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Unbekannte Werke von Paul Klee

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Paul Klee ist für die meisten kunstinteressierten Franzosen eine späte Entdeckung. Erst auf der Pariser Bauhaus-Retrospektive im Frühjahr 1969 erkannte man in ihm und Kandinsky die vielseitigsten, schöpferischsten Meister, „die zwei Leuchttürme“ des Weimarer und Dessauer Instituts. Als wenige Monate später im gleichen Museum — dem Musée National d’art moderne — Klee mit einer eigenen Werkschau von 200 Arbeiten gefeiert wurde, mußte man sich hier endlich mit seiner Bedeutung ab- finden und einigen als künstlerische Erneuerer viel gepriesenen französischen Künstlern der vornehmlich vom Pariser Kunsthandel „entdeckten“ Ecole de Paris ihren Vorläufernimbus absprechen.

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Paul Klee ist für die meisten kunstinteressierten Franzosen eine späte Entdeckung. Erst auf der Pariser Bauhaus-Retrospektive im Frühjahr 1969 erkannte man in ihm und Kandinsky die vielseitigsten, schöpferischsten Meister, „die zwei Leuchttürme“ des Weimarer und Dessauer Instituts. Als wenige Monate später im gleichen Museum — dem Musée National d’art moderne — Klee mit einer eigenen Werkschau von 200 Arbeiten gefeiert wurde, mußte man sich hier endlich mit seiner Bedeutung ab- finden und einigen als künstlerische Erneuerer viel gepriesenen französischen Künstlern der vornehmlich vom Pariser Kunsthandel „entdeckten“ Ecole de Paris ihren Vorläufernimbus absprechen.

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Klee war schon 1967 im Musée Cantini ln Marseille eine Ehrung zuteil geworden, wie sie selten von französischen „Provinzmuseen“ gewagt wird. Die 171 gezeigten Werke waren allerdings nach dem einseitigen Aspekt des mediterranen Ein-

flusses ausgewählt, so daß Klee seitdem in die Reihe der lichttrunkenen Mittelmeerpilger, wie Cézanne, van Gogh, Matisse, Chagall, aufgenommen ist.

1925 debütierte Paul Klee in Paris mit einer Galerieausstellung und wurde prompt mißverstanden. Die Surrealisten bemächtigen sich seiner und deuteten seine Bilder ganz in Ihrem Sinne als naive, träumerischunmethodische Kunst, sie gingen sogar so weit, ihn neben Max Emst, Picabia, Duchamp noch im gleichen Jahr zur ersten internationalen Sur- rcalistenausstellung einzuladen und Ihm damit ein Etikett anzuhängen, das die gängigen französischen Nachschlagewerke noch ünmer unbeirrt nachdrucken. Erst 1938, als der Kunsthändler Kahnweüer in seiner Galerie ein völlig anderes, nämlich methodisch-strenges, Impulsivität und Meditation vereinigenides Klee- Bild offerierte, bahnte sich ein neues Verständnis an, dem die 1948 organisierte offizielle Retrosijektive mit 360 Arbeiten aus der Klee-Stiftung in Bern sicher zum Durchbruch verhelfen hätte, wäre sie nicht wegen endloser Streiks nach zwei Wochen abgesetzt worden.

Nun, fast 50 Jahre nach der ersten Schau, ist es wieder eine Galerieausstellung, die in der französischen Klee-Rezeption Geschichte machen wird. I>er aus Österreich stanunende Galerist Korl Flinker, der hn Herbst 1972 seine Galerie in der rue de Toumon pauteenschlagartig mit teilweise nie gezeigten Blidem von Kandinsky eröffnete, stellt zur Zeit alle anderen Pariser Galerien in den Schatten. Man weiß, wie selten heute eine Kunstgalerie genügend Bilder für eine Klee-Schau zu vereinen vermag (obwohl Klees Werk zu den irnifangredchsten der Kunstgeschichte gehört), um so beeindruckender sind die mit wenigen Ausnahmen zum erstenmal gezeigten 74 Gemälde, Aquarelle und

Zeichnungen aus den Jahren 1908 bis 1940, die zu sehen und teilweise auch zu kaufen »ind.

Kein Wunder, daß Klee-Freunde aus der ganzen Welt dieses befristete Mekka nicht versäumen wollen und man bis zu 2000 Besucher an einem

Tag zählte. Von seiten des Galeristen und der Leihgeber wurde alles getan, um die Ausstellung zu einem memorablen Ereignis zu machen. Aus den Privatbeständen von Felia: Klee und Nina Kandinsky kommt der Hauptteil der Werke. Die chronologische Zusammenstellung der meist kleinformatigen Bilder vermittelt in den intimen, auf zwei Stockwerke verteilten Räumen aufs glücklichste Ihre psychologische Aussage, erlaubt Assozüeren, Entzücken über die Frische der Farben und ständige Verwunderung vor der Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit des „doctor angelicus“, wie der französische Kunsthistoriker André Chastel Klee anläßlich der Retrospektive 1969 nannte.

Als Einübung in Klees Malerei bietet sich Henri Michaux’ Katalogvorwort „Aventures de lignes“ an, eine Hymne, auf das „komplexe Netz der Linien“, den „Schwestern der Farbflecken“, die empfindsame Ze- lebratdon einer Klee ebenso wie dem Dichter-Maler Michaux unentbehrlichen Gegenwelt Was bei Flinker aushängt — von der 1908 entstandenen Federzeichnung „Mutter und Kinder sich vor der Rückkehr des Vaters fürchtend“ bis zu den Jute- bildem von 1940 — darf nicht zuletzt dank seiner Überschaubarkeit als geglückte kunstgeschichtliche Lektion bezeichnet werden.

Es fehlt nicht an von Klee selbst mit „Sonderklasse“ bewerteten Bildern (etwa „Sechs Arten“, 1930), an Parbentriumphen wie „Erinnerung an einen Garten“ aus dem Jahr der Tunisreise (1914), eine der ersten Reaktionen auf die helle Mittelmeer- welt nach fünfzehnjährigem, fast ausschließlichem Beschäftigen mit der Zeichnung. Es fehlen weder jene Mosaiken oder phantastischen Einlegearbeiten gleichenden Kompositionen nach der Natur noch jene die Karikatur streifenden und der bestimmt-klaren graphischen Linie ihre volle Harmonie und Bedeutung belassenden Wasserfarbenbilder, es fehlt nicht an Beispielen für die Verfremdung ohnehin schon befremdlicher Objekte („Astrale Automaten“, 1918) noch für die Reduktion der Wesen und Dinge auf Zeichen, die Jeden hierarchischen Abstand zwischen Mensch und Objekt aufheben. Und immer wieder faszinieren „diese bewundernswerten kalligraphierten Titel auf einem mit dem Lineal gezogenen Strich“, über die Michel Butor ln seinem Büchlein „Die Worte in der Malerei“ eingehend nachdenkt.

Die französische Kritik bedachte die Ausstellung mit rückhaltlosem Lob, sie sieht allerdings in Klee vor allem den „modernen Erben der deutschen Romantik“ und den „Erneuerer der Malerei aus dem Geist der Musik" — Interpretationen, die inzwischen etwas abgenutzt klingen.

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