6994784-1987_05_13.jpg
Digital In Arbeit

Unabhängigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte haben regionale Staatenorganisationen wie der Europarat, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAE) regionale Menschenrechtskonventionen verbindlichen Charakters erarbeitet. Daneben gab es einen Entkolonialisierungsprozeß weltweiten Ausmaßes.

Mit Entstehung der Staaten der „Dritten Welt“ kam ein Rechtsinstitut zur vollen Entwicklung, das man zuvor noch nicht klar erkannte: das Recht der Völker auf Selbstbestimmung.

„Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung: Kraft dieses Rechts bestimmen sie frei ihre

politische Gestalt und streben frei nach wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklung“.

Die Einstimmigkeit, mit der diese „Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker“ im Dezember 1960 vom UN-Treuhandrat beschlossen wurde, täuscht über die Umstrittenheit der Materie hinweg: Wiewohl als Grundsatz universell akzeptiert, ist das Recht auf Selbstbestimmung der Völker nur selten konfliktfrei in die politische Tat umgesetzt worden.

Zwar haben seit 1945 mehr als 75 Kolonien ihre politische Selbständigkeit errungen und die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen erhalten, Für den Historiker in künftigen Zeiten wird vor allem die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine Epoche der Entkolonialisierung erscheinen.

Ein negativer Beigeschmack dieser Entwicklung bleibt dennoch. Nur allzu oft konnte in diesen Jahrzehnten das Recht auf eigenständige Entwicklung erst nach lang dauernden, blutigen Kriegen durchgesetzt werden.

Länder wie Vietnam, Mocambique oder Angola sind bis heute von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Entwicklung gezeichnet. Auch in vielen anderen Fällen war das Recht auf Selbstbestimmung der Völker für Kolonialmächte, die es — wie Portugal — sogar ablehnten, ihre Uberseegebiete als „Kolonien“ im völkerrechtlichen Sinn gelten zu lassen, unverbindliche Rhetorik geblieben.

Auch aktuelle Beispiele zeigen den Widerspruch zwischen den gültigen Prinzipien des internationalen Systems und strategischökonomischen Kolonialinteressen: etwa Osttimor, Neukaledoni-en, die Inseln im Pazifik.

Vor allem aber ist hier die letzte Kolonie Afrikas zu erwähnen: Namibia.

Als Südwestafrika war das riesige Land ab 1884 von deutschen Rohstoffhändlern, Pelztierzüchtern und Abenteurern besiedelt worden. 1915 hatte Südafrika die deutschen Kolonialherren abgelöst und war nach Ende des Ersten Weltkriegs vom Völkerbund beauftragt worden, Namibia zu verwalten und Vorbereitungen für seine Unabhängigkeit zu treffen.

Erst 1966 — nach jahrzehntelanger Weigerung Südafrikas, diesem Mandat nachzukommen — wurde ihm dieser Auftrag entzogen. 1969 erklärte der UN-Sicherheitsrat die Okkupation Namibias für illegal und forderte den Apartheid-Staat zum Rückzug

auf; diese Entscheidung wurde 1971 vom Internationalen Gerichtshof bestätigt.

Namibia wird seit damals — theoretisch, solange die südafrikanischen Truppen nicht abziehen — vom UN-Rat für Namibia von New York aus verwaltet; die 1960 gegründete SWAPO (South West African People's Organisation) ist als authentische Repräsentantin der namibianischen Bevölkerung anerkannt.

Die - unter Amtsführung des damaligen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim verabschiedete — Resolution des Sicherheitsrats 435 von 1978, die die Einzelheiten eines Uberganges Namibias in die Unabhängigkeit regelt, konnte bisher infolge des südafrikanischen Widerstands allerdings nicht durchgesetzt werden.

Der Fall Namibia zeigt fast modellhaft die Interessen, die der uneingeschränkten Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung entgegenstehen: Das Gebiet ist für Südafrika strategisch sehr wichtig und auch wirtschaftlich von großer Bedeutung; Apartheid-Konzerne versorgen von hier aus die Rüstungsindustrie des Westens mit Uran und anderen Rohstoffen — zu billigen Preisen.

Daß der UN-Rat für Namibia in seinem Dekret Nummer eins die Plünderung von Namibias Ressourcen für völkerrechtswidrig erklärt hat, sei hier beiläufig angemerkt.

Daß Namibia der einheimischen Bevölkerung zusteht und keiner auswärtigen Kolonialmacht, ist vom Völkerrecht her keine Frage. Wie der Ubergang in die Unabhängigkeit und die Organisation freier Wahlen erfolgen sollten, ist von den zuständigen internationalen Institutionen ebenfalls geklärt worden. Was jetzt noch fehlt, ist — wie auch in anderen Entkolonialisierungsfragen — der politische Wille.

Und um einen langandauernden, opferreichen Krieg zu vermeiden, steht der Völkergemeinschaft ein Instrumentarium offen: Südafrika durch internationale Sanktionen zur Freigabe des „veruntreuten Pfandes“ Namibia zu zwingen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung