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Unbestimmter Nebel

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Gut fünf Jahre lang kannte SPÖ-Vorsitzender Kreisky in den Massenmedien oft sehr eindrucksvoll die Motive sozialistischer Wahlerfolge darlegen. Dabei war vom Zug der Zeit ebensooft die Rede wie — erst — vom Verschleiß der VP-Regie-rung und — später — von der Inkonsequenz der VP-Opposition. Am Abend des überzeugenden Wahlsieges der ÖVP in Salzburg und in Tirol hielt sich der Bundeskanzler vom Zeitgeschehen fern und gab über eine bundesdeutsche Zeitung langfristige Betrachtungen über die Zukunft sozialistischer Parteien am Beispiel sozialistischer Wahlerfolge in Großbritannien und Holland ab.

Gut fünf Jahre lang mußten ÖVP-Chefs in den Massenmedien aus oft eindeutigen Wahlniederlagen in Städten und Ländern halbe Erfolge oder doch plausible Niederlagen machen, die weder allein mit dem Zug der Zeit noch —erst — mit dem Verschleiß der VP-Regierung und —. später — einzig mit der Inkonsequenz der Oppositionspolitik etwas zu schaffen hatten. Dann kamen im Burgenland der erste (formale) Sieg bei Landtagswahlen und in bunter Folge sehr deutliche Wahlerfolge in Graz, Riagenfurt, Oberösterreich und bei Betriebsratswahlen. In Salzburg aber erlebte die ÖVP ihren Durchbruch tind die SPÖ eine von niemandem erwartete Niederlage.

Nach Salzburg hat Bruno Kreisky betreten geschwiegen und die ÖVP den Mut zum großen politischen Erfolgserlebnis klugerweise nicht über Gebühr ausgespielt. Hier kennt ein Mann die Abhängigkeit und den Zwang zum permanenten Wahlsieg, weil nichts anderes als die Denk-malhaftigkeit des siegenden SP-Obmannes seine Unbestritten heit ausgemacht hat, dort zögert ein anderer, die Feste zu feiern, bevor die .großen Wahlsohlaehten fallen: die Wahl des nächsten Bundespräsidenten, die Wahl zum niederösterreichischen Landtag am 9. Juni und (möglicherweise früher, als man denkt) die Wahl zum Nationalrat.

Der selbstverständliche Anstand gebietet, über Nachfolgefragen nicht au sprechen, solange der Bundespräsident sein Amt nicht zur Verfügung gestellt hat. Die politische Vernunft rät, Nachfolgefragen im Lichte der Wirklichkeit zu beurteilen. Menschlicher Anstand und politische Vernunft sind keine Freunde. Das, und nur das, entschuldigt Überlegungen über das Datum und die Konkurrenten für die nächste Wahl des Bundespräsidenten. Recht früh hat die SPÖ den inzwischen aus manchen Gründen umstrittenen Außenminister Kireh-schläger genannt; spät, aber doch hat sich die ÖVP entschlossen, im Sinne der Bundesverfassung und aus parteitaktischen Überlegungen einen Gegenkandidaten vorzuschlagen: er wird Hermann Withalm heißen (siehe unseren Beitrag auf Seite 4).

Ob nun auch tatsächlich Kirchschläger von der SPÖ nominiert wird, ist eng verbunden mit dem, was Bruno Kreiskys Wünsche in der SPÖ nach wie vor wert sind. Politische Grenzgänger sind in allen Parteilagern aus begreiflichen Gründen unbeliebt. Das mußte selbst der so grundsatztreue deutsche Bundespräsident Heinemann erfahren. Es wird an den Mitgliedern des sozialistischen Parteivorstandes liegen, herauszufinden, welchen Grundsätzen Kirchschläger huldigt, auf daß sie ausschlaggebend für die Nominierung zum Praidents“enafts-kandidaten sein können. Über die Grenze der Selbstverleugnung hinaus hat Kirchschläger zur Frage der Tötung keimenden menschlichen Lebens geschwiegen und außenpolitische Aktionen gutgeheißen, die er oft wider besseres Wissen im Sinne des SPÖ-Parteiobmannes erledigte. Ein Hill Inger in Oberösterreleh wird Wechselschritte des MKVers und Parteilosen noch verstehen; was aber werden die Probsts in Wien, die Benyas im ÖGB und die Sozialisten in der Internationale, wie etwa Bruno Pittermann, dazu sagen?

So ausgemacht, wie Parteiobmann Kreisky es sich vorstellt, scheint nach Salzburg die Nominierung Kirchschlägers nicht zu sein. Und wer zähneknirschend zustimmt, kann sich im Wahlkampf allemal noch absentieren. Hier, augenfällig für die derzeitigen niedergedrückten Probleme der SPÖ, deuten sich Situationen an, die Outsider-Siege begünstigen könnten. Und der Erfolg eines Hermann Withalm wäre so gesehen der Erfolg eines Mannes, der im Zweifel Stellung bezogen hat: Wright or wrong, my country.

Bei allfälligen Bundespräsidentenwahlen liegen die Dinge unklar, weil für viele SP-Wähler Kreiskys Kurs mehr und mehr den Weg in den unbestimmten Nebel nimmt. Bei den Wahlen zum niederösterreichischen Landtag scheint alles deutlich, .weil nicht nur angesichts des wirtschaftspolitischen Kurses der Regierung (mit bald 10 Prozent Inflationsrate), sondern vor allem wegen der immer klarer werdenden Bereitschaft der Regierung, moralische und historische Bastionen (Abtreibung, FamilienfeindMchkie.it, Zerstörung des Eigentumsgedankens, Zerschlagung des Bauernstandes usw.) im Sturmschritt zu nehmen, die Begeisterung für das sozialistische Experiment sänkt. Bruno Kreisky ahnt das und setzt auf einen Wahlerfolg bei vorverlegten Bundespräsd-dentschaftswahlen. Ein solcher Wunschsieg soll den Weg zu frühzeitigen Nationalratswahlen verkürzen. Die Frage ist nur, ob er dabei die Rechnung mit dem Wirt gemacht hat.

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