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Umstrittener China-Flirt

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Nixons Schachzug, bis Ende Mai des nächsten Jahres Peking zu besuchen, wird inzwischen im Land selbst nicht mehr allerorten als grandiose Idee gepriesen, die mit einem Schlag den Gang der Weltgeschichte verändert.

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Nixons Schachzug, bis Ende Mai des nächsten Jahres Peking zu besuchen, wird inzwischen im Land selbst nicht mehr allerorten als grandiose Idee gepriesen, die mit einem Schlag den Gang der Weltgeschichte verändert.

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Im Senat mehren sich die Stimmen, die Nixon erneut vorwerfen, er habe seine verfassungsmäßige Sonderstellung mißbraucht, weil er es unterlassen habe, den Senat vorher ausführlich zu unterrichten. Es melden sich Erinnerungen, die — freilich mit einem ganz anderen Vorzeichen — Parallelen zu Vietnam finden, und es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß Nixons Geheimdiplomatie in Richtung Rotchina in absehbarer Zeit vor dem Untersuchungsausschuß von Senator Ervin zur Sprache gebracht wird, der gegenwärtig bestrebt ist, die besten Wege zu ermitteln, um die Vormachtstellung des Präsidenten durch den Senat zu beschneiden.

Über diese mehr formalen, allgemeinen Bedenken hinaus hat sich jetzt auch die amerikanische Gewerkschaftsbewegung — vor allem deren Vorsitzender, George Meany — kritisch zur China-Ouvertüre Nixons geäußert: „Wir weisen auf die möglichen Gefahren hin, die sich aus einem Appeasement ergeben“ — und Meany erinnerte an das Schicksal des Völkerbundes, der „seine Grundsätze verließ, Äthiopien opferte und den Faschisten Mussolini und seinen Freund Hitler unterstützte“.

Gravierender ails diese persönlichen Bedenken von Mister Meany— die Resolution des amerikanischen Gewerkschaftsbundes regte nur eine „Überprüfung“ der China-Politik Nixons an — sind indessen die Äußerungen verschiedener führender konservativer Politiker und Publizisten, die Richard Nixon, den sie 1968 voll unterstützt hatten, wegen seiner Außenpolitik und den sich nach ihrer Meinung hieraus für die freie westliche Welt ergebenden Gefahren im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl 1972 die Gefolgschaft auf- gekündigt haben.

Man kann sie hier nicht im einzelnen wiedergeben. Wesentlich ist nur, daß die Bedenken dieser Gruppe gegen die amerikanische China-Politik jetzt weitgehend durch die Äußerungen des chinesischen Ministerpräsidenten Tschu En-lai in seinem Gespräch mit dem Kolumnisten der „New York Times“, James Resten, gerechtfertigt werden. Sie verdienen es, im einzelnen belegt zu werden.

Liest man den gesamten Text dieses Interviews, so wird überdeutlich, daß Peking eine Normalisierung zwischen Amerika und Rotchina von mehreren Vorbedingungen abhängig macht. An erster Stelle steht dabei die unmittelbare Beendigung des Krieges in Südvietnam. Tschu Er\-1 ai nennt den Abzug der amerikanischen Truppen „überaus ehrenhaft“ — und zieht flugs die Parallele zum Abzug der Franzosen aus Algerien.

Und Taiwan?

Die zweite Vorbedingung betrifft Nationalchina. Der rotchinesische Premierminister läßt nicht den geringsten Zweifel daran, daß Washington nicht auf zwei Tischen spielen kann, es muß sich entscheiden — entweder Taiwan oder Peking. Sehr klar und dezidiert wendet sich daher Tschu En-lai gegen die „Zwei- China-Theorie“, die — auf Grund japanischer und nationalchinesischer Opposition gegen Nixons Alleingang nach Peking — als Be- ruhigwngspilile ausgedacht und von Außenminister Hogers verkündet worden war. „Taiwan muß ein Teü Chinas sein“ — das ist eindeutig, und es liegt ganz auf dieser Linie: „Ich habe bei vielen Gelegenheiten gesagt, daß die Befreiung Taiwans eine innere Angelegenheit Chinas ist, die keine fremde Macht etwas angeht.“

Es entspricht der Logik Pekings: Die Vereinigten Staaten haben Taiwan „erobert“ und müssen deshalb Taiwan räumen; daß dabei der Ver teidigungspakt mit Washington aufgekündigt werden muß, ist nichts weiter als selbstverständlich: „Wenn Taiwain zum Mutterland zurüdegegeben werden soll, müssen die amerikanischen Truppen abgezogen werden, denn — wie kann es sonst zum Mutterland zurückgegeben werden?“

Im Mittelpunkt des ausgedehnten Interviews steht Pekings nahezu unbeschreibliche Angst vor Japan. In der Lesart des rotchinesischen Premiers haben die Vereinigten Staaten „die Entwicklung Japans zum Militarismus durch eine unbegrenzte Verlängerung des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrags gefördert“. Hier spielen freilich geschichtliche Erfahrungen aus dem historischen Konflikt zwischen Japan und China mit hinein, vermehrt um die Furcht von Japans wirtschaftlicher Potenz, der nur noch eines fehlt: „die atomaren Sprengköpfe“.

Schließlich, der Höhepunkt: „Wenn man wirklich die Spannungen in der ganzen Welt verringern will und nicht verstärken, dann müssen alle fremden Truppen aus allen fremden Ländern abgezogen werden…Das ist eine Frage des Prinzips.“ Übertragen auf Amerikas Engagement heißt das: Abzug aus Südvietnam, Abzug aus Taiwan, Abzug aus Thailand und Laos, Abzug von den Philippinen und Abzug aus Japan, schließlich: Abzug aus Korea.

Japans Reaktion

Die Beurteilung der neuen amerikanischen China-Ouvertüre in der amerikanischen Öffentlichkeit wäre jedoch unvollständig, würde man nicht noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der vielen Amerikanern — besonders in der Industrie — Sorge bereitet: die rapide Ver schlechterung des Klimas zwischen Tokio und Washington. Natürlich ist hier an erster Stelle die Verärgerung Japans über Washingtons Alleingang zu nennen: „Wir müssen achtgeben, daß wir nicht die Freundschaft mit einer Supermacht gegen das brüchige Verhältnis mit einer möglichen Supermacht eintauschen.“ Diese Worte stammen von keinem anderen als dem ehemaligen Unterstaatssekretär im amerikanischen Außenamt, George Ball.

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