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Und jetzt — ein Volksbegehren

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Archaische Kulturen kannten das Aussetzungsrecht. Erst durch einen Aufnahmeakt des Vaters wurden die Kinder geschützte Rechtsgenossen. Das Christentum hat aber die Einsicht in das vom Willen der Eltern unabhängige Lebensrecht der ungeborenen und geborenen Kinder gewonnen. In der Zwölf apostellehre, die um die erste Jahrhundertwende entstand, heißt es: „Du sollst kein Kind abtreiben.“ Tertullian verwarf die Unterscheidung zwischen der 'Tötung geborener und ungeborener Menschen. Diese Vorstellungen prägten das freilich sehr harte Strafrecht der Völkerwanderungsstaaten, des Hochmittelalters, das Strafgesetz Kaiser Karls V. und auch das der Kaiserin Maria Theresia.

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Archaische Kulturen kannten das Aussetzungsrecht. Erst durch einen Aufnahmeakt des Vaters wurden die Kinder geschützte Rechtsgenossen. Das Christentum hat aber die Einsicht in das vom Willen der Eltern unabhängige Lebensrecht der ungeborenen und geborenen Kinder gewonnen. In der Zwölf apostellehre, die um die erste Jahrhundertwende entstand, heißt es: „Du sollst kein Kind abtreiben.“ Tertullian verwarf die Unterscheidung zwischen der 'Tötung geborener und ungeborener Menschen. Diese Vorstellungen prägten das freilich sehr harte Strafrecht der Völkerwanderungsstaaten, des Hochmittelalters, das Strafgesetz Kaiser Karls V. und auch das der Kaiserin Maria Theresia.

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Gewiß hatte die Lehre des Aristoteles über die stufenweise Beseelung der Frucht die kirchliche Doktrin und das Recht sehr beeinflußt; doch galt die Abtreibung in frühen Stadien, wenn auch im geringsten Grade, doch als Verfehlung. Der heilige Albert der Große hatte kraft seiner besonderen Einsicht in die Natur diese Unterscheidung hinsichtlich der . Schutzwürdigkeit abgelehnt. Seine Erkenntnis wurde in unserer Zeit durch das Wissen um die genetische Information, um die Einheit des Lebens von der Empfängnis bis zum Tode erhärtet. Der Mensch muß vor dem Menschenleben Ehrfurcht haben, von seinem Beginn bis zu seinem Ende. In der Aufklärungszeit wurde die Todesstrafe für die Abtreibung durch die Freiheitsstrafe ersetzt. Die Norm selbst blieb aber zunächst noch weithin unangefochten. Die Veränderung der Verhältnisse, die Not der Arbeiterschaft, die von Ärzten, Wohlhabenden, gebotene Gelegenheit, ohne Aufsehen und Entdeckungsgefahr abzutreiben, führte im 19. Jahrhundert zu Konflikten um die Ausnahmen vom Verbot; zunächst zur Ausbildung der Lehre von der sozialen, der ethischen, der eugenischen Indikation als Ergänzung zur medizinischen, die als erste von Ärzten als eine Art Notrecht ihres Berufes im Dienste des Lebens und der Gesundheit der Mutter in Anspruch genommen worden war.

In Österreich folgte den Auseinandersetzungen in den zwanziger Jahren 1937 die Anerkennung der Straflosigkeit des Arztes und der Mutter in den Fällen festgestellter Gefahren für das Leben und schwerer Gefahren für die Gesundheit der Mutter. Gleichzeitig sollte durch ärztliche kommissioneile Kontrolle der mit vorgeschützten medizinisch begründeten Gefahren getriebene Mißbrauch erschwert werden. Diese neuen Vorschriften des Jahres 1937 konnten nicht mehr zur Auswirkung kommen. Seit dem März 1938 sollte „erbkranker Nachwuchs“ auch durch Abtreibung verhütet werden; im übrigen suchte man durch strenge Strafen der aus nationalen Gründen abgelehnten Abtreibung entgegenzutreten. 1945 traten die NS-Gesetze außer Kraft, das österreichische Gesetz zum Schutz der Ungeborenen wurde nicht wiederhergestellt. Die Zahl der Abtreibungen wurde in der Folgezeit als sehr hoch angenommen. Uber Anregung von Pater Strangfeld SJ wurde im Jahre 1954 der Verein „Rettet das Leben“ gegründet.

