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.. . und so sah's die andere

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Als ich Dienstag (12. Februar) vormittag in Ottakring zu Fuß durch die Thaliastraße ging, in deren Nähe Kämpfe um das sozialistische Arbeiterheim im Gange waren, traf ich zu meinem Erstaunen Hausfrauen seelenruhig auf ihrem häuslichen Einkaufsgange, als ob das ganze Geschieße, das

über die Dächer herüberscholl, eine Männerangelegenheit sei, die sie nichts angehe.

Anders waren die Bilder, die sich vor mir aus den Rothschildgärten an der Hohen Warte bei dem Blick auf den nahen Karl-Marx-Hof eröffneten, aus dessen mächtigem Gebäude geschickt postierte Maschinengewehre ihre Geschosse spien.

Ein von Polizeimannschaften und Heimwehren sehr tapfer unternommener Versuch, den Eingang unter dem blauen Torbogen zu erstürmen, war unter erhebli-'chen Verlusten mißlungen. Deutlich erwies es sich hier, wie wahrscheinlich anderwärts, daß die Stellungen der wohlverschanzten Schutzbündler im offenen Angriff mit Handfeuerwaffen nur mit schwersten Opfern an Menschenleben genommen werden könnten.

Erst als leichte Feldartillerie hier eingesetzt wurde — sie schoß mit Ubungsmunition ohne explosive Ladung, erkennbar an den scharf begrenzten runden Mauerlöchern, die der Beschuß ohne größere Zerstörungen zurückließ -, flaute das Feuer ab und verstummte dann plötzlich.

Wie sich bald erwies, waren die Verteidiger restlos, wie weggezaubert, durch die Kanäle entwichen und hatten ihre Verwundeten, wenn sie solche gehabt hatnot und Bedrückung aufzunehmen und zum Siege zu führen."

Die beiden bekannten und anerkannten Wissenschaftler sozialistischer Provenienz, Norbert Leser und Gerhard Botz, sind sich völlig darin einig, daß die revoltierenden Schutzbündler zwar gegen die Dollfuß-Unterdrückung, aber sonst „ohne ein konkretes politisches Ziel" kämpften. Leser: Auf seiten des aufständischen Schutzbundes war man „sich nicht im klaren über Form undln-halt der Demokratie, für die man stritt."

Liest man die Ausführungen Richard Bernascheks, dann scheint das Ziel dieses Aufstandes aus seiner Sicht einerseits klar und eindeutig und anderseits ein doppeltes gewesen zu sein: Ber-naschek hatte das dauernde Verhandeln und Unterhandeln seiner Parteiführung satt. Des weiteren vermochte er als oberösterreichischer Parteisekretär nicht mehr länger den Zerfallsprozeß des sozialistischen Lagers mitanzusehen. Aus Bernascheks Ausführungen kann als ein Aufstandsziel mühelos die Lösung von innerparteilichen Problemen herausgefiltert werden.

Uber ein weiteres Ziel dieses Aufstandes möge eine Studie über Bernaschek zu Wort kommen, die von Inez Kykal und Karl vR. Stadler erstellt und als Veröffentlichung des Ludwig Boltz-mann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung in Linz herausgegeben wurde:

Bernaschek vertrat demnach „die Meinung, daß es bei einer Konzentration aller regierungsfeindlichen Kräfte — gemeint waren die Massen der ehemaligen Angehörigen der Sozialdemokratischen Partei, die Kommunisten und Teile der übrigen werktätigen Bevölkerung — unter einer einheitlichen Führung möglich sein müßte, das in Österreich herrschende Regime, das sich auf die Exekutive und den Heimwehrfaschismus stützte, zu stürzen. Bernaschek trat unverblümt für eine revolutionäre Erhebung zum Sturz des Faschismus und für die Errichtung der Diktatur des Proletariats ein."

Anfang April gelang Bernaschek mit nationalsozialistischer ten, und ihre Maschinengewehre mitgenommen... Der Karl-Marx-Hof war einer der letzten Gemeindebauten, in denen der Aufstand erlosch.

Am meisten versteift hatte sich bis zum 14. Februar die Lage in Floridsdorf, namentlich in den Kämpfen um den Schlinger-Hof und die am Stadtrand weiter südöstlich zerstreuten Gemeindebauten. Hier bot sich mir und meinen zwei Begleitern das typische makabre Bild nach einem Kampf im verbauten Gelände. Die Leute des Republikanischen Schutzbundes hatten sich mit Todesverachtung geschlagen. Es war schmerzlich, zu sehen, wieviel Standhaftigkeit und Aufopferung hier für eine falsche Sache eingesetzt worden waren.

