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Umstrittene Abrechnung mit dem „großen Steuermann"

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Die längst beschlossene Umbildung der Regierungsspitze werden die nahezu 3.500 Volkskongreßabgeordneten voraussichtlich ebenso widerspruchslos bestätigen wie die wirtschaftspolitische Generallinie und die Streichung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung auf Wandzeitungen aus der Verfassung. Der von oben gesteuerte Prozeß der „Neubewertung der Verdienste und Versäumnisse" Maos scheint aber nicht allseitige Zustimmung zu finden.

Die nach reiflichem Abwägen des Für und Wider über die Bühne gehende Umwertungsdebatte war auf einer ZK-Arbeitskonferenz im November 1978 ausgelöst worden. Ihren vorläufigen Höhepunkt fand sie in der jüngsten ZK-Direktive über die Beseitigung des Personenkults, der nun auch die „Ahnengalerie" mit den Porträts von Marx, Engels, Lenin und Stalin auf dem Platz des Himmlischen Friedens zum Opfer gefallen sind. Die anhaltende Diskussion über das rechte Maß der Mao-Kri-

tik hat eine neue Dimension der innerparteilichen Auseinandersetzung geschaffen.

Am schärfsten hat bisher ZK-Generalsekretär Hu Yaobang, die von Vizepremier Deng Xiaoping in den Vordergrund geschobene Galionsfigur der aufstrebenden Manager-Elite, den Parteigründer unter Beschuß genommen. Bezeichnenderweise in einem Gespräch mit jugoslawischen Journalisten lastete der neue starke Mann in der Parteien-zentrale MaoZedongdie Hauptverantwortung bei der Entfachung der Kulturrevolution an:

Wenn Maos Lehren weiterhin als Richtschnur dienten, seien viele seiner Gedanken dem heutigen Stadium der Revolution nicht mehr angemesssen. Damit zeigte Hu an, daß er trotz aller gegenteiligen Beteuerungen sehr wohl daran denkt, die ideologischen Grundlagen noch ungehemmter umzudefinie-ren.

Kaum weniger kritisch äußerte sich Vizepremier Li Xiannian vor amerikanischen Pressevertretern über die „schweren Irrtümer" Maos, von denen „Verschwörer wie Lin Biao und die Viererbande" profitiert hätten. Die Partei dürfe nicht die „verheerenden Fehler" der Vergangenheit wiederholen, „die nicht zu vermeiden sind, wenn das Schicksal von Partei und Staat in den Händen einer Person liegt".

Dieser Vergangenheitsbewältigung schloß sich offenbar in letzter Minute Maos Nachfolger Hua Guofeng an, indem er der jugoslawischen Zeitung „Vjesnik" gegenüber erklärte, sein Vorgänger - „ein Mensch und nicht ein Gott" - sei als Vorsitzender der Partei auch Tür die zwischen 1966 und 1976 begangenen „schrecklichen Fehler" verantwortlich gewesen.

Der Mann, der seinen Legitimitätsanspruch von einem Satz Maos („Hast Du die Sache in der Hand, bin ich beruhigt") ableitet, wandte dabei die erste der in das 5. Jahrhundert zurückreichenden „36 Kriegslisten" an, das „Tarnkappenstrategem" oder: Selbstschutz durch Signalfälschung. Seine in der Substanz bedrohte Stellung vor Augen, zögerte er nicht, die alten Karten wegzulegen, um die eigene Haut zu retten.

Aber Huas Analyse unterschied sich wesentlich von der Hus. Der Parteichef kehrte die „unauslöschlichen Verdienste" seines Vorgängers hervor, dessen „Beitrag zur revolutionären Theorie und Praxis der hervorragendste war und weiterhin richtungsweisend ist".

In dem Interview fällt die Dringlichkeit auf, mit der Hua den Sturz der „Viererbande" im Oktober 1976 als das Ende der Kulturrevolution bezeichnet. Er verwahrt sich damit unmißverständlich gegen die vor kurzem in offiziellen Texten aufgetauchte Neudatierung, wonach die verdammenswerte Ära erst im Juli 1977 - also mit der zweiten Rehabilitierung Deng Xiao-pings - ihren Abschluß gefunden hätte.

Durch diese merkwürdige Korrektur der Parteigeschichte wird der gegenwärtige Vorsitzende als ursprünglicher Nutznießer von Dengs Entmachtung zum direkten Angriffsziel. Die angekündigte „Uberprüfung" des 1977 von Hua herausgegebenen und jetzt wegen „Manipulationen" heftiger Kritik ausgesetzten fünften Bandes der ausgewählten Werke Maos stellt ein weiteres böses Omen für den zunehmend isolierten und aus seinem Regierungsamt verdrängten Parteichef dar.

Die Gegner einer offenen Kritik an Mao haben sich um Marschall Ye Jian-ying geschart, einen imposanten Patriarchen, der als Vorsitzender des Volkskongresses die Aufgaben eines Staatsoberhauptes wahrnimmt und ein persönliches Prestige besitzt, an das selbst Deng nicht herankommt.

Der heute 82jährige hatte auch die Wirren der Kulturrevolution unbeschadet überstanden und Hua bei der Ausschaltung der dogmatischen Quadriga den erforderlichen Rückhalt der Militärs gesichert. Mit der ganzen Autorität des einstigen Heerführers hatte er vor drei Jahren die Entscheidung

durchgedrückt, Deng an die Spitze von Partei und Regierung zurückzuholen.

Zunächst ganz auf der Linie des zweimal Geächteten, hatte Ye wesentlichen Anteil an der Abrechnung mit der Kulturrevolution, die er als erster in seiner Botschaft zum 30. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik eine „entsetzliche Katastrophe Tür unser ganzes Volk" nannte. Der Staatspräsident legte jedoch größten Wert darauf, den Initiator dieses Debakels unangetastet zu lassen.

Die posthume Rehabilitierung des prominentesten Opfers der Kulturrevolution, des als „chinesischer Chruschtschow" erbarmungslos verfolgten ehemaligen Staatschefs Liu Shaoqi, mußte zwangsläufig auf eine direkte Mao-Kritik hinauslaufen.

Diese hat besonders in den Reihen der Armee Spannungen und Konflikte hervorgerufen. Immer mehr Offiziere, die während der Kulturrevolution auf-

gerückt waren, werden wegen „irriger" Vorstellungen über die gegenwärtigen Ausrichtungen und „verknöcherten Denkens" kritisiert.

So undurchsichtig die Vorgänge im Parteizentrum auch sind, scheint der greise Marschall seine reservierte Haltung aufgegeben zu haben, um einer weiteren Verschärfung der Mao-Kritik und einer vollständigen Verdrängung Huas entgegenzutreten. Hinter ihm dürften sich auch jene verschanzen, die den durch die Politik der „Vier Modernisierungen" bewirkten ideologischen Bruch, die Vorantreibung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts auch mit kapitalistischen Methoden und durch verstärkte Zusammenarbeit mit ausländischem Kapital, nur schwer verkraftet haben.

Der erst 1982 fällige 12. Parteitag, der schon in diesem Jahr stattfinden soll, wird Aufschluß über die neue Wendung in der internen Auseinandersetzung geben.

Manche sehen in dem künftigen Regierungschef Zhao Ziyang, dessen Aufstieg ebenso eng mit der Person Yes verbunden ist wie mit der Dengs, bereits ein Gegengewicht zu Dengs prädestiniertem Nachfolger Hu Yaobang. Dieses Duumvirat dürfte eine entscheidende Rolle in der weiteren Entwicklung Chinas spielen.

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