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(Un-)Vollendete Tatsachen

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Dieser Tage erhalten die 595 beschließenden Delegierten zum ÖVP-Reformparteitag am 28. und 29. Juni in Wien per Post einen Einladungsbrief. Die einzige konkrete Mitteilung bezieht sich allerdings auf die Quartierzuteilung. Über die Parteireform, die sie beschließen sollen, müssen sie sich vorerst aus der Zeitung informieren.

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Dieser Tage erhalten die 595 beschließenden Delegierten zum ÖVP-Reformparteitag am 28. und 29. Juni in Wien per Post einen Einladungsbrief. Die einzige konkrete Mitteilung bezieht sich allerdings auf die Quartierzuteilung. Über die Parteireform, die sie beschließen sollen, müssen sie sich vorerst aus der Zeitung informieren.

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245 Delegierte, die kraft ihrer Parteifunktion oder als Mandatare mitentscheiden sollen, und 350 Delegierte, die von den Landespartei- und Teilorganisationen - je nach VP-Wählerstimmen beziehungsweise Mitgliederzahlen - entsandt werden, 20 Vertreter sogenannter „nahestehender Verbände” darin eingeschlossen, haben eines gemeinsam: Sie erhalten in diesen Tagen als „Delegierte mit beschließender Stimme” die Einladung zum ÖVP-Reformparteitag samt Quartierzuteilung, dazu ein Gutscheinheft für Tagungsunterlagen, die ihnen in vier Wochen ausgehändigt werden. Bis dahin müssen sie sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die ÖVP-Zukunft aus Medienberichten zusammenreimen.

Eine einzige Anfrage am 28. Juni könnte allerdings, munkeln Parteiinsider, die Delegiertenreihen jäh lichten - oder schlagartig die Finanzen der Bundes-ÖVP sanieren: denn stimmberechtigt wären statutarisch ausnahmslos nur die Vertreter jener Landespartei- und Teilorganisationen, deren Gliederung „ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Gesamtpartei nachweislich und zur Gänze entsprochen hat”.

Wahlkomitee nichtig

Diese 595 Damen und Herren, streng nach landespolitischen Machtkonstellationen sortiert, hat derÖVP-Bundesparteivorstand vom 23. Mai vor (un-) vollendete Tatsachen gestellt: Riegler geht, die Reform steht.

Bis zuletzt hatte Josef Riegler seine Wiederkandidatur als ÖVP-Obmann von einer „effizienten Parteireform” abhängig gemacht. Jetzt tritt er nicht mehr an, weil die Reform abgeschlossen ist.

Der Parteivorstand ist offensichtlich unter Zeitdruck geraten. Obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die schriftlichen Endberichte der von Josef Riegler eingesetzten Beratungsgruppe „Forum 51” vorgelegen sind, wurden einstimmig die Reformanträge verabschiedet.

Ihr harter organisatorischer Kern: Eine „verbindliche” Richtlinienkompetenz für die Bundespartei, zur „Bestimmung der Themen, in denen die Ö VP Themenführerschaft anstrebt und ausbauen will”; eine Verkleinerung des Präsidium auf Parteiobmann, zwei Stellvertreter, Generalsekretär(e) sowie Kanzler oder Vizekanzler und Nationalratspräsident(en), wenn sie von der ÖVP gestellt werden, dazu noch der Klubobmann. Die Bundesparteileitung, bisher nach dem Parteitag das gewichtigste Organ, soll überhaupt abgeschafft werden. Die Regelung der Mitgliedschaft folgt dem bisherigen Statut mit Ausnahme eines Punktes, der heute noch lautet: „Die Mitgliedschaft bei einer Teilorganisation ohne ÖVP-Mitgliedschaft ist zulässig.” Vorwahlen, seit 19 Jahren bereits im Statut verankert, aber nur ein einziges Mal bundesweit praktiziert, sollen verpflichtend sein. in ihr „die Zukunft liegt - für die Politik wie für die Wirtschaft, für die Bildung wie für das Kultur- und Freizeitangebot”. Daraus werden Konsequenzen abgeleitet: „Die ganze Volkspartei und ihre Mitarbeiter - vom Gemeindemandatarbis zur Parteispitze - sind herausgefordert, bei jeder Stellungnahme, bei jeder Aktion, bei jeder Aufstellung von Kandidaten, die neuen aufsteigenden Gruppen in der Gesellschaft unseres Landes zu berücksichtigen und so dem Kern der Parteireform zu entsprechen.” Motto: „Mit den Menschen fühlen”.

Über diese Reformbeschlüsse hinaus wurde vom Bundesparteivorstand

Damit die Partei weiß, wofür sie steht, werden zur Beratung des Bun-desparteivorstandes Fachausschüsse mit „fünf bis 20 Mitgliedern, zuzüglich Experten” eingerichtet, sieben sind bereits eingesetzt: Soziales/Altersversorgung, Verkehr/Transit, Ausländer, Europa, Gesundheit, Steuerpolitik, Bildung/Kultur.

Ein erlesener Kreis von Funktionären wurde auch bereits in die künftige Zielgruppenpolitik der Volkspartei eingeweiht. „In einer für uns erstellten großartigen Analyse”, heißt es in der „Info ÖVP neu”, wurde die Gesamtwählerschaft des Jahres 1990 säuberlich seziert: in ein sozialistisches Lager („allerdings mit der Tendenz zu schrumpfen”) mit 23 Prozent, in ein bürgerlich urbanes (sechs Prozent) und ein bürgerlich ländliches Lager (vier Prozent), in wechselbereite Großparteienwähler (elf Prozent), in eine wohlfahrtsorientierte (28 Prozent) und in eine marktwirt-schaftsorientierte Mittelschicht (18 Prozent) sowie in populistische (sechs Prozent) und idealistische Protestwähler (drei Prozent).

Die „Neue Mittelschicht” wird zum VP-Hoffnungsträger auserkoren, weil eine Wahlkommission bestehend aus den Landesparteiobleuten und den Repräsentanten der Teilorganisationen eingesetzt, die dem Parteitag nicht nur einen neuen Obmann, sondern auch Vorschläge für alle anderen Funktionen unterbreiten soll. Wobei den Vorständlern im Reformeifer eine peinliche Panne passiert ist: Sie sind dafür inkompetent, ihr Beschluß ist nach geltendem Parteistatut nichtig. Denn die Einsetzung von Ausschüssen, „insbesondere des Wahlkomitees” (Paragraph 20, 2d), ist explizit der noch existierenden Bundesparteileitung vorbehalten.

Doch nur ein „General”?

Aber auch bei ihren informellen Gesprächen hängen die „Königsmacher” in einer Frage total in der Luft: Ob sie zwei Generalsekretäre oder doch wieder nur einen einzigen „General” suchen sollen, ist überhaupt offen. Vielleicht ist das aber nicht der einzige Punkt, in dem ein künftiger ÖVP-Obmann noch ein Reformwört-chen mitreden möchte. Und daß die Delegierten nur zum Handheben fürs Abgemachte nach Wien anreisen, ist so auch noch nicht ausgemacht.

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