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Unbequemer Bischof - unbedingter Patriot

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Die Ankündigung der polnischen Regierung, sie werde die beschlagnahmten Kirchengüter in den ehemals deutschen Ostgebieten an die polnische katholische Kirche zurückgeben, trägt innenpolitisch zu jener „Normalisierung” des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche bei, die Parteichef Gierek unmittelbar nach seiner Amtsübernahme als notwendig bezeichnet hatte; außenpolitisch könnte die Rückerstattung des Kirchenvermögens dazu angetan sein, den vielleicht entscheidendsten Einwand des Vatikans gegen eine kirchliche Neuordnung in den früheren ostdeutschen Diözesen zu beseitigen. Wanda Bronska-Pampuch porträtiert nachfolgend den kirchlichen Verhandlungspartner des Parteipräsidenten Gierek.

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Die Ankündigung der polnischen Regierung, sie werde die beschlagnahmten Kirchengüter in den ehemals deutschen Ostgebieten an die polnische katholische Kirche zurückgeben, trägt innenpolitisch zu jener „Normalisierung” des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche bei, die Parteichef Gierek unmittelbar nach seiner Amtsübernahme als notwendig bezeichnet hatte; außenpolitisch könnte die Rückerstattung des Kirchenvermögens dazu angetan sein, den vielleicht entscheidendsten Einwand des Vatikans gegen eine kirchliche Neuordnung in den früheren ostdeutschen Diözesen zu beseitigen. Wanda Bronska-Pampuch porträtiert nachfolgend den kirchlichen Verhandlungspartner des Parteipräsidenten Gierek.

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Als vier Tage nach dem Führungswechsel in der polnischen Partei- und Regierungsspitze Stefan Kardinal Wyszynski in seiner Predigt in der St.-Johannes-Kathedrale in Warschau an die Bevölkerung appellierte, „die Hände an den Pflug zu legen, damit es mehr Brot gebe”, hatte der neue Parteichef, Edward Gierek, die wichtigste Unterstützung erhalten, die er im Lande braucht. Piotr Jaroszewicz, der nun das Amt des Premierminister bekleidet, hatte in seiner kurzen Regierungserklärung einen Tag zuvor nicht umsonst um Verständnis bei den geistlichen Führern gebeten.

Die für Außenstehende erstaunliche Tatsache, daß eine kommunistische Regierung sozusagen der Salbung durch die Kirche bedarf, ist in Polen selbstverständlich: auch Giereks

Vorgänger kamen nicht ohne sie aus — weder Wladyslaw Gomulka, der doch 1956 die Sympathien des ganzen Volkes genoß, noch Boleslaw Bierut, der von Diktator Stalin persönlich protegiert worden war. In dem Vierteljahrhundert der kommunistischen Herrschaft hat sich in dieser Hinsicht nichts geändert. Der Grund dafür liegt nicht allein in der heute fast anachronistisch wirkenden Gläubigkeit der Polen, sondern auch in der nationalen Tradition, in der die katholische Kirche immer eine besondere Rolle gespielt hat.

Der Primas von Polen hat von jeher als eine Art von stellvertretender Regierungsinstanz gegolten. Er war es, der die Könige proklamierte und krönte, und das war ebensowenig wie der erste Sitz im Senat, den er einnahm, nur ein Symbol; es war ein Mandat, das ihm das Volk verliehen hatte. In schweren Zeiten, bei Streitigkeiten um die Krone oder wenn die Herrscher an ihrer Machtaus-

Übung gehindert waren, nahm der Primas die Stellung eines „Inter- Rex” ein; er war nicht nur Herr über die Seelen, sondern eine höchst politische Person.

Der heute 71jährige Stefan Wyszynski — nach einer Operation, der er sich im vergangenen Jahr in Rom unterziehen mußte —, gesundheitlich wieder auf der Höhe, ist sich dieses Mandats vollauf bewußt. In Benehmen und Sprache, die er glänzend zu meistern versteht, ist er ganz Majestät. Temperamentvolle

Ausbrüche liegen ihm ohnehin nicht, der Kardinal ist würdevoll und ruhig, wenn es um die Sache geht. Aber dieses würdevolle Auftreten hindert ihn nicht, konsequent bis zur Halsstarrigkeit bei dem zu bleiben, was er einmal für richtig befunden hat. Für Reformen und Neuerungen im Kirchenwesem hat Wyszynski keinen Sinn, die Diskussionen, die um Papst-Enzykliken im Westen ausgebrochen sind, stoßen bei ihm auf wenig Verständnis, und seine Priester stöhnen unter den Anforderungen, die er — selber ein Asket — an sie stellt. Die ihm widersprechen, halben es nicht leicht.

