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Ungebärdige Gelehrte

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Schon Albert Einstein hatte -schockiert vom Atombombenabwurf auf Hiroshima — den Eindruck, daß „wir Wissenschaftler die tragische Bestimmung haben, die schaurige Wirksamkeit der Vernichtungsmethoden noch zu steigern“. Der Schöpfer der Relativitätstheorie beteiligte sich an vielen Friedensmanifesten, trat vehement für die Wehrdienstverweigerung ein—und er war Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin, aus dem 1948 das Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik hervorging.

Seit Einstein gibt es an diesem Institut (und weltweit) eine Reihe von Wissenschaftlern, die sich nicht darauf beschränken, „flache Lesezeichen in den Bänden der Fachliteratur“ (Robert Musil) zu sein, sondern Stellung beziehen, wenn es um Verwendung und politische Umsetzung von Forschungsergebnissen geht.

Auch der derzeitige Direktor des Werner-Heisenberg-Instituts am Max-Planck-Institut in München, der Physiker Hans Peter Dürr, hält das vielzitierte Wort „Wissen ist Macht“ für ein verhängnisvolles Schlagwort, das er abgeändert sehen will in „Wissen macht für die Mitwelt verantwortlich“.

Der Physiker, der als Schüler Werner Heisenbergs und Edward Tellers bis vor zwölf Jahren ein Befürworter der Kernenergie war, erhält am 9. Dezember den .Alternativen Nobelpreis“ der Right Livelihood Foundation für „seinen aktiven Einsatz in der Friedensbewegung und seine profunde Kritik an der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) sowie seine Forschung über den friedlichen Einsatz von High-Technology“. Einer der früheren Preisträger ist der Österreicher Leopold Kohr.

Dieser Preis wurde 1980 von Jakob von Uexküll gegründet und wird jährlich „an Menschen, die ihre Kenntnisse zum Heilen und nicht zum Aufspalten der Welt einsetzen, die ihr Wissen im täglichen Leben verantwortungsvoll in praktische Arbeit umsetzen“, vergeben.

Hans Peter Dürr wurde 1929 geboren. Er studierte in seiner Heimatstadt Stuttgart und schloß sein Studium in Berkeley mit einer Doktorarbeit über theoretische Kernphysik ab. Auf Empfehlung seines Lehrers Edward Teller wurde er schließlich engster Mitarbeiter Werner Heisenbergs bei der Entwicklung der nichtlinearen Spinortheorie, dem ersten umfassenden Versuch einer einheitlichen Quantenfeldtheorie der Materie.

1971 wurde Hans Peter Dürr Mitglied des Direktoriums des Max-Planck-Institutes und beschäftigte sich neben der Elementarteilchentheorie immer mehr mit allgemeinen Problemen der Energiepolitik.

Heute ist er Mitglied im Pug-wash-Council, das, entsprechend einem Aufruf von Einstein und Bertrand Russell, gegen den Atomkrieg agiert. Er ist Vorstandsmitglied von Greenpeace-Deutschland, Mitunterzeichner des „Göttinger Manifests“ von 18 Atomforschern gegen die Beteiligung am Bau von Atomwaffen und Initiator von interdisziplinären Vorlesungsreihen an vielen deutschen Universitäten, aber auch an der Innsbrucker Universität, zum Thema „Wissenschaft und Verantwortung“.

Einstein klagte einmal: „Die Menschen schmeicheln mir, solange ich nicht unbequem bin. Versuche ich aber Zielen zu dienen, die ihnen unbequem sind, so gehen sie sofort zu Beschimpfungen und Verleumdungen über, um ihre Interessen zu verteidigen.“ Auch der Physiker Hans Peter Dürr ist heute der Kritik jener Wissenschaftskollegen ausgesetzt, die „politisches Engagement mit parteipolitischem verwechseln und glauben, sich auf saubere, exakt aufgebaute Modelle der Wirklichkeit beschränken zu können“.

Seine Uberzeugung, daß die weltraumgestützten Waffensysteme verwundbar seien, die Wiederaufbereitungsanlage Wak-kersdorf den weiteren Ausbau der Kernenergie bedrohlich begünstige und die Menschheit bereits neue Formen der Energiegewinnung entwickle und auf Kernenergie überhaupt verzichten könne, hat ihn populär gemacht, aber auch in die „Schlammschlacht der Politik“ (Dürr) hineingezogen.

Das hält er auch für notwendig, „denn der Irrtum, sich da heraushalten zu können, hat schon die Katastrophen des Nationalsozialismus begünstigt“. Nach vielen Jahren in Amerika hat er von dort zwei entscheidende Eindrücke mitgebracht, die sein heutiges Engagement bestimmen: die SelbstVerständlichkeit, mit der sich amerikanische Wissenschaftler politisch engagieren, und die rasche Umsetzung der „SDI-Uto-pie“ durch die Zerlegung in Hunderte kleine wissenschaftliche Teilprobleme, in ein realisierbares Konzept.

„Die Lösung liegt im Konkreten, in kleinen, handhabbaren Schritten!“ sagt Dürr heute. Da er das amerikanische SDI-Programm — als Insider - für viele Wissenschaftler als Schlaraffenland mit enormen finanziellen und technischen Möglichkeiten kritisiert, hat er eine Weltfriedensinitiative ins Leben gerufen.

Dieses „Global Challenges Network“ schließt weltweit Wissenschaftler aller Disziplinen in Studiengruppen zusammen und will vom Forschen und Nachdenken zum Handeln übergehen.

Hauptaufgabe sollte dabei die Miteinbeziehung und Vernetzung bestehender Projekte und Arbeitsgruppen sein, die an der Lösung von Problemen wie etwa der Armut in der Dritten Welt, der Umweltverschmutzung und den wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten ebenso arbeiten wie für die Reduzierung der Waffenarsenale.

Dürr nützt seine fachlichen Kontakte nach Ost und West. In der UdSSR sieht er - im Gegensatz zu früheren Widerständen — heute offene Türen für friedensbewegte Physiker, wie etwa bei seinem Kollegen Jewgeni Weli-kow (Plasmaphysiker und Präsident der sowjetischen Akademie der Wissenschaften). Er formuliert seine Idealvorstellung so: .Jeder Wissenschaftler sollte zehn Prozent seiner Zeit aufwenden, um über die Folgen der eigenen Forschung und über die allgemeinen politischen Fragen konsequent nachzudenken!“

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