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Ungarn heute

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Ungarn nimmt unter den von Moskau geführten osteuropäischen' Staaten eine Sonderstellung ein. Sowohl im Bereich der sozialistischen Entwicklung als auch im Wirtschaftsleben hat das Land in den letzten Jahrzehnten bemerkenswerte Fortschritte gemacht.

In der Literatur und in der Kunst werden auch modische und solche weltanschauliche Strömungen geduldet, die nicht immer von der allmächtigen kommunistischen Ideologie geprägt sind. Der Forint ist die härteste Währung des Ostblocks. Konsumgüter, selbst der Luxusklasse, sind überall und ausreichend erhältlich.

Ist also Ungarn ein kommunistisches Wunderland, wie uns Istvän Futaky, in Köln lehrender ungarischer Professor und Herausgeber des hier besprochenen Buches weismachen will?

Sein Buch, eine thematisch geschickte Zusammenstellung von mehreren Beiträgen, gewährt dem Leser einen interessanten Querschnitt durch die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand des Innenlebens der Volksrepublik Ungarn. Die Autoren der einzelnen Aufsätze sind über die Grenzen hinaus bekannte ungarische National-Ökpnomen, Politologen und Literaten.

Da behandelt etwa Rezsö Ny-ers, der „Vater der Wirtschaftsreform in Ungarn" die Planwirtschaft und die Reformen. Ferenc Donath, ein Agronom und 1956 enger Mitarbeiter des unvergeßlichen Imre Nagy, schildert Erfolge der Landwirtschaft, von der sogar die Sowjets gern lernen möchten. Andräs Hegedüs sen. behandelt in seinem Aufsatz das heikle Thema, ob in einem kommunistischen Land eine konstruktive Opposition möglich wäre.

Last but not least enthält der Band das brillante politische Essay des nonkonformistischen Literaten György Konräd über die Zukunftsaussichten des spezifischen „ungarischen Weges" mit dem trefflichen Titel: „Wir schauspielern alle in ein und demselben Stück".

Damit sind nicht alle elf Beiträge aufgezählt. Und wir sind auch nicht mit allen darin gemachten Aussagen einverstanden. Auch dann nicht, wenn wir uns hier im Westen bewußt sind, daß bei den Schilderungen der Problematik des sogenannten ungarischen Weges der wichtigste hemmende Faktor von den Autoren ignoriert werden mußte: die ständige Gegenwart „des großen Bruders", der Sowjetunion.

Moskau hat zwar (in seinem eigenen Interesse) Ungarn nsfch 1956 mehr Freiheiten eingeräumt als seinen anderen osteuropäischen (Zwangs-)Verbündeten. Dennoch beherrscht die Sowjetunion letztlich die ungarische Entwicklung und richtet ihre Aufmerksamkeit darauf, daß die „drei heiligen Säulen des Sowjetsystems" (außenpolitische kritiklose Verbundenheit, sowjetische Militärpolitik, KP-Alleinherrschaft) ja nicht angetastet werden.

Und bis Ungarn bereit ist, dies vorbehaltlos zu akzeptieren, kann Jänos Kädär seinen eigenen „ungarischen Weg" gestalten: einen Weg, und dies soll hier besonders hervorgehoben werden, der nach dem Volksaufstand von 1956 und dessen Folgen für die breite Masse der Bevölkerung im Rahmen der gegebenen Blockgebundenheit Wohlstand und vor allem ein Leben ohne tägliche Furcht gebracht hat.

In diesem Sinn muß der Titel des Buches, ob Ungarn ein kommunistisches Wunderland sei, verstanden werden.

UNGARN - EIN KOMMUNISTISCHES WUNDERLAND? Hrsg. von Istvan Futaky. Spiegel-Buch im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1983. 187 Seiten, TB., öS 109,20.

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