In der Strafrechtspolitik traten einander zwei ausgeprägte Tendenzen gegenüber: Jene zur Einführung zusätzlicher Indikationen und die andere, die auf eine Kontrolle angeblicher medizinischer Indikationen abzielte. Die Kommission zur Vorbereitung des neuen Strafrechtes fand eine Lösung, nach der formell nur die medizinische Indikation Geltung erlangen sollte; zugleich wollte man jedoch auch Elemente der ethischen, eugenischen und sozialen Indikation mitberücksichtigt wissen. Der Plan einer Kontrolleinrichtung, der ursprünglich damit verbunden war, wurde nicht weiter verfolgt. Im Zuge der neuen Fassungen der Entwürfe wurde den Bedenken gegen den Lösungsvorschlag der Kommission durch Christian Broda -Schrittweise Rechnung getragen; Begleitmaßnahmen auf dem Gebiete der Kontrolle und der sozialen Hilfe waren nicht vorgesehen. Hans Klecatsky, der Nachfolger Brodas als Bundesminister für Justiz, berücksichtigte die noch aufrecht gebliebenen Bedenken fast vollständig; doch konnte auch er ein Gesamtkonzept nicht durchsetzen. Nach dem sozialistischen Wahlsieg wurde zunächst der Vorschlag der Strafrechtskommission wieder aufgegriffen. Seine Verwirklichung mußte ohne begleitende Kontrollmaßnahmen und ohne ein Programm für die Aufklärung über den Wert des ungeborenen Lebens und über Geburten Verhütung sowie ohne soziale Begleitmaßnahmen für das Schicksal der Ungeborenen höchst gefährlich werden. So wurde das Anliegen des Schutzes der Ungeborenen von der unter der Führung Walter Csoklichs stehenden „Aktion Leben“ mit neuer Kraft aufgegriffen. Sie sammelte mehr als 800.000 Unterschriften für ein umfassendes Programm des Lebensschutzes.

Inzwischen hatten aber Verfechter der Freiheit zur Abtreibung in der Welt große Erfolge erzielt; so war es beispielsweise nach einer Neuregelung in England zu einer regelrechten Abtreibungsindustrie gekommen. Im Staate New York war die Abtreibung bis zur 24. Woche freigegeben worden. In der Bundesrepublik Deutschland war zunächst von Gelehrten das Konzept einer Fristenlösung entwickelt worden; das Strafrecht versage in den ersten Monaten der Schwangerschaft; deshalb sei es sinnvoll, diesen Schutz zurückzunehmen; als Bedingung der Straffreiheit sollte dafür das Aufsuchen einer gegen die Abtreibung gerichteten Beratungsstelle zur Pflicht gemacht werden. Gegen eine solche Lösung ist einzuwenden, daß kann und daß das Rechtsbewußtsein entscheidend geschädigt wird.

Auf dem Villacher Parteitag entschloß sich die SPÖ für eine Fristen-lösung. Doch wird nicht einmal die obligatorische Beratung durch eine der Erhaltung des Lebens verpflichtete Stelle verlangt, sondern nur ärztliche Beratung“; über Funktion und Qualifikation des Arztes wird nichts gesagt. Gewiß sollen Beratungsstellen geschaffen werden, die Straflosigkeit ist aber schon durch die Beratung durch irgendeinen Arzt und die Ausführung durch einen Arzt gewährleistet. Damit ist der fragwürdige Schutzeffekt, der ursprünglich entwickelten Fristenlösung aufgehoben. Die Aktion „Leben“ hat diesen Plänen ein Gesamtkonzept gegenüberstellt, das vielerlei Maßnahmen der Information und der Sozialpolitik enthält, strafrechtlich aber eine Kontrolle der als Rechtfertigungsgrund verstandenen medizinischen Indikation vorsieht. Im übrigen sollten Mutter und Arzt im Falle außergewöhnlich schwerer Bedrängnis und vergeblicher Bemühung um Hilfe nach Prüfung durch den Richter straffrei bleiben (Schuldausschließungsgrund). Die SPÖ ergänzte die Fristenlösung durch eine unkontrollierte Indikationenlösung für die folgenden Monate der Schwangerschaft. Die ÖVP übernahm den Grundgedanken der Aktion, nahm aber wesentliche Veränderungen vor; die FPÖ empfahl eine Indikationenlösung auf Grund zweier ärztlicher Gutachten.

