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Unerwünschte Transparenz?

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Wird ein bewährter Nieren-steinzertrümmerer stillgelegt? Ist der neue wirklich besser? Der Wiener „Li-thotripterkrieg“ sieht sogar gelernte Österreicherziemlich ratlos.

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Wird ein bewährter Nieren-steinzertrümmerer stillgelegt? Ist der neue wirklich besser? Der Wiener „Li-thotripterkrieg“ sieht sogar gelernte Österreicherziemlich ratlos.

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Erst wurde die unblutige Nierensteinzertrümmerung als Sensation gepriesen. Dann war sie überschattet vom Streit um die Kosten. Nun liefern sich die Hersteller einen erbitterten Kampf um Marktanteile. Vorläufiges Ergebnis: Vier Steinzertrümmer (Lithotripter) in Österreich, hohe Kosten, geringe Auslastung.

„Das neue Gerät ist der Mercedes unter den Steinzertrümme-rern“, lobt Gesundheitsstadtrat Alois Stacher den „Lithostar“, der im April in der Wiener Rudolf Stiftung in Betrieb geht. Sozusagen als Okkasion des Jahres wurde dieser „universelle urologische Arbeitsplatz“ von der Firma Siemens um rund 19 Millionen Schilling angeschafft. Mit dem Kauf,

so Stacher, habe man zwei Fliegen auf einen Schlag getroffen: Zu einem erstklassigen, unbedingt notwendigen Diagnosegerät erhielt man für einen geringen Aufpreis von etwa zwei Millionen einen Zertrümmerer neuester Generation.

Ob diese tatsächlich einen Fortschritt darstellt, wurde zum Streitthema zwischen dem Gesundheitsstadtrat und Universi-tätsprpf essor Michael Marberger, Leiter der urölogischen Abteilung im Wiener Rudolfspital, auf der einen Seite und auf der anderen dem ärztlichen Leiter des Wiener Nierensteinzentrums im Krankenhaus Lainz, Universitätsprofessor Georg Gasser, und dem Träger des Zentrums, der Wiener Holding, unter der Leitung von Helmut Wagner.

Im Zentrum Lainz ist seit Mai 1985 der Dornier-Nierenlithotrip-ter im Einsatz. Bei Ubungsflügen mit Uberschallflugzeugen stellte man fest, daß Regentropfen Stoßwellen auslösen, deren Energie Risse im Flugzeugstahl erzeugt. „Vorläufer“ des Lithotripters waren Testgeräte zur Klärung dieses Phänomens.

Heute stehen weltweit mehr als 200 Dornier-Lithotripter im Einsatz. Zwei weitere Unternehmen, Siemens und ein anderer Anbieter, traten bisher, Dornier zufolge, weltweit mit vier Geräten in Erscheinung.

Neben der umfassenden medizinischen und technischen Erfahrung mit seinen Geräten führt Dornier als einen der Hauptvorteile die Einleitung der Stoßwellen in den menschlichen Körper durch das Medium Wasser an. Bei der Behandlung liegt der Patient in einem Wasserbecken. Via Bildschirm wird der Nierenstein mittels Fadenkreuz anvisiert, so daß die Stoßwellen, die durch Elektroden erzeugt werden, zielgenau auftreffen. Dadurch wird der Stein zu Sand zertrümmert, der normalerweise in den folgenden Tagen mit dem Harn abgeht. Die Behandlung dauert je nach Steingröße und -art zwischen 20 und 45 Minuten, meist genügt eine Lokalanästhesie.

Immerhin kann Dornier auf über 200.000 Patienten verweisen, die erfolgreich von ihrem schmerzhaften Ballast befreit wurden. „Auch bei uns ist bisher keine einzige schwerwiegende Komplikation aufgetreten“, berichtet Gasser aus seiner Erfahrung mit rund 900 Nierensteinpatienten in Lainz, „die Erfolgsquote beträgt etwa 93 Prozent“.

Ein Nachteil sind der Platzbe-.darf und die Behandlungskosten.

Nach rund 1.500 Zündungen müssen die Elektroden erneuert werden, das heißt, praktisch nach jeder Behandlung. Kostenpunkt: rund 3.600 Schüling.

Die Elektroden hat Siemens durch Elektromagneten ersetzt. Siemens-Vertriebsleiter Wolfgang Laub preist weitere Vorzüge seiner Lithostars: Auf das aufwendige Wasserbad könne verzichtet werden, die Stoßwellen werden hier nicht nur dem Herzrhythmus (wie bei Dornier), sondern auch der Atemfrequenz angepaßt, was eine erhöhte Treffsicherheit bei geringerer Wellenanzahl gewährleiste.

Was Dornier nicht gelten läßt, da man hier um geringen Aufpreis Veränderungen vornehmen könnte. Von der Wasserwanne will man aus medizinischen Gründen nicht abweichen, „da“, so der Geschäftsführer des Wiener Nierensteinzentrums, Helmut Wagner, „im Wasserbad auch Be-

hinderte oder Korpulente, aber auch Kinder, erfolgreich behandelt werden können“.

