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UMWELT ALS SATELLIT

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Sehr detailliert ist die Wirtschaftsstatistik, eher spärlich die Erfassung ökologischer Kennzahlen. Erst seit kurzem gibt es Versuche, beides systematisch zu verknüpfen. An der Überwindung der dabei auftretenden Schwierigkeiten wird intensiv gearbeitet. Erste Schätzungen lassen große Umweltschäden erkennen.

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Sehr detailliert ist die Wirtschaftsstatistik, eher spärlich die Erfassung ökologischer Kennzahlen. Erst seit kurzem gibt es Versuche, beides systematisch zu verknüpfen. An der Überwindung der dabei auftretenden Schwierigkeiten wird intensiv gearbeitet. Erste Schätzungen lassen große Umweltschäden erkennen.

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FURCHE: ErfaßtdieVolkswirtschqft-liehe Gesamtrechnung (VGR) auch Umweltschäden?

HARALD PAYER: Die VGR ist ein Rechensystem, das etwa seit dem Zweiten Weltkrieg existiert. Sie ist eine Art nationale Buchhaltung. Es geht darum, den jährlichen Produktionswert einer Wirtschaft darzustellen. Mehr kann das System nicht. Vielfach läßt man sich aber dazu verleiten, das Bruttonationalprodukt (BNP) als Wohlstandsindikator zu deuten. Das ist eine Überinterpretation.

FURCHE: Was fehlt dem BNP zum Wohlstandsindikator?

PAYER: Zunächst einmal werden Wohlstandsverringerungen überhaupt nicht abgebildet, etwa eine Verschlechterung der Umweltsituation. Und andererseits werden Größen positiv verbucht, die Uberhaupt nicht wohlstandsmehrend sind. Ein typisches Beispiel sind die Umweltreparaturen. Oder: Wenn auf einer Autobahn ein Serienunfall stattfindet, dann werden die im Gefolge erforderlichen Reparaturen und Spitalsleistungen positiv im BNP verbucht.

FURCHE: Also: je mehr Unfälle, desto höher das Bruttosozialprodukt. Gilt gleiches für die Umwelt?

PAYER: Alles, was für Wasserreinigung oder Luftreinhaltung aufgewendet wird, erhöht das Bruttonationalprodukt. Wird irgendwo ein Filter eingebaut, so erhöhen dessen Kosten das BNP. Die Begründung für die positive Bewertung liegt darin, daß bei diesem Vorgang wirtschaftliche Gewinne erwirtschaftet werden. Daß sich vorher wohlstandsverringemde Effekte Uber längere Zeiträume ergeben haben, bleibt unberücksichtigt.

FURCHE: Gibt es Zahlen, die den Aufwandfür Umweltsanierung erfassen?

PAYER: Vor allem in Deutschland gibt es interessante Bemühungen, diese sogenannten „Defensivkosten" der Volkswirtschaft für den Bereich Umwelt abzuschätzen. Dort schätzt man diese Ausgaben auf drei bis sechs Prozent des Bruttosozialprodukts. Und die Tendenz ist steigend. Mittlerweile gibt es auch einen ersten Versuch, diesen Wert in Österreich zu erfassen. Aufgrund der schlechten Datenlage und großer methodischer Schwierigkeiten wurden bei uns nur die Defensivkosten zugunsten des Waldes und einer höheren Wasserqualität erfaßt. Sie werden auf ein bis zwei Prozent des BNP geschätzt.

FURCHE: Sind das also die Ausgaben zur Verringerung der Luft- und Wasserverschmutzung?

PAYER: Ja. Aber mir ist eine Unterscheidung wichtig: die zwischen Defensivkosten und Folgekosten des Wirtschaftens. Letztere erfassen den Gesamtschaden, der an der Umwelt entsteht. Dieser liegt viel höher als die Defensivkosten, weil vielfach kein (politischer) Wille da ist, Sanierungen durchzuführen. Viele Umweltschäden bleiben unberücksichtigt, vieles weiß man noch gar nicht.

FURCHE: Gibt es Erhebungen, die das Ausmaß der gesamten Umweltschäden erkennen lassen?

PAYER: Das ist ein ganz schwieriges Kapitel. Es gibt eine Schätzung für die Schweiz. Da wurde erhoben, wie groß ist der gesamte Schaden, der durch das Waldsterben entsteht? Man hat dabei versucht, nicht nur wirtschaftliche Schäden zu berücksichtigen, sondern auch schwer quantifizierbare Größen, wie den Erholungswert des Waldes. Das ist immer eine anfechtbare Sache. Überträgt man die Schweizer Werte auf Österreich, so ergäbe das einen Schaden von 18 bis 27 Milliarden Schilling jährlich (700 Milliarden in den nächsten 30 bis 40 Jahren, falls keine wirkungsvolleren Gegenmaßnahmen gesetzt werden).

Auch in Deutschland (damals noch BRD) wurde der Versuch unternommen, eine ökologische Schadensbilanz zu erheben: Durch Luft- und Wasserverschmutzung, Bodenzerstörung und Lärm entsteht ein Schaden von rund 700 Milliarden Schilling pro Jahr bei den rechenbaren Positionen. Auch diese Zahl ist umstritten.

