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Umstrittener Kompromiß

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Das Höchstgerichtsurfeil in Sachen Familienbesteuerung eröffnet zwar mehrere Möglichkeiten, die festgestellte Ungleichheit aufzuheben. Die Regierungsparteien haben sich aber auf ein Absetzbetrags-Modell eingeschossen, ohne andere Varianten auch nur anzudiskutieren.

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Das Höchstgerichtsurfeil in Sachen Familienbesteuerung eröffnet zwar mehrere Möglichkeiten, die festgestellte Ungleichheit aufzuheben. Die Regierungsparteien haben sich aber auf ein Absetzbetrags-Modell eingeschossen, ohne andere Varianten auch nur anzudiskutieren.

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„Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft" - dieser Satz ist bis heute die Grundlage der österreichischen Familienpolitik. Das heißt, die Familie ist eine Institution, die die Förderung durch die Allgemeinheit - und damit auch durch den Staat - verdient. Die Familie sorgt dafür, daß die Gesellschaft nicht ausstirbt, sie vermittelt durch ihre Erziehungsleistungen soziale Fähigkeiten und Tugenden wie Anständigkeit, Solidarität und so weiter. Ohne das Gedeihen der Familie gedeiht auch die Gesellschaft nicht. Es liegt also im Interesse der Allgemeinheit, daß die Familie auch materiell instandgesetzt wird, all diese ihr zugeschriebenen und geforderten Leistungen zu erbringen.

Ein wichtiges Mittel dazu ist die Steuerpolitik - weswegen auch die Familienverbände stets für ein „familiengerechtes" Steuersystem eintreten. Allerdings gibt es hier ein Problem:

Das österreichische Steuersystem beruht auf dem Grundsatz der Indivi-dualbesteuerung. Das heißt, jeder Bürger ist nach Maßgabe seiner persönlichen Lage (Vermögens-, Einkommenslage) steuerpflichtig. Und zwar so, daß der Wohlhabendere unverhältnismäßig mehr Steuern zu bezahlen hat als der Ärmere. Also: der Steuersatz steigt progressiv; bei ganz niedrigen Einkommen liegt er bei Null, bei mittleren zwischen 22 und 42 Prozent, von ganz hohen Einkommen nimmt der Staat 50 Prozent.

Auf die Familien wird im Rahmen dieses Grundmodells in verschiedener Weise Rücksicht genommen.

□ Wenn ein „Alleinverdiener" Familienmitglieder erhalten muß, zahlt er weniger Steuern.

□ Wenn er für nicht erwerbsfähige Kinder zu sorgen hat, senkt der Staat auch daraufhin die Steuervorschreibung.

Es gibt dabei zwei unterschiedliche Möglichkeiten, diese Steuerminderung festzulegen, nämlich durch „Freibeträge" und „Absetzbeträge".

Die Freibetrags-Regelung bedeutet: Ein Steuerpflichtiger kann bis zu einer bestimmten Höhe die Aufwendungen für die Familienmitglieder von seinen Einkünften abziehen. Die bestimmte zulässige Höhe ist der „Freibetrag". Dadurch vermindert sich das steuerpflichtige Einkommen, es wird weniger Lohn- oder Einkommensteuer bezahlt.

Der „Absetzbetrag" wird anders geltend gemacht: Zuerst wird das „steuerpflichtige Einkommen" ermittelt. Das heißt, es werden von den faktischen Einkünften nur die sogenannten Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen, unter Umständen auch noch Aufwendungen für „außergewöhnliche Belastungen" (zum Beispiel teure, von der Krankenkasse nicht ersetzte Spitalsaufenthalte und ähnliches). Dann wird an Hand der Progressionstabelle ermittelt, wie hoch der Steuersatz (in Prozenten des Einkommens) ist. Danach erst wird der sogenannte „Absetzbetrag" geltend gemacht. Das heißt, man kann bis zu dessen Höhe die betreffenden Aufwendungen geltend machen und vermindert dadurch die Bemessungsgrundlage für die Lohn- oder Einkommensteuer.

Somit ist der Unterschied zwischen beiden Regelungen klar:

□ Im Fall des Freibetrages hängt das Ausmaß der Vergünstigung davon ab, ob jemand ein hohes oder niedriges Einkommen hat. Der Abzug des „Freibetrages" von den (Brutto-)Ein-künften bewirkt nämlich, daß das steuerpflichtige Einkommen absinkt und man dadurch in eine niedrigere Progressionsstufe rutscht. Das heißt, für das Gesamteinkommen bekommt man einen niedrigeren Steuersatz vorgeschrieben. Das bringt somit einen Vorteil bei der Besteuerung aller Einkünfte.

□ Die Regelung des Absetzbetrages bedeutet hingegen, daß sich die Geltendmachung der entsprechenden Aufwendungen nicht auf den Gesamtsteuersatz auswirkt; dieser wird ja schon vorher errechnet.Wer mehr verdient, hat nicht noch einen Extranutzen aus der Senkung seiner Progressionsstufe wie beim Freibetrags-Modell.

Derzeit gibt es „Freibeträge" nur mehr bei den sogenannten „Sonderausgaben" (für Schaffung von Wohnraum, Lebensversicherungsprämien et cetera). Dieser Betrag, den man absetzen darf, erhöht sich bei jedem Kind um 5.000 Schilling beziehungsweise für den nichtverdienenden Ehegatten um 40.000 Schilling.

