6947491-1983_50_09.jpg
Digital In Arbeit

Unbekannte USA

Werbung
Werbung
Werbung

Klaus Harpprecht, langjähriger Amerika-Korrespondent verschiedener deutscher Medien, klagt nicht zu Unrecht, daß den Deutschen die Geschichte der Vereinigten Staaten „so gut wie unbekannt blieb“. Atlantische Partnerschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat da offensichtlich nicht viel gefruchtet. Dieselbe Beobachtung kann man aber auch in allen anderen europäischen Ländern machen, mit Ausnahme Großbritanniens.

Die jungen Deutschen (und Europäer) kritisieren die junge Weltmacht USA viel lieber, als sie versuchen, ihrem Wesen gerecht zu werden. Vietnam-Verstrik- kung, Watergate-Debakel, La-teinamerika-Politik und NATO- Nachrüstung dazu nur als Stichworte. Und Harpprecht ist zuzustimmen, wenn er feststellt, daß sich mit den Protesten oft „moralische Arroganz, ideologischer Fanatismus und ein abgestandener Kulturhochmut“ vermenge.

Harpprecht versucht den „fremden Freund Amerika“ den interessierten Lesern in einer „inneren Geschichte“ näherzubringen. Und das gelingt ihm auch in weiten Teilen des Buches. Besonders die Zeit seit 1960, die er selbst als Korrespondent miterlebt hat, schildert er packend.

Die Kurzporträts von Persönlichkeiten wie Kissinger, Martin Luther King oder John F. Kennedy sind engagiert und präzise geschrieben, beweisen auch Harpp- rechts Kenntnisse von der zeitgeschichtlichen Literatur.

Besonders erfreulich etwa ist die Einbeziehung der neuesten Erkenntnisse der monumentalen „Havard Enzyklopädie of American Ethnie Groups“. In einem eigenen Kapitel wird die Vielfältig-keit des ethnischen Amerika geschildert und auf die Politik angewandt. Gerade auf diesem Gebiet haben die Europäer noch viel zu lernen.

Wenn Harpprecht ein Leitmotiv hat, auf das er immer wieder zu rückkommt, dann ist es die Religion; oder vielmehr die Erkenntnis, daß in der amerikanischen Gesellschaft — im Gegensatz zur europäischen — Religion und Vernunft nebeneinander bestehen können. Die Einsicht, daß der „religiöse Impuls nahezu jede Regung des öffentlichen Lebens in Amerika durchdringt“, läßt den Autor nicht mehr los.

Im ersten Drittel seines Buches bietet der Autor einen kurzen historischen Abriß über die Grundtendenzen in den USA, die er von den amerikanischen Helden der Revolutionszeit und Persönlichkeiten wie Abraham Lincoln herleitet. Mit Recht verweist er darauf, daß die Zugehörigkeit zu Amerika eine vollständige Identifikation mit Gestalten wie Washington und Jefferson voraussetzt.

Eher unverständlich ist hingegen in diesem Zusammenhang, wenn der Autor die US-Außenpo- litik als „Vollstreckung der weltmoralischen Mission“ interpretiert, dabei aber Präsident Wood- raw Wilson unerwähnt läßt. Die amerikanischen Historiker jedenfalls neigen immer mehr zu der These, daß der Idealismus in der amerikanischen Außenpolitik von Wilson herrührt, während Präsident Harry Truman den scharfen Realismus im Kalten Krieg zur Geltung gebracht habe.

So löblich der Versuch ist, die europäische Ignoranz in Sachen amerikanischer Geschichte zu bekämpfen, so muß der Journalist dabei doch auch auf Grenzen stoßen. Denn die Flut der wissen-schaftlichen Publikationen mit neuen Erkenntnissen ist einfach kaum zu bewältigen.

Für eine umfassende Geschichte Amerikas bleibt zu vieles unerwähnt. Und auch mit den historischen Fakten nimmt er es nicht immer genau, wenn er Präsident Andrew Jackson aus Kentucky (anstatt richtig aus Tennessee) kommen läßt und seinen Nachfolger, Präsident Martin Van Buren (1837—41), ganze acht Jahre als Mann im Weißen Haus regieren läßt. Für Europäer vielleicht nicht so wichtig, für geschichtliche Betrachtungen über die„Jacksonian Democracy“ dagegen sehr.

Trotzdem: Harpprecht nimmt die Herausforderung der amerikanischen Geschichte an. Allein dies ist zu bewundern.

DER FREMDE FREUND AMERIKA. Eine innere Geschichte. Von Klaus Harpprecht. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1982. 480 Seiten, Ln., öS 297,90.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung