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Umweltsanierung beginnt mit Umkehr

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Ein ungewöhnlicher Lebensweg: Habilitation über politische Ökologie in den fünfziger Jahren, Umweltexperte in internationalen Organisationen, schließlich Umsetzen der Theorie in die Praxis: Ernst Florian Winter lebt „alternativ" als Bergbauer im Defreggen-tal

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Ein ungewöhnlicher Lebensweg: Habilitation über politische Ökologie in den fünfziger Jahren, Umweltexperte in internationalen Organisationen, schließlich Umsetzen der Theorie in die Praxis: Ernst Florian Winter lebt „alternativ" als Bergbauer im Defreggen-tal

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FURCHE: Was können Christen tun, um Ökologie auch als religiöse Aufgabe zu bewältigen, setzt dies nicht ein Umdenken voraus?

ERNST FLORIAN WINTER: Ja, sogar ein radikales Umdenken. Das Entscheidende dabei scheint mir zu sein, daß sich der Christ heute wieder auf den biblischen Schöpfungsauftrag zurückbesinnt. Im ersten Buch Mose (1,28-32) wird sehr klar gesagt, in welcher Beziehung der Mensch zur Schöpfung steht: Gott betrachtet ihn als sein Ebenbild und somit als den Mitverantwortlichen für alles Geschaffene, dem die Betreuung dieser Erde obliegt. Wir sind aber nicht zu Betreuern der Schöpfung geworden, sondern zu Ausbeutern und Zerstörern, so daß wir uns jetzt mit einer Umweltkrise konfrontiert sehen, die in einer weltweiten Katastrophe enden kann.

FURCHE: Wo liegt Ihrer Meinung nach die Wurzel des Übels?

WINTER: Für mich ist der Schlüssel zu dieser Frage der Mensch, der von Natur aus böse ist. Das mag sehr hart klingen, aber die Bibel formuliert es nicht weniger hart. (Man lese bei Lukas 11,13 oder Galater 5,19-21 nach.) Täglich erleben wir es, daß der Mensch die Umwelt mißbraucht und die Ökosysteme so zugrunderichtet, daß sie irreparabel werden. Das ist zumindest die Erfahrung, die ich im internationalen Ökologiemanagement immer wieder gemacht habe. Und aus dieser Erfahrung ist folgende Uberzeugung gewachsen: Da der Mensch nicht gut ist, bedarf er der Erlösung, der Errettung von sich selbst.

Die einzig wahre Erlösung bietet uns Gott an, wenn er uns zur Umkehr aufruft. Je mehr Menschen sich aufgrund ihrer inneren Bekehrung zu einem von Gott inspirierten, alternativ-ökologischen Leben bereit finden, umso eher wird es gelingen, die Gefahren, die uns drohen, abzuwenden.

FURCHE: Gibt es in dieser Richtung schon so etwas wie ein soziologisches Modell?

WINTER: Es gibt erste Ansätze dazu: kleine Gruppen und Gemeinschaften, die allenthalben im Entstehen sind und — ähnlich wie die Urkirche — aus dem Bewußtsein ihrer Gottverbundenheit heraus das alternativ-ökologisehe Leben praktizieren, oft in bewußter Abkehr von der westlichen Uberflußgesellschaft. Insofern ist zum Beispiel das Experiment der „Arche" interessant, ein Modell, das von Lanza del Vasto 1948 in Südfrankreich geschaffen wurde. Die wichtigsten Prinzipien, zu denen sich diese Gemeinschaft bekennt, sind: ein einfaches ökologisches Leben, die spirituelle Suche der inneren Demut, mitmenschliche Verbundenheit und Gewaltlosigkeit in allen Dingen des Lebens. Ich selbst arbeite zur Zeit an einem ähnlichen Modell für Bergbauern, indem ich versuche, möglichst viele Menschen auf den Zusammenhang zwischen Ökologie und christlichen Glauben anzusprechen und das Bewußtsein dafür zu wecken.

FURCHE: Und wie beurteilen Sie die Erfolgschancen Ihrer Aktion?

WINTER: Es ist kein Zweifel, daß die Menschen, die in den Bergen leben, für Gott und die Mitmenschen noch sehr offen sind. Das darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der moderne Mensch im allgemeinen dazu neigt, eher auf sich selbst und seine Leistung als auf Gott zu vertrauen. Letzten Endes ist es die Hybris des Menschen, die ihn immer wieder dazu verleitet, losgelöst von Gott und unter Mißachtung der einfachsten Gesetze der Natur seine Pläne selbstherrlich zu verwirklichen. Darin sehe ich die Hauptursache seines Fehlverhaltens in der Natur.

FURCHE: Wo müßte eine konsequent betriebene Umweltpolitik ansetzen und wo enden?

WINTER: Das ist eine sehr komplexe Frage, die ich anhand eines praktischen Beispiels beantworten möchte. Es dürfte wenig bekannt sein, daß derzeit rund zwei Milliarden Bauern auf der ganzen Welt leben, deren Lebensform recht primitiv, aber dafür ökologisch ist. Ich selbst habe mich längere Zeit bei den „campe-sinos" in den Anden aufgehalten. Das sind Bergbauern, die fast ausschließlich für abwesende Landbesitzer deren „hacienda" zu bearbeiten haben und dafür ein elendes Grundstück für die Eigenversorgung bekommen.

Die Nahrungsweise dieser Menschen ist einseitig, armselig, bestehend aus Getreide, Früchten und ganz wenig saurer Milch. Zucker, Salz und Fett sind Mangelware und nur an Festtagen gibt es Eier und Fleisch. Erstaunlich ist aber die Tatsache, daß dort die Menschen sehr alt werden und im allgemeinen glücklich und zufrieden wirken. Ebenso erstaunlich ist die Vitalität des Bodens, die nur auf konsequente Anwendung ökologischer Anbaumethoden zurückzuführen ist.

Diese Situation ändert sich jedoch schlagartig mit der Entwicklungshilfe und dem sich daraus ergebenden Kontakt mit der westlichen Welt. Dem westlichen Menschen ist diese Lebensart nicht nur fremd, sondern geradezu ein Dorn im Auge. Und anstatt diese Menschen dazu zu ermuntern, daß sie in ihrem gesunden Lebensstil fortschreiten, sind die Entwicklungshelfer darauf erpicht, ihnen alle unsere sogenannten Errungenschaften, wie Insektizide und Kunstdünger, aufzudrängen.

Und hier liegt genau der Punkt, wo ich mir ein christliches Engagement oder eine christliche Umweltpolitik vorstellen könnte: Entwicklungshilfe müßte so konzipiert werden, daß man diesen armen Menschen Hilfe bringt, indem man sich mit ihnen solidarisiert, ihre ökologische Lebensweise gutheißt und nach besten Kräften fördert.

Unser aller Uberleben auf diesem Planeten wird nicht zuletzt davon abhängen, ob wir als „ecclesia", was eigentlich Herausgerufene heißt, auch bereit sind, Umweltpolitik im Sinne unseres Schöpfers zu machen: Politik als Hingabe und Liebe zu allem Lebendigen und Natürlichen.

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