmherzigen und vergebenden Gott.

Anstelle des klaren Sündenbewußtseins treten untergründige Schuldgefühle, das Gefühl fundamentaler Unzufriedenheit oder

oft nicht erklärbare Aggressionen gegen sich selbst und die anderen. Aber auch die Wahrheit vom vergebenden Gott ist verhüllt. Sie ist nicht nur verhüllt, weil der heutige Mensch den Zugang zu Gott schwer findet. Der sündige Mensch verbirgt sich auch selbst vor Gott, ähnlich wie die ersten Menschen sich nach dem Sündenfall verbargen, weU sie Angst hatten.

Es kann aber auch sein, daß der Mensch bewußt oder unbewußt die Wahrheit von der Sünde und von Gott „niederhält" (siehe Rom 1,18), damit er sein Leben nicht ändern muß und verschiedene Eigeninteressen weiter verfolgen kann. Denn jede Sünde bringt auch einen augenblicklichen Vorteil, sonst würde sie ja nicht getan.

Es war immer ein Anliegen biblischer und auch kirchlicher Verkündigung, diese Verdunkelungen aufzuhellen und die Augen für die Wahrheit zu öffnen. Die Propheten taten dies mit großer Eindringlichkeit und unter Einsatz ihres Lebens. Auch Jesus öffnet den Menschen die Augen für die Tiefe der Schuld, aber noch mehr für die Liebe Gottes, der ihn gesandt hat zu retten, was verloren war.

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Bekehrungspredigt — jetzt im weitesten Sinn verstanden - in Verruf gekommen ist. Trotzdem wäre sie dringend nötig. Denn ganz auf sich allein gestellt, sind wohl die meisten Menschen nicht imstande, sich selbst zu durchschauen und Gott als den zu erfahren, der jeden aufnimmt, auch wenn er aus größter Schuld zu ihm zurückkehrt.

Getrennt von Gott — das heißt in Sünde — ist und bleibt der Mensch entwurzelt und heimatlos. Der Weg zu Gott zurück ist nicht immer einfach. Aber Gott selbst kommt dem Menschen entgegen: „Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium" (Mk 1,15).

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