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Ungarn benötigt zur Zeit auch eine moralische Spritze

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furche: Zwischen Österreich und Ungarn gibt's Reibereien in Wirtschaftsfragen

botschafter DENES HüNKÄR: Meinungsverschiedenheiten gibt es in jeder Familie. Ich gebe schon zu, daß manche Ungarn befürchten, daß im Rahmen der Privatisierung, soweit sie auch Ausländer betrifft, ein untragbarer Zustand wegen ausländischer Beteiligungen in Ungarn entstehen könnte. Zur Beruhigung, nicht für mich, ich bin nicht beunruhigt: aber die ausländische Beteiligung an der österreichischen Wirtschaft beträgt meinen Informationen nach etwa 30 Prozent, wir in Ungarn liegen noch unter zehn Prozent. Und wenn Österreich dabei keine Gefährdung der eigenen staatlichen Selbständigkeit spürt, können wir noch zehn oder 15 Prozent zulegen. Man muß diese Befürchtungen in Ungarn verstehen. Jahrzehnte hindurch wurde im Comecon alles zentral verordnet. Die Gegenreaktion darauf ist nun die Forderung nach absoluter Eigenständigkeit; für Fachleute keine akzeptable Lösung.

Furche: Wo fühlen sich die Ungarn von den Österreichern besonders bedrängt?

HUNKÄR: Es gibt gewisse Sparten wie beispielsweise die Bauindustrie, wo die Österreicher aufgrund schon früheren Engagements einen absoluten Vorsprung anderen Ländern gegenüber haben. Dadurch hat die Konkurrenz überhaupt keine Chancen mehr. Und das möchten weder die Bevölkerung noch die für diese Angelegenheiten zuständigen Ministerien. Das ist doch nicht im Sinne der freien Marktwirtschaft. Das heißt, eine Monopolstellung, ein Quasi-Monopol liegt nicht im Sinne des marktwirtschaftlichen Denkens.

FURCHE- Haben Sie Gegenforderungen an Österreich? HUNKÄR: Bis Ende dieses Monats

werden wir ein Netz von Honorarkonsuln in ganz Österreich, in jedem Bundesland haben. Es wird ihre Aufgabe sein, die wirtschaflichen Beziehungen der Bundesländer zu Ungarn zu vertiefen. Ungarn braucht etwas, womit Österreich sehr gute Erfahrungen hat: Klein- und Mittelbetriebe. Und durch Joint ventures - von denen Österreich die bei weitem meisten mit Ungarn geschlossen hat - möchten wir diese Betriebsgrößen in möglichst großer Zahl auch in Ungarn sehen. Außerdem haben wir mehr Kapital nötig, worunter nicht nur finanzielles Kapital, sondern auch Know how zu verstehen ist. Und ganz besonders brauchen die Ungarn unternehmerischen Mut. Unsere Honorarkonsuln sollen unseren Leuten Mut machen, ihnen sagen: Versuch's doch mal, du hast es ja noch nicht einmal versucht! Die Lebenserfahrungen der heutigen Ungarn sind dermaßen negativ, daß sehr viele demotiviert sind. Wir

Spritze zur Wirtschaftsbelebung.

furche: Ungarn verlangt eine stärke-re Öffnung Österreichs für ungarische Agrarprodukte.

HunkAr: Österreich steht - wie auch Ungarn - vor Wahlen. Da werden Ihre Politiker kaum derartige Maßnahmen setzen. Die Konservativen werden die Bauern durch vermehrte Konkurrenz nicht vergrämen wollen, die Sozialdemokraten ihre Wählerschichten nicht, indem sie eine Vielzahl von ungarischen Gastarbeitern oder Pendlern nach Österreich zulassen. Das bedeutet aber nicht, daß wir dasitzen und die Hände in den Schoß legen werden. Man muß eben auf einen günstigeren Zeitpunkt warten. ,

furche: Fürchten Sie, daß nach einem EG-Beitritt Österreichs für Osteuropa das Tor erst einmal zu ist? hunkär: Durch die Assoziationsverträge mit der EG sind zur Zeit unsere Konditionen besser als die Österreichs. Durch Ihre Bundesregierung werden wir - das ist eine sehr nette Geste - über den Fortschritt der EG-Verhandlungen informiert, sodaß wir aus dem Integrationsprozeß Österreichs lernen können. Interessanterweise sind die Hauptprobleme Österreichs mit der EG auch die harten Nüsse in den Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn: die Landwirtschaft, der Transit und die freie Bewegung der Arbeitnehmer.

Mit Botschafter Denes Hunkär

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