Diese Eigenschaften des Kardinals haben manche dazu verführt, gewisse Ähnlichkeiten zwischen Wyszynski und dem gestürzten Parteichef Gomulka zu erblicken. „Zwei unbestechliche Asketen beherrschen uns — welches Volk kann das ertragen!” stöhnten pölnische Intellektuelle. Es wäre ungerecht, wollte man den Unterschied nur darin sehen, daß der eine ein erprobteres und darum wirkungsvolleres Dogma vertritt; und billig wäre ės, auf die schnellere geistige Abnützung Gomulkas verweisen zu wollen. Der Kardinal hatte eine sehr viel bessere Bildung.

Ruf nach Meinungsfreiheit

Stefan Wyszynski hat nicht nur Theologie studiert, sondern auch Soziologie. 1928 schrieb er ein Buch unter dem Titel „Der Katholizismus, der Kapitalismus und der Sozialismus”; zehn Jahre später eines über „Die Seelsorge angesichts der modernen sozialen Bewegungen”; 1948 schließlich, also schon nach dem Krieg, über „Geist und menschliche Arbeit”. Das Interesse, das er für soziale Probleme verspürte, fand seinen Niederschlag, als Wyszynski Mitglied des Sozialrates bei seinem Vorgänger Kardinal Hlond war.

Ist es das Verständnis für soziale Fragen, das den Kardinal jetzt ver- anlaßte, in einem Hirtenbrief, der am Neujahrstag 1971 in allen Kirchen Polens verlesen wurde, von der neuen Regierung unter anderem „das Recht auf angemessene Lebensbedingungen für alle Familien und für jeden einzelnen Bürger” zu fordern? In dem vom Aufruhr erschütterten Polen, dem Land, dessen intellektueller Widerstand noch vor wenigen Jahren für die ganze kom- jmunistische Welt (und über sie hinaus) beispielgebend war, ging der Ruf nach Meinungsfreiheit nicht von Schriftstellern und Publizisten aus, er ertönte nicht auf der Straße, sondern wurde von den Kanzeln herab verkündet. Nach der Gewissens- und Religionsfreiheit, nach dem „freien Zugang des Volkes zur christlichen Kultur” und der sozialen Gerechtigkeit forderte der Hirtenbrief des Kardinals am Neujahrstag „Meinungsfreiheit und wahrheitsgetreue Information”.

Die streikenden und demonstrierenden Arbeiter in Danzig, Gdingen und Stettin hatten zwar gerufen: „Die Presse lügt!”, aber sie waren zunächst nur für bessere Lebensund Arbeitsbedingungen in den

Kampf gezogen. Die neue Parteiführung, die durch diesen Kampf an die Macht gelangte, versucht den versprochenen Dialog mit dem Volk zu führen und die wirtschaftliche Misere zu beheben — aber von Meinungsfreiheit und wahrheitsgetreuer Information ist nicht die Rede. Bis heute informierte — mit Ausnahme der Ortspresse an der Küste — keine polnische Zeitung ihre Leser darüber, was eigentlich im Dezember geschehen ist. Über die Forderungen der Arbeiter wurde nicht referiert,

ihrer Verzweiflung über die Opfer, die das brutale Vorgehen der Miliz- und Militäreinheiten gegen die Demonstranten gefordert hat, nicht Ausdruck verliehen. Nirgends ist eine Aufstellung der Zahl dieser Opfer, eine Namensliste der Toten, Verletzten und Verhafteten veröffentlicht worden. Selbst über die Verhandlungen, die Gierek und andere Personen der neuen Parteileitung mit den Werftarbeitern geführt haben, wurden keine Einzelheiten in der zentralen Presse veröffentlicht.

Ist es da verwunderlich, daß Kardinal Wyszynski „sich einmischte”? 1953 hatte der zurückhaltende und diplomatische Kardinal zum erstenmal scharfe Töne angeschlagen. Es war dies, als die Regierung Boleslaw Bieruts auch nach dem Tode Stalins noch fortfuhr, konstruierte Spionageprozesse gegen Geistliche zu inszenieren. Wyszynski protestierte in einem Brief an Bierut gegen die ungerechtfertigt harten Strafen, die über eine Reihe von Priestern, darunter Bischof Kacz- marek, verhängt worden waren. Er bezahlte seinen Protest mit mehreren Jahren Internierung in einem Kloster. Aber er behielt recht: 1956 ließ ihn Gomulka im Triumph wieder nach Warschau holen.

„Wir Polen sind bekannt dafür, daß wir uns opfern können, daß wir unser Leben hingeben können und wunderbar zu sterben verstehen, aber, meine Lieben, es ist nötig, daß wir wunderbar zu arbeiten verstehen!” predigte Kardinal Wyszynski, um die polnischen Landsleute vor unüberlegten Aktionen zurückzuhalten, am 4. November 1956, als die Sowjettruppen in Budapest einmarschierten. „Wir brauchen heute keinen Heldentod im Namen der Vaterlandsliebe, sondern Heldenarbeit tut uns not, aus Liebe zu unserer Heimat!”