Während das Werk des neuen Strafrechtes sonst in mühsam errungenem Konsens zustande kam, gelang in der Abtreibungsfrage die Einigung nicht. Die Abgeordneten beschlossen zwar einhellig eine von der ÖVP entworfene an die Regierung gerichtete Entschließung, in der nach einer ausdrücklichen Ablehnung der Abtreibung als Mittel der Geburtenkontrolle Maßnahmen der Information über Geburtenverhütung sowie soziale Maßnahmen zum Schutze der Ungeborenen gefordert werden.

Im Nationalrat machte der Abgeordnete der ÖVP Dr. Hauser „di^SPÖ- dafür verantworte eine einhellige Reform ge: sei. Der FPÖ-Abgeordnete Dr. Broe-sigke erklärte, mit der Fristenlösung werde das Verfügungsrecht über das Leben des Kindes wiederhergestellt, diesmal zugunsten der Frau. Er zeigte die Schwierigkeiten auf, die dies für die Ehe bedeute und forderte eine Volksabstimmung.

Es wäre dies die erste Volksabstimmung nach den Bestimmungen der Bundesverfassung gewesen. Das Volk hätte vom neuen Strafrecht ernstlich Kenntnis genommen und im Streitpunkt die Entscheidung getroffen. Da die Mehrheit der Österreicher Frauen sind, hätten letztlich die Frauen entschieden, ob sie das freie Entscheidungsrecht über kindliches Leben beanspruchen; die Männer hätten mit Recht mitentschieden, da ihre Entrechtung als Väter auf dem Spiele steht. Zu einer harten weltanschaulichen Konfrontation wäre es nicht gekommen, wenn das Gemeinsame betont, das Trennende aber hart und ruhig dargelegt worden wäre. Das Volk wäre zu einem Erlebnis seiner Selbstbestimmung gekommen. Die sozialistische Mehrheit war gegen die Volksabstimmung. Der Bundesrat erhob gegen den Gesetzesbeschluß Einspruch; dies gibt Gelegenheit zur Überprüfung.

Beharrt die Mehrheit auf ihrem Willen, so sollte ein Volksbegehren die Volksvertreter nochmals mit der Frage befassen, wie sie zum Schutz der Ungeborenen durch das Strafrecht stehen.

Erfreulich ist das in der Resolution enthaltene einhellige Bekenntnis gegen die Abtreibung. Das harte Trennende liegt in der verschiedenen Beurteilung der Frage, ob der Mensch in Stadien seiner Entwicklung für strafrechtlich schutzlos erklärt werden darf. Dies ist in Anbetracht des Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention auch eine ernste verfassungsrechtliche Frage. Schon ist von der Anfechtung der Fristenlösung durch Landesregierungen die Rede.

Dem Volke wenig geläufige Einrichtungen, wie die Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof und die Volksabstimmung, treten in dieser Lage in ihrer vollen Bedeutung hervor. Wenn das Volk für die Fristenlösung entschieden hätte, was freilich in Anbetracht der letzten Meinungsumfragen fast ausgeschlossen werden kann, wäre das Gesetz durch den Volkswillen abgesichert worden. Aus einem schweren Verstoß gegen eine der Menschenwürde entsprechende Ordnung wäre dadurch Gesetz, nicht aber Recht in höherem Sinn geworden. Selbst wenn ein verfassungsgerichtliches Verfahren doch die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Fristenlösung nach Ansicht der Mehrheit der Richter ergeben sollte, wäre die Frage, ob der Mutter für eine Frist freies Entscheidungsrecht über das Leben des Kindes gegeben werden kann, nicht endgültig erledigt. Die Auseinandersetzung- wird weitergehen; unermüdlich wlM an die versprochenen positiven Maßnahmen zu erinnern sein. Aber auch die Ganzheit des Schutzes für menschliches Leben vom Beginn bis zum Ende muß gesichert werden. Sollte allenfalls die Verfassung diesen Schutz noch nicht gewähren, so wird eine verfassungsrechtliche Sicherung dieses Rechtes ein Gegenstand eines Volksbegehrens sein. Die Erkenntnisse der Wissenschaft von der Einheit des Lebens von der Empfängnis bis zum Tode, erschütternde Erfahrungen in der weiten Welt über die Konsequenzen der strafrechtlichen Schutzlosigkeit der Ungeborenen, über die Entstehung einer Abtreibungsindustrie und die schwere Schädigung des ärztlichen Ethos, sprechen für die Notwendigkeit dieser Initiative.

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