„Absetzbeträge" gibt es derzeit für Alleinverdiener, also wenn der Ehepartner nicht erwerbstätig ist oder wenn ein(e) Alleinstehende(r) für ein Kind zu sorgen hat. Daneben gibt es noch „Kinderabsetzbeträge", auch wenn beide Eltern erwerbstätig sind.

Schließlich fördert der Staat die Familie auch noch auf andere Weise, nämlich durch die „Familienbeihilfen", die ohne Rücksicht auf Einkommen und Steuerlast ausbezahlt wird.

Der Verfassungsgerichtshof hat nun festgestellt, daß die jetzige Regelung der Absetzbeträge und der Besteuerung die besser Verdienenden ungerecht schlechter stellt und fordert „Kinderlose und Unterhaltspflichtige gleichen Einkommens auch steuerlich gleichzubehandeln" (siehe FURCHE 3 und 12/1992). Im Grunde geht es darum, daß es Eltern nicht zuzumuten ist, daß sie sich wie „Rabeneltern" verhalten. Denn wenn ihnen die Rechts- und Gesellschaftsordnung ein komfortables Leben zubilligt, dann können sie ihre Kinder nicht deutlich schlechter stellen. Der Aufwand für ihre Kinder muß in Relation zur Lebenshaltung stehen und auch steuerlich wirksam werden.

Das Lösungsmodell, das derzeit diskutiert wird, beschränkt sich auf fixe Absetzbeträge pro Kind. Daß man sich für die Absetzbetragslösung entschieden hat, ist schon das Ergebnis eines politischen Kompromisses, offen ist noch die Höhe. Weiters sollen nicht nur die Alleinverdiener - so wie das jetzt der Fall ist - einen solchen Absetzbetrag bekommen. Übereinstimmung herrscht offensichtlich darüber, daß diejenigen, die weniger verdienen und den Absetzbetrag nicht ausnützen können auf Antrag diesen Betrag als direkte Zahlung überwiesen bekommen.

Die ÖVP will eine Staffelung nach der Kinderzahl, Familienministerien Ruth Feldgrill-Zankel forderte mindestens 450 Schilling. Die Begründung ist. daß laut Statistik die Frauen meist nach dem dritten Kind nicht mehr arbeiten gehen können, aber höhere Kqsten anfallen, weil eine größere Wohnung gebraucht wird und so weiter.

Das Kummer-Institut hat ausgerechnet, daß der Absetzbetrag 450 Schilling für die ersten beiden Kinder betragen muß und 570 für ein weiteres Kind, damit das Existenzminimum steuerfrei bleibt. Finanzminister La-cina hat kürzlich nur 300 Schilling pro Kind angeboten. Dieser in Aussicht gestellte Betrag wird wiederum vom Katholischen Familienverband Österreichs als „indiskutabel" verworfen. Nach einem Modeil des Leiters des kirchlichen „Instituts für Ehe und Familie", Helmuth Schattovits, sollten monatliche Absetzbeträge zwischen 420 und 1.370 Schilling vorgesehen werden.

Daß die beiden Regierungsparteien sich so schnell auf das Absetzbetrags-modell eingeschossen haben, hat jede Diskussion über andere Modelle von vornherein ausgeschlossen. Aber die Kritiker des Systems sagen daß der Verfassungsgerichtshof nicht fragt, wie man ärmeren Familien steuerlich helfen kann, sondern er hat eindeutig vorgeschrieben, daß Steuerpflichtige mit Kindern gegenüber Kinderlosen der gleichen Einkommensstufe nicht schlechtergestellt werden dürfen. Das könne man aber nur erreichen, wenn ein progressionswirksamer Abzug erfolgt. Denn nur mit einem Absetzbe tragsmodell kann erreicht werden, daß in jeder Einkommenstufe - also auch bei mittleren und höheren Einkommen - derjenige nicht schlechter behandelt wird, der Unterhaltspflichten hat.

Im Urteil des Verfassungsgerichtshofes heißt es ja, daß sowohl taugliche Frei- als auch Absetzbeträge und direkte Leistungen wie Familienbeihilfen gewährt werden können. Auch andere Maßnahmen wie das „Familien-Splitting" oder Tarifstaffelungen wären möglich, selbst wenn sie im Höchst-Gerichtsurteil nicht extra erwähnt werden.

Beim Splitting-Modell wird das Einkommen der Familie zusammengerechnet und durch die Zahl der Haushaltsmitglieder dividiert. Der Effekt besteht darin, daß dabei „Besteuerungsspitzen" abgebaut werden, falls die Steuerprogression sehr stark ist. Ein ganz hoch Verdienender zieht Vorteile daraus, wenn sein Ehepartner wenig oder nichts verdient, denn er rutscht in der Progressionskala weit herunter. Dieses Modell macht natürlich die Alleinverdienerexistenz weitaus attraktiver.

Bei der Tarifstaffelung würde eine Einteilung in Steuergruppen erfolgen, die den Familienstand widerspiegeln und abnehmende Steuertarife vorsehen.

Ausgestanden ist die Diskussion jedenfalls noch nicht, egal wie hoch der Absetzbetrag letztlich ausfällt.

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