In dichtem Wagengedränge wurden vom Roten Kreuz Verwundete geborgen. Am Gehsteig lag ein erschossener Zivilist. Um noch die Lage am Stadtrand kennenzulernen, beschlossen wir, über die Kagraner Brücke die Rückfahrt zu nehmen.

Es dämmerte schon stark, als wir durch die letzte Häuserzeile Hilfe die Flucht aus dem Linzer Landesgericht nach Hitler-Deutschland. In München gab Bernaschek, der knapp vor Kriegsende im KZ Mauthausen von der SS hinterrücks erschossen wurde, alsbald nach seiner Flucht eine Pressekonferenz, in der er erklärte: Er sehe im Nationalsozialismus „keinen Feind der Arbeiter memvwie dies in Österreich täglich durch die Presse und den Rundfunk verbreitet werde, sondern nur eine andere Form des Sozialismus, der in einigen Punkten dieselben Ziele anstrebte, für die die Schutzbündler gekämpft haben".

Für Oberösterreich ist nach jenem verhängnisvollen Bürgerkrieg ein Abschwenken wichtiger Teile der Sozialdemokratie, insbesondere des Schutzbundes, zum Nationalsozialismus nachweisbar. Gleiches dürfte für das übrige Bundesgebiet, zwar unterschiedlich, grundsätzlich aber doch auch gelten. Nur so wird Norbert Lesers These voll verständlich: „Am 12. Februar 1934 wurde die Basis der gemeinsamen Abwehr des Nationalsozialismus zerstört."

Diese gemeinsame Basis zwischen Sozialdemokratie und christlichsozialem Lager hatte in einem bis dato viel zuwenig beachteten Bindeglied zwischen Sozialdemokratie und Nationalsozialismus eine mächtige Konkurrenz, und das war der Antiklerikalismus beider. Noch im August 1937 (!) erklärt Karl Renner seinen Zuhörern in Paris, zu denen auch der französische Außenminister gehörte, wie sehr der nazistische Kirchenkampf in Deutschland den österreichischen sozialdemokratischen Arbeitern imponiere ...

Der Autor ist Leiter der Abteilung für Theologiegeschichte und kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Graz.

Kagran zufuhren. Hier hatte eine größere Abteilung des Bundesheeres im Schatten der Bauten Deckung genommen.

Plötzlich von hinten ein Schuß und Schlag: Ein Projektil trifft in die rückwärtige Wagenwand, ein zweites geht splitternd durch das rückwärtige Glasfenster zwischen unseren Köpfen hindurch und nimmt seinen Weg durch die Windschutzscheibe der Wagenfront. Die Schützen hatten in der schnurgeraden Allee leichtes Ziel.

Weiterfahrt ist unmöglich. Wir springen aus dem Auto, nehmen Deckung hinter den nächsten Akazienbäumen. Die Herrschaften hinter uns halten uns vermutlich für Polizei, da sie fortfahren, an uns unbewaffnete Zivilisten ihre Munition zu verschießen...

Als wir (nach Stunden wieder) vor dem Herold-Hause hielten, war des Staunens der bald angesammelten Zuschauermenge kein Ende. Wir beschlossen die gemachte Erfahrung mit der Feststellung, daß es sehr dankenswert seitens des Bundesheeres war, seine Artillerie dieser Tage nur ihre etwas harmlosere Ubungsmunition verschießen zu lassen.

Nach allem, was eine leidenschaftslose Prüfung des Geschehens vom Februar 1934 und nicht zuletzt auch die'Zeugnisse sozialistischer Autoren erwiesen haben, stand die überwältigende Mehrheit der österreichischen Arbeiterschaft in den Kampftagen abseits, ging ihrer Arbeit nach und lehnte es ab, mit den Umstürzlern gemeinsame Sache zu machen.

„Mehr noch als die Waffen der Exekutive", urteilt Karl Kar-winsky in der mir vorliegenden Niederschrift, „hat das besonnene Verhalten des österreichischen Arbeiters dazu beigetragen, weit größeres Unheil zu verhüten."

Aus: ALS ÖSTERREICH DEN STURM BESTAND. Von Friedrich Funder. Herold. 1957.

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