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Der Heinz-Nittel-Hof in Wien Floridsdorf steht von Baubeginn an unter einem Unstern. Die Baugründe fanden unter dem Namen Marco-Polo-Gründe bereits vor mehr als acht Jahren Eingang in die „chronique scan-daleuse" der Bundeshauptstadt.

Heute zeigt dieser Gemeindebau die Grenzen des sozialen Wohnbaues. Für Sozialwohnungen in diesem Bauwerk belaufen sich die Mietkosten ohne Heizung auf 46,05 bis 47,56 Schilling pro Quadratmeter und Monat. Und auch das erst seit kurzem, als der zuständige Wohnbaustadtrat, der Floridsdorfer SPÖ-Bezirkspar-teiobmann Fritz Hofmann, nach lange urgierten Baukostenabrechnungen einen Nachlaß der Mietkosten um einen bis drei Schilling erreichen konnte.

Derzeit, Mitte Februar 1984, sind im Nittel-Hof 648 Wohnungen vermietet, laut Angaben der Wohnhausverwaltung ist die Vergabe von 161 Wohnungen im Gange, aber 560 Wohneinheiten warten bereits seit fast einem Jahr auf künftige Bewohner.

Für die „Betuchten", die sich die hohen Mieten leisten könnten, ist Floridsdorf nicht die geeignete Adresse. Und für diejenigen, die eine qualitativ gut ausgestattete Wohnung suchen, aber knapp bei Kasse sind, ist eine Wohnung im Nittel-Hof nicht erschwinglich.

Monatlich muß die städtische Wohnhäuserverwaltung heute bereits rund 700.000 Schilling an Wohnbeihilfen an die im Nittel-Hof wohnenden Mietparteien auszahlen. Der Entfall an Mieten belief sich Ende des Vorjahres auf 31 Millionen. Die zahlt der Eigentümer, sprich die Stadtverwaltung via Steuerzahler.

Die Unmöglichkeit, die Wohnungen an sozial Bedürftige zu vermitteln, hat am Beispiel des Nittel-Hofes zum praktischen Ende des Wiener sozialen Wohnbaues geführt. Für die Vergabe der Gemeindewohnungen im Nittel-Hof wurden die städtischen Richtlinien aufgehoben: Sie werden auf dem freien Wohnungsmarkt, wenngleich unter Einschaltung der Stadtverwaltung, vergeben. Es dürfen daher Mieter einziehen, die bereits eine Gemeindewohnung haben, auch dann, wenn kein „Uberbelag" vorliegt. Sogar aufs Parteibuch soll man vergessen dürfen.

Voraussetzung für die Ubersiedlung ist jedoch ein Verzicht: Es darf dadurch kein Anspruch auf Wohnbeihilfen entstehen. Stadtrat Hofmann weiß, daß die Mittel für die Wohnbeihilfe dem Budget für Neubauten entzogen werden. Das Fatale: Je teurer gebaut wird, desto höher fallen die Wohnbeihilfen aus, die dann wiederum beim Neubau fehlen. Weil es aber die Wohnbeihilfen gibt,sieht sich kaum ein Bauherr veranlaßt, auch nicht die Gemeinde Wien, beim Bau zu sparen.

Noch 1981 jubelten Wiens Sozialisten und der damalige Wohnungsstadtrat Johann Hatzi über das „Klein-Wachau" in Wien Floridsdorf, über die Infrastruktur der Wohnhausanlage. Die luxuriöse Architektur des bekannten Architekten Harry Glück wurde gepriesen, alle Angriffe der Opposition wurden als unfair abqualifiziert. Stadtrat Hatzi verteidigte das Recht der künftigen Bewohner, die acht über den Dächern gebauten Schwimmbäder und die Saunaanlagen der Sozialbauten genießen zu können.

Auch an technischen Spielereien fehlt es nicht. Für die 1427 geplanten Wohneinheiten wurden 1.200 Autoabstellplätze in einer zweigeschossigen Tiefgarage zum Preis von 140 Millionen und eine technisch aufwendige Müllschluckanlage zum Preis von 52 Millionen installiert. Diese Entsorgungsanlage, mit Einwurfschächten, einem oberirdischen Sammelbunker und einem 50 Meter langen Zufahrtstunnel für die Müllabfuhr, erwies sich bereits bei der Besiedlung der ersten Wohnungen als unzulänglich: Weil größere Haushaltsabfälle nicht in die Schächte passen, mußten doch wieder die traditionellen Müllcontainer aufgestellt werden.

Der Reigen der Geldverdiener am Heinz-Nittel-Hof setzte schon vor Baubeginn ein. Die einschlägigen Grundstücksmakler Babak und Marek haben aus „unerfindlichen Gründen" zugeschlagen.

Die Gemeinde Wien hatte lediglich 70.000 Quadratmeter direkt von den früheren Eigentümern erworben, der größere Teil der Gründe, 90.000 Quadratmeter, ging über die Makler und die gemeindeeigene Firma GESIBA. In einem Fall kaufte der Makler die Grundstücke, um sie laut Grundbuch sechs Tage später mit einem Gewinn von vier Millionen Schilling an die GESIBA weiterzuverkaufen. Allein durch diese Grundstücksspekulationen ha-bensichdieGrundanteilkostender einzelnen Mieter um rund 13.300 Schilling pro Quadratmeter erhöht.

Der zweite Großverdiener am Nittel-Hof ist die gemeindeeigene Firma „Fertigteilbau Wien." Sogar Holding-Direktor Josef Machtl mußte zugeben, daß die Gemeindefirma beim Bau von städtischen Wohnhausanlagen,vor allem beim Nittel-Hof, Rückstellungen im Ausmaß von 130 Millionen Schilling erwirtschaftet hat.

Angriff der Wiener Volkspartei: Würden allein diese 130 Millionen aufgelöst, wären die Baukosten um rund 1000 Schilling pro Quadratmeter billiger. Denn für den Nittel-Hof wurden 12.000 Schilling pro Quadratmeter an Baukosten ermittelt. Das liegt weit über den Baukosten, die nach der Wohnbauförderung damals möglich waren. Daher mußte auch der Wiener Steuerzahler mit einem Zuschuß von 400 Millionen hilfreich eingreifen.

Inzwischen gärt es unter den Bewohnern. Die Zweiteilung in Vollzahler und Wohnbeihilfebezieher schuf zwei Klassen von Mietern. Und trotz Wohnbeihil-fensindbereitsMitte Februar etwa fünf Prozent an Mietschulden angelaufen. Damit ist auch im Heinz-Nittel-Hof im Frühjahr mit den ersten Delogierungen zu rechnen.

Wie ein Hohn liest sich da ein Schriftstück der Verwaltung der städtischen Wohn- und Amtsgebäude, als Replik auf einen ÖVP-Antrag im Jahr 1976, die künftigen Neubauten auf den Marco-Polo-Gründen als Eigentumswohnungen zu errichten. Die Magistratsabbteilung 52 damals: „Die von der Stadt Wien errichteten Wohnhausanlagen dienen in erster Linie dem Zweck, die Wohnungen zur Bekämpfung der Wohnungsnot einzusetzen, d. h., diese nach sozialen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Bedürftigkeit abzugeben".

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