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Umstrittenes Justizmittel

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Im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen beim Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses sitzen derzeit zehn Personen im Wiener Landesgericht in der sogenannten Untersuchungshaft. Weil es prominente Leute betroffen hat, wurden auch Vorwürfe laut, daß in Österreich zu schnell eingesperrt werde. Im ungünstigsten Augenblick, weil dahinter Parteinahme vermutet werden könnte, wurde damit ein Thema angeschnitten, das tatsächlich ein heißes Eisen ist. Daher ist es angebracht, sich mit den grundsätzlichen Problemen - unabhängig vom Anlaßfall -auseinanderzusetzen.

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Im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen beim Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses sitzen derzeit zehn Personen im Wiener Landesgericht in der sogenannten Untersuchungshaft. Weil es prominente Leute betroffen hat, wurden auch Vorwürfe laut, daß in Österreich zu schnell eingesperrt werde. Im ungünstigsten Augenblick, weil dahinter Parteinahme vermutet werden könnte, wurde damit ein Thema angeschnitten, das tatsächlich ein heißes Eisen ist. Daher ist es angebracht, sich mit den grundsätzlichen Problemen - unabhängig vom Anlaßfall -auseinanderzusetzen.

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Präzise Zahlen einer Statistik des Europarats aus dem Jahre 1974 zeichnen ein düsteres Bild: Danach dokumentiert sich die heimische Balkanlandschaft nicht nur im Korruptionsmilieu.

Auch im „Umgang mit der persönlichen Freiheit" (ein Justizbeamter) folgt die Alpenrepublik orientalischen Spuren.

So etwa belegte Österreich im europäischen Wettlauf um die höchste Häftlingszahl den zweiten Platz. Nach der Türkei.

Auch die Zahl der Untersuchungshäftlinge sei im Vergleich mit anderen europäischen Nationen ungewöhnlich hoch. Österreichs Richter fühlen sich -so die Justizmeinung - weitaus häufiger veranlaßt, Untersuchungshaft zu verhängen, als ihre kontinentalen Kollegen.

Und Michael Neider, Justizminister Christian Brodas langjähriger Sekretär, formuliert die Meinung seines Herrn so: „Es wird zu viel und zu schnell eingesperrt."

Der Jurist sieht den Grund für das Richterverhalten in der österreichischen Rechtstradition: „Der Gedanke der persönlichen Freiheit ist bei uns nicht so vertieft wie beispielsweise im angelsächsischen Bereich."

Rechtsanwaltspräsident Walter Schuppich wiederum glaubt im „legiti-" men Vergeltungsbedürfnis der Bevölkerung" die tiefere Ursache für die Häufigkeit der U-Haftnahme zu finden: „Das schwappt unbewußt auf die Entscheidung des Richters über, der dann die Haftgründe extensiv auslegt."

Für den gewitzten Anwaltskämmerer gibt es noch ein weiteres Motiv: Das richterliche Aufklärungsbedürfnis.

Schuppich: „Oft wird in der Erwartung, daß man rascher aufklärt, inhaftiert". Seine Begründung: „Der Betroffene steht unter schwerer Schockwirkung."

Selbst Richtervertreter Udo Jesio-nek will dem nichts entgegenhalten. Freilich sucht er die Schuld weniger in seiner Zukunft als im einschlägigen Paragraphenwerk: „Die U-Haftbe-stimmungen sind zu weit gefaßt. Sie lassen dem Richter zu viel Interpretationsraum."

Und ÖVP-Justizsprecher Walter Hauser steht zwar den Schlußfolgerungen des Europarates skeptisch gegenüber („Ich weiß nicht, ob die Statistiken stimmen"), dennoch macht auch ihn das Resultat nachdenklich: „Es gibt zu denken, daß die Statistik so nachteilig für uns ausfällt."

Frage: Bringt unser Rechtsstaat zu viele Bürger hinter Gitter oder ist die Zahl der Gesetzesbrecher in Österreich um so viel höher als anderswo?

Hauser geht die Sache differenzierter an. Der Oppositionsparlamentarier wehrt sich gegen „Pauschalurteile" und gegen den Globalvorwurf, Richter würden unter Einfluß handeln: „Das muß man ablehnen."

Um später einzuräumen: „Es kann schon sein, daß hin und wieder ein Richter unter dem Druck der öffentlichen Meinung vorschnell handelt. Die allgemeine Klage aber ist unzulässig."

Flugs will er seine Überlegungen ins rechte Licht gerückt wissen: „Jede Erklärung, die von einem Politiker kommt, wird als politische Unterstellung interpretiert."

Nach geltendem Recht wird die U-Haft vom Untersuchungsrichter verhängt. Allerdings kann dieser nur im Rahmen einer Voruntersuchung tätig werden, die wiederum vom weisungsgebundenen Staatsanwalt beantragt wird.

Verhärtet sich während der Untersuchung der Verdacht auf einen kriminellen Tatbestand sowie der Verdacht auf Verdunkelungs-, Flqcht- und/oder Wiederholungsgefahr, so erläßt der Richter einen Haftbefehl.

Freilich muß die Untersuchungshaft unterbleiben, wenn „gelindere Mittel" (Justizsprache) ausreichen, die genannten Gefahren zu bannen. Zum Gelöbnis, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens weder zu flüchten, noch sich verborgen zu halten, noch sich ohne Genehmigung des U-Richters von seinem Aufenthaltsort zu entfernen, kommen als Ersatzmittel die Abnahme des Reisepaßes durch die Polizei oder die Erlegung einer Kaution.

Die jüngste Ministeridee, U-Haft zusätzlich durch Beigabe eines Bewährungshelfers ersetzbar zu machen, wurde von der Opposition abgelehnt. Die Begründung: Man könne nicht daran glauben, daß im Ernstfall ein Sozialhelfer einen Verdächtigen an Flucht, Verdunkelung oder Wiederholung der Tat hindern kann.

Das Dilemma liegt freilich weniger an den gesetzlichen Bestimmungen (Hauser: „Die sind ausreichend") als vielmehr an der richterlichen Interpretation: Der Richter entscheidet im persönlichen Ermessen, ob er dem Verdächtigen Verdunkelung, Flucht oder Wiederholung zutraut und ob er überdies die gelinden Mittel als ausreichend erachtet.

So etwa muten Richter und Staatsanwälte in der Regel gefinkelten Wirtschaftskriminellen eher zu, daß sie sich verabreden. Tatverdächtige dieses Kalibers haben deshalb weniger Chance, der U-Haft zu entkommen.

Der Leiter der Legislativ-Sektion im Justizministerium, Egmond Foregger, attestiert: „Theoretisch besteht zwar kein Unterschied. Praktisch wohl. Je klüger, je prominenter der Verdächtige ist, desto leichter gerät er in U-Haft."

Auch bei Fluchtgefahr sind die begüterten Finanzdelinquenten im Nachteil.

Foregger: „Es spricht zwar dafür, daß der reiche Wirtschaftsverbrecher weniger leicht seine Villa aufgibt, wenn er allerdings über reichliches Bargeld verfügt, ist er mobiler."

Letztendlich freigesprochenen U-Häftlingen (etwa 20 Prozent) drechselt Generalanwalt Christoph Mayerhofer seinen justizphilosophischen Trost: „Im Konflikt zwischen Aufklärungsbedürfnis und den Grundrechten der Rechtsstaatlichkeit kommen auch Unschuldige zum Handkuß."

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