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Unbeholfenheit

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Nicht um Geld, sondern um öl dreht sich in den letzten Wochen die Welt. Zwar legen die Kriegsberichte von den Kampfschauplätzen im Mittleren Osten in erster Linie den Akzent auf die Materialschlacht (anschauliche Tabellen sollen die Kampfstärke der Kriegführenden veranschaulichen und die detaillierte Schilderung vo# Vfcrnichtungsmaterial jagt dem Leser kalte Schauer über den Rücken); nur selten und geradezu verschämt wird darauf hingewiesen, daß es eigentlich Menschen sind, die im.Zuge der Kampfhandlungen elend zugrunde gehen.

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Nicht um Geld, sondern um öl dreht sich in den letzten Wochen die Welt. Zwar legen die Kriegsberichte von den Kampfschauplätzen im Mittleren Osten in erster Linie den Akzent auf die Materialschlacht (anschauliche Tabellen sollen die Kampfstärke der Kriegführenden veranschaulichen und die detaillierte Schilderung vo# Vfcrnichtungsmaterial jagt dem Leser kalte Schauer über den Rücken); nur selten und geradezu verschämt wird darauf hingewiesen, daß es eigentlich Menschen sind, die im.Zuge der Kampfhandlungen elend zugrunde gehen.

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Ankündigungen von Preissteigerungen sowie Drosselung der Förderung lassen in unseren Breiten — auch wenn man sich gelassen gibt — Panikstimmung aufkommen. In aller Welt wenden Hanisterkäufe getätigt, ein Leben ohne Benzin scheint unvorstellbar zu sein.

Die mit Israel mittelbar oder unmittelbar dm Kriegszustand stehenden Staaten nehmen mit rund einem Drittel der Weltförderung eine starke Position ein, noch dazu, da sie — zum Unterschied etwa von den USA, die in der Erdölförderung an erster Stelle stehen — das Rohöl fast zur Gänze exportieren.

Die Golf-Staaten haben bereits eine Preiserhöhung für Rohöl in Höhe von 17 Prozent angekündigt, die OPEC-Staaten erwägen ebenso Erhöhungen sowie Drosselung der Förderung. Der Generalsekretär der OPEC meinte in diesem Zusammenhang, daß bei unverminderter Beibehaltung des derzeitigen Fördertempos die Ölreserven des Nahen und Mittleren Ostens gegen Ende dieses Jahrhunderts erschöpft sein würden und damit die wirtschaftliche Existenz dieser Staaten bedroht wäre. Ein fadenscheiniges Argument, das nur dann Gültigkeit haben kann, wenn diese Länder sich nicht bemuhen, ihre Volkswirtschaften durch Diversifizierung von der Öl-Monokultur wegzubringen, wie es etwa derzeit der Iran mit Erfolg versucht.

Die ungemein starke Position der arabischen Staaten auf dem ölsek-tor muß diese geradezu zu Erpressungsversuchen ermutigen, wobei in der Zielrichtung der Druckausübung von der wirtschaftlichen auf die politische Ebene eine gefährliche Akzentverschiebung stattgefunden hat: als Geisel fungieren diesmal zwar nicht ein paar verschreckte, in einem Flugzeug oder VW-Bus von Maschinenpistolen in Schach gehal-

tene Individuen, sondern ein ganzer Staat: Israel.

Obwohl in diesem arabischen Angriffskrieg Israel die überwältigende Anteilnahme und Sympathie der westlichen Welt zuteil wurde, so blieb es — was zahlreiche Regierungen betrifft — bei Lippenbekenntnissen. Die Vision vom zugedrehten öihahin Meß eine Reihe von treuen Freunden Israels auf eine Politik der „Äquidistanz“ einschwenken. Man gibt sich neuerdings pazifistisch und friedliebend, man erklärt, keine Waffenlieferungen an — wohlgemerkt — beide kriegführenden Teile durchführen zu wollen, wohl wissend, daß sich die Sowjetunion von solch hehren Idealen nicht leiten läßt und dadurch ein Ungleichgewicht im Nahen Osten entstehen muß.

Einzig die USA — wieder einmal in der Rolle der Weltfeuerwehr — haben sich entschlossen, Israel aktiv zu unterstützen; daneben gibt es noch ein weites und profitables Betätigungsfeld für private Waffenschieber, die jene Waffen, die man offiziell nicht liefern darf, dann doch noch an den richtigen Adressaten weiterleiten — mit einem geschmal-zenen Aufpreis, versteht sich!

Großbritannien weigert sich derzeit hartnäckig, den Israelis Ersatzteile und Munition für jene Waffen, die in Friedenszeiten bereitwillig verkauft wurden, zu liefern; Frankreich scheint sich bereits offen für die Sache der Araber eingesetzt zu haben. Und Österreich existiert seit Schönau unter jenen Länden, die proarabisch sind — so der Generalsekretär der Arabischen Liga.

Hand in Hand damit wird neuerdings und höchst unbeabsichtigt das unschöne Lied des Antisemitismus wieder gespielt; nicht von einem Symphonieorchester — aber als leise Hintergrundmusik in der Bar, wo die Gäste die grausige Vision einer autolosen Zeit vor Augen haben.

Der Fetisch Auto fordert jetzt seinen Tribut — auch in Österreich; nach dem kürzlidhen Schock eines benzinlosen Wochenendes gelang es der Regierung in fieberhaften Anstrengungen, alle Reserven zu mobilisieren, um die Benzinversorgung —'Wenigstens vor den Wahlen — ja aufrechterhalten zu können. Die Autofahrer — die wahrscheinlich mit Abstand größte Partei Österreichs — können beruhigt sein.

Im Dunstkreis übelriechender Benzindämpfe wird unsere Abhängigkeit und Unbeholfenheit manifest; der Teufelskreis, in den wir uns freiwillig hineinmanövriert haben, wird — wenn überhaupt — nicht leicht zu lösen sein, die gerufenen Geister vernebeln unsere Urteilskraft.

Die Welt ist in Bewegung geraten; Wertvorstellungen werden über Bord geworfen, neue Wertskalen erhalten Gültigkeit (siehe als drastisches Beispiel die Verleihung des heurigen Friedensnobelpreises!), Heuchelei und Oberflächlichkeit feiern fröhliche Urständ und der Bürger lügt sich in den Sack.

Auf der Strecke bleibt, Friedensvorschläge aus Moskau und Washington hin oder her, ein kleines Land, das um sein Leben kämpft: Israel.

Treibt der Westen dieses Land und seine Menschen neuerlich in eine Krise — weil ihm öl wichtiger als Blut ist?

Die Zeichen stehen, auch wenn die Großmächte verhandeln wollen — auf Sturm. In ihm weht noch der Davidstern — auf einer zerschossenen Fahne.

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