FURCHE: Für Österreich gibt es solche Erhebungen nicht?

PAYER: Nein. Auch nicht für Einzelbereiche. Es gibt zu wenige Daten auf diesem Sektor. Über die tatsächlichen Umweltschäden weiß man eigentlich nur ganz wenig Bescheid.

FURCHE: Sie sprachen aber von einer Erhebung der Defensivkosten in Österreich. Wie kam es dazu?

PAYER: Aufgrund eines parlamentarischen Auftrags wurde ein Projekt gestartet, das die Ökologisierung der VGR zum Ziel hat. Dabei gab es eine Fülle von Problemen zu klären. Zum Beispiel: Was ist alles als Umweltsanierung anzusehen? Derzeit würden wir etwa sagen, daß der Einbau eines Katalysators eine solche Aufwendung ist. Wenn aber in zehn Jahren der Kat selbstverständlicher Bestandteil der Technik ist, wird er nicht mehr unter dieser Bezeichnung laufen. Heute sieht man die Kosten für Kanalisation auch nicht als Umweltkosten an.

FURCHE: Gibt es Überlegungen, die VGR in ein umfassenderes ökologisches Rechensystem zu integrieren ?

PAYER: Im Rahmen dieses Projektes ,.Neue Wege zur Messung des Sozialproduktes" gibt es Vorarbeiten dazu. Dabei zeichnet sich ab, daß man die VGR so beläßt, wie sie derzeit ist. Dieses Rechensystem zu ökologisie-ren, funktioniert nicht. Ergänzend dazu aber soll ein „Umweltsatellitensystem" entwickelt werden.

FURCHE: Was ist das?

PAYER: Es ist ein autonomes Rechenwerk, das ausschließlich auf die Umwelt bezogen ist. Man könnte ein ähnliches Werk für das Gesundheitssystem entwickeln. Die Bezeichnung Satellit kommt davon, daß es ein System ist, das um die VGR kreist. Wirtschafts- und Umweltdaten sollten über beide Systeme verknüpft werden können. Das Statistische Zentralamt hat da ein Konzept entwickelt. An seiner Auffüllung mit Daten wird jetzt gearbeitet.

FURCHE: Was wird da erfaßt?

PAYER: Auf der einen Seite das, was die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft in einem Jahr für Umweltschutz aufwenden. Da ist die Datenlage recht gut. In einem zweiten Bereich sollen laufend physische Meßdaten über Umweltschädigungen erfaßt werden. Das ist viel schwieriger. Da hat die Berichterstattung noch keinerlei Tradition. Dennoch gibt es schon einige Daten Uber Immissionen, also den Eintrag von Verschmutzung. Kaum etwas gibt es bei den Emissionen. Will ich aber Umweltmit Wirtschaftsdaten verknüpfen, dann interessieren natürlich vor allem die Verursacher der Verschmutzungen. Hier muß noch viel geschehen, um die erforderliche Transparenz zu erzeugen. Ganz schlecht sieht es bei den Abwasser- und den Abfalldaten der Betrieben aus. Da gibt es Schätzungen, die sich um den Faktor zehn unterscheiden. Man kann eigentlich überhaupt keine Aussagen treffen, wieviele Tonnen Schwermetalle oder Phosphat oder Chlor oder... in Österreich pro Jahr emittiert werden.

FURCHE: Ist das in anderen Ländern besser?

PAYER: In Deutschland wurde eine Abwasserabgabe eingeführt. Sie erforderte die Erfassung der Schadstoffe im Abwasser. Denn nach deren Menge richtet sich die Höhe der Abgabe.

FURCHE: Und wie wird diese Menge erhoben?

PAYER: Technisch ist das überhaupt kein Problem. In den großen Betrieben wurden entsprechende Meßanlagen eingerichet. Bei den kleinen werden diese Mengen geschätzt.

FURCHE: Gibt es Modelle, die versuchen, den Fluß von Stoffen und von Energie durch die Wirtschaft abzubilden?

PAYER: Hier gibt es viele Modelle. Derzeit werden dazu die Input-

Output-Modelle um Naturkonten erweitert. Man könnte mit diesem Instrument gut die Folgen politischer Entscheidungen durchspielen. Aber auch hier fehlt das Datenmaterial. Und außerdem ist die Erstellung solcher Modelle so zeitaufwendig, daß die Information immer erst mit großer Zeitverzögerung verfügbar wäre. In diesem Bereich der Erfassung von Umweltindikatoren muß noch sehr viel gearbeitet werden, weil die notwendigen Daten weitgehend fehlen. Man weiß sehr genau, was im monetären Bereich der Wirtschaft geschieht, aber Umweltdaten gibt es vergleichsweise sehr wenige. Man kann kaum quantitativ beschreiben, wie sehr unsere Gesellschaft die Umwelt schädigt. Da muß noch sehr viel geschehen. Es fehlen meist auch die gesetzlichen Grundlagen für eine solche Erfassung, und es fehlt der Apparat, die Daten zu erfassen und zu verarbeiten.

Mit Harald Payer, Mitarbeiter am Ökologie-Institut in Wien, sprach Christof Gaspari.

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