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Und wo wohnt Gott?

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„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt ..."

Aber wo wohnt Gott heute, Er, der „Unbedingte", der uns anspricht, den Weg weist, heimführt? Ich habe die Zeit erlebt, wo man noch sehr konkret wußte, wo Gott wohnt. In seiner Kirche — wo sonst? Genauer: im Tabernakel, in den Normen der katholischen Moral, in den Aussagen des kirchlichen Amtes, im Rat des Beichtvaters...

Politisch wohnte er in einer bestimmten Partei und kulturell eher im ländlichen Milieu. Gott war näher, weil sein Anspruch konkreter war. Man wußte noch, was Sünde ist.

Es hat sich viel verändert in den letzten 15 Jahren. Der „Tempel Gottes" ist gehörig abgeklopft worden, von außen und von innen. Und man hat entdeckt: da ist ja so viel geschichtlich, kulturell, interessenbedingt... Wo wohnt da der „Unbedingte"? Wohin man auch sieht: Natur, Sachgesetze, Geschichte, Spuren des Menschen. Wo wohnt Gott?

„Gott schrumpfte immer mehr. Jetzt sitzt er im Atom und spuckt die Kerne aus", hat Heidi Pataki vor Jahren gedichtet. Jetzt sitzt er auch im Atom nicht mehr. Ich

kann Gott nicht mehr mit allem und jedem, was immer geschieht, in konkreten Bezug bringen. Oder wje ist das, wenn in derselben Gegend Urlauber und Bauern beten, die einen um Sonne, die anderen um Regen? Ist Gott immer auf der Seite der Sieger?

Ich habe Grundsätze und Gewohnheiten, aber ihre Notwendigkeit kann ich so wenig beweisen wie ihre unbedingte Richtigkeit. Zu oft schon habe ich gehört: „Hier wohnt Gott". In Wirklichkeit war es menschliche Ängstlichkeit und Phantasielosigkeit.

Vielleicht sind wir heute in derselben Lage wie die nach Babylon deportierten Israeliten? Sie hatten keinen Tempel mehr, keine Heimat und keine Form für ihren Glauben. Sie glaubten, Gott fern zu sein, und waren tief verwirrt.

„An den Strömen von Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten", heißt es im Psalm

137. Wie viele sind es heute, die dem „Tempel des Herrn" nachweinen — jener Zeit, wo man noch wußte, wo Gott wohnt?

Der Prophet Jeremias hat den Verbannten von damals im Namen Gottes einen Brief geschrieben: „Bemüht euch um das Glück des Landes, in das ich euch geführt habe, und betet dafür zum Herrn; denn auf der Wohlfahrt dieses Landes beruht euer eigenes Wohl... Ruft ihr mich an, erscheint ihr und wendet euch betend an mich, ich will euch erhören. Sucht ihr mich, so werdet ihr mich finden. Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, dann lasse ich mich von euch finden."

Israel hat in den vielen Jahren der Heimatlosigkeit neue Erfahrungen mit Gott gemacht: Jedes Land ist Gottes Land. Sein Tempel ist die Welt, ist die Geschichte, ist die Gegenwart.

Warum sollten wir uns nicht an die Erfahrungen des Volkes Israel erinnern und aus ihnen für uns Hoffnung schöpfen? Sie stehen ja in der Hl. Schrift. Vielleicht muß der Tempel immer wieder (wie oft wohl?) zerstört werden, damit wir Gott neu finden?

Stecken nicht in den Fragen und Umbrüchen der letzten Jahre Ansätze neuer Glaubenserfahrungen? Wohnt Gott nur in Häusern europäischen Baustils? Spricht er nur mit männlicher Stimme? Liegt ihm nur etwas am Seelenheil oder auch an der „Wohlfahrt des Landes"?

Wir sollten ihm nicht vorschnell einen neuen Tempel bauen. Beten wir um die Kraft, zu warten, ohne genau zu wissen, worauf wir warten. Beten wir um Geduld.

„Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, dann lasse ich mich von euch finden." Vielleicht ist die leidenschaftliche Suche besser als die trügerische Sicherheit, schon gefunden zu haben.

Vielleicht ist Hoffnung weiter, offener.

Der Verfasser ist in der Diözese Linz Seelsorger für die Laientheologen und Geistlicher Assistent der Katholischen Aktion.

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