Aber die „Heldenarbeit” ist vertan worden, die Chancen blieben ungenützt, und als das Land immer tiefer in die Krise geriet, griff Gomulkas Parteiführung, wie seinerzeit die Bieruts, zu Mitteln der Gewalt. „Gewaltanwendung trägt keineswegs zur Aufrechterhaltung des Friedens bei, vor allem, wenn Frauen und Kinder die Opfer sind”, ließ der Kardinal jetzt von den Kanzeln verkünden. „Das Leben eines

Volkes kann sich nicht in einer Atmosphäre der Angst entwickeln!” Ebenso, meint Wyszynski, habe er im März 1968 reagiert. Diese Reaktion des Kardinals auf die Niederschlagung der Studentenkundgebungen und seine Verurteilung der antisemitischen Kampagne sei reichlich spät gekommen, meinen seine Kritiker — nicht viel früher, als die Distanzierung Gomulkas von der antisemitischen Hetze, in die sich der Kampf der Parteiführung gegen den Revisionismus und einen angeblichen Zionismus verwandelt hatte. Aber hätte Wyszynski diese Entwicklung verhindern können?

Überschätzte Möglichkeiten?

Nach dem März 1968 ist die intellektuelle Vorhut Polens endgültig mundtot gemacht worden. Kein polnischer Schriftsteller — sei er maxi- stischer Revisionist oder Katholik — konnte daher jetzt seine Stimme erheben, um für die Interessen der Arbeiter einzutreten. Zum ersten Male in der Geschichte Polens schwiegen die Dichter, als sich das Volk erhob. Über Danzig gab es keine Gedichte, über die blutigen Auseinandersetzungen keine Reportagen. Keine Soziologen und Juristen sind bereit, die Zwangslage darzustellen, in der die Werftarbeiter handelten, und die Stimmungen der Jugendlichen zu analysieren, welche die Parteihäuser und Polizeiwachen in Brand setzten — wie es im Sommer 1956 nach dem Aufstand von Posen geschehen war. Alles erscheint viel bedrohlicher, viel hoffnungsloser. Jetzt, da die so verleumdeten Revisionisten fehlen, gibt es für die Partei und ihre Idee keine Möglichkeit einer Renaissance mehr.

Um so mehr hat Kardinal Wyszynski, Oberhaupt einer Kirche, der nachgesagt wird, zu den konservativsten Europas zu gehören, sich für die Belange eingesetzt, deren Verkündung sonst Sache der fortschrittlichen polnischen Intelligenz gewesen ist. Hat er seine Möglichkeiten überschätzt?

Die Parteiführung und die Regierung sind noch in Schwierigkeiten. Die Übereignung von großen GefbäudekompJexen auf den früher in deutschem Besitz befindlichen Ländereien an die Kirche, die die Regierung jetzt vomahm, ist, in diesem Zusammenhang gesehen, keine leere Geste. Ihre Benutzung hat die Kirche bisher sehr viel Geld gekostet. Anderseits kann man einige Äußerungen in der Presse vielleicht als Warnung auffassen. So zum Beispiel den völlig unerwarteten Abdruck eines Fragments der Erinnerungen von Politbüromitglied Mieczyslaw Moczar in der bisher als „antiimoczaristisch” geltenden Warschauer Wochenzeitung „Polityka”. Moczar schreibt darin über seine Begegnungen mit dem Bischof Wlodizimierz Jasinski, den er am 26. Jänner 1947 veranlaßt hat, die Glocken der Lodzer Kathedrale und alle anderen Kirchenglocken in seiner Diözese zu Ehren des kommunistischen Wahlsieges läuten zu lassen. Der über siebzigjährige Bischof, der in den Gefängnissen Hitlers ge- demütifgt und gefoltert worden war, vertraute dem Chef des kommunistischen „Amts für Sicherheit”, der jetzt im alten Gestapo-Gebäude in Lodz residierte, aber seine Gläubigen und die Kircheninstanzen straften ihn dafür mit Verachtung. Gleich nach dem Krieg, als der nationale Widerstand gegen die Kommunisten in Polen noch sehr groß war und die Manipulation der Wahlergebnisse augenscheinlich, mußte das Läuten der Glocken als Verrat empfunden werden. Jasinski wurde ins Kloster verbannt.

Gomulka verlor den Rest an Sympathie, als er 1966 verhinderte, daß der Papst der Einladung Wyszynskis folgte und nach Polen kam. Gewiß: die organisatorischen Schwierigkeiten, die ein solcher Besuch mit sich gebracht hätte, waren ungeheuer: der Verkehr wäre zusammengebrochen, die Unterbringung der Gläubigen, die bereits aus den Eugen gerät, wenn eine Wallfahrt nach Tschenstochau stattfindet, hätte völlig versagt. Dennoch war die Weigerung Gomulkas ein Fehler. Im Herbst vergangenen Jahres hat Kardinal Wyszynski seine Einladung an den Vatikan wiederholt. Wird die Parteiführung Giereks klüger sein als diejenige Gomulkas? Der Papst hat bereits zugesagt.

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