Was bleibt, ist der Elektromagnetenvorteil des Siemens-Gerätes. Was die technische Weiterentwicklung durch den Lithostar betrifft, lassen sich laut Dornier noch keinerlei Aussagen treffen. Vergleichsdaten, die auf der mageren Erfahrung mit etwa 200 Patienten beruhen, seien noch zu gering. „Wir kämpfen derzeit gegen ein Gespenst, das noch gar nicht existiert - das Dorniergerät wird heute mit einem Nierensteinzer-trümmerer verglichen, den es vielleicht in einigen Jahren geben wird“, beschreibt Wagner die Situation. Ist doch der Siemens-Li-thostar noch nicht weltweit zugelassen — Wien soll die fehlenden Grundlagen für den Vertrieb nach Amerika und Japan liefern, österreichische Nierensteinpatienten als Versuchspersonen für den Vertrieb nach Ubersee? Ein Korn Wahrheit mag in dieser überpointierten Fragestellung

schon stecken ...

In der Rudolfstiftung dürfte sich diese Frage freilich niemand stellen. Auf den ersten Blick scheint die Wirtschaftlichkeit ausschlaggebend zu sein. „Bei der Behandlung mit dem Lithostar werden außer der Wartung kaum Kosten anfallen — wir hoffen daher, daß sich das Gerät bereits in einem Jahr rentiert“, gibt sich Marberger optimistisch. Für Außenstehende ist die wissenschaftliche Weiterentwicklung schwer zu gewichten, und es ist kaum zu durchschauen, wo die einzelnen Interessen liegen.

Für Stacher liegt der Fall eindeutig: „Bisher haben meist andere Länder neueste Entwicklungen auf medizinischem Gebiet günstig erworben, die wir einige Jahre später teuer anschaffen mußten. Mit der ersten Generation des Siemens-Lithostars ist es einmal umgekehrt.“

Für die Betreiber der bestehenden drei Nierensteinzentren in Salzburg, Linz und Wien ist die Anschaffung dieses nun vierten

Steinzertrürnmerers allein deswegen absurd, da ihre eigenen Geräte nicht ausgelastet sind. Mit drei Lithotriptern ist Österreich weltweit am besten ausgerüstet, ein Gerät steht für 2,2 Millionen Einwohner zur Verfügung, in den USA gibt es einen Zertrümmerer für 6,6 Millionen. Die finanzielle Situation des privaten Nierensteinzentrums der Stadt Wien ist noch nicht endgültig geklärt, die Verhandlungen der Politiker sind noch nicht abgeschlossen. Derzeit

werden lediglich Patienten, die in Wien ansässig beziehungsweise sozialversichert sind, kostenlos behandelt, wobei die Krankenkassen nur das übliche Tagespauschale von 864 Schilling refundieren. Die Stadt Wien leistet einen Zuschuß von 14.000 Schilling pro Behandlung. „Steinreiche“ Patienten aus Niederösterreich oder dem Burgenland müssen tief in die Tasche greifen und über 30.000 Schilling zahlen oder sich weiterhin der Operation unterziehen. Verhandlungen mit den Bundes-

ländern wegen Übernahme eines Kostenpauschales, wie es in Deutschland üblich ist, sind noch im Gange.

In Gang gehalten werden aber auch die Diskussionen über das weitere Schicksal des Wiener Nierensteinzentrums, sollte der Sie-mens-Lithostar endgültig vorgezogen werden. Von einem Verkauf der 23 Millionen Schilling teuren Dornier-Badewanne in den Ostblock—wie kürzlich „Profil“ berichtete - weiß man nichts.

Auch Stacher plant nichts in dieser Richtung: „Das ist einzig und allein Sache der Holding.“ In Lainz könnte man sich eher vorstellen, den Lithotripter zu Forschungszwecken umzufunktionieren. Das Medizinerteam mit internationalem Niveau könnte dann seine Arbeit fortsetzen und sich an einer zweijährigen Versuchsreihe beteiligen.

Hauptschwerpunkt: die unblutige und schmerzfreie Zertrümmerung von Gallengangsteinen mit dem Dornier-Lithotripter. Laut Wagner liegt eine Einladung von Dornier bereits vor. Weitere Arbeiten könnten sich mit der Reaktion von Harnwegtumoren auf Stoßwellen befassen.

Wie absurd die Auseinandersetzung um das Nierensteinzentrum Lainz ist, zeigt auch die Tatsache, daß selbst bei einem Verkauf des Gerätes der Erlös durch die notwendigen Demontagearbeiten um rund fünf Millionen Schilling geschmälert würde.

Welche Interessen im Lithotrip-ter-Krieg mitspielen, läßt sich ebensowenig erkennen wie die tatsächlichen Kosten für die Behandlung mit dem Lithostar. Gehen doch üblicherweise diese Kosten in der globalen Spitalsverrechnung unter, ohne als Teilbereich transparent zu werden. Diese Transparenz der Behandlungskosten ergibt sich durch die Konstruktion der Holding im Wiener Nierensteinzentrum Lainz. Auch dies könnte vielleicht so manchem schon ein Dorn (... ier?) im Auge sein.

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