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„Ungehorsam“

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„Ledernacken des Papstes im Aufstand“, „Papst befiehlt den Jesuiten Schweigen“, „Jesuiten vom Papst das Reden verboten“, „Die Kompaßnadel zeigt wieder auf den Papst“. Dies, sind nur einige der Titel, mit denen Zeitungen und Illustrierte die 32. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu begleiteten.

Dieses hatte viele Themen zu behandeln, die Armut des Ordens, seine Einheit und Gemeinschaft, seine Führung, die Ausbildung der jungen Jesuiten, das geistliche Leben Im Orden, die heutigen Aufgaben und Schwerpunkte seiner Arbeit, um nur einige der Themen zu nennen. Sie alle sind gewiß wichtiger und entscheidender für die Zukunft des Ordens als jenes, an das sich die Schlagzeilen, die Hoffnungen der einen, däe Befürchtungen der anderen knüpfen, was Aufsehen erregte, kurze Zeit Tagesgepsärch war, heute aber schon fast wieder vergessen ist. Wenn wir trotzdem darauf zurück-

kommen, dann deswegen, weil vielleicht gerade an diesem Punkt das sichtbar wird, was die Gesellschaft Jesu nach Absicht ihres Stifters auszeichnen soll.

In seinem zwischen der Verurteilung und Hinrichtung am 2. Februar 1945 geschriebenen Rechenschaftsbericht sagt Alfred Delp: „Das sind die Werte, für die ich hier stehe am äußersten Rand und auf den warten muß, der mich hinunterstößt. Deutschland über das Heute hinaus als immer neu sich gestaltende Wirklichkeit — Christentum und Kirche als die geheime Sehnsucht und die stärkende und heilende Kraft dieses Landes und Volkes — der Orden als die Heimat geprägter Männer, die man haßt, weil man sie nicht versteht und kennt in ihrer freien Gebundenheit oder weil man sie fürchtet als Vorwurf und Frage und in der eigenen anmaßenden pathetischen Freiheit.“

Wer Dedp kannte und wußte, wie er an manchen Dingen im Orden litt, der weiß dieses Wort von den „Männern in ihrer freien Gebundenheit“ zu schätzen. Man kann zwar oft das Wort vom „Gehorsam“, vom „Kadavergehorsam“ der Jesuiten hören, nie aber, daß sie „Männer einer freien Gebundenheit“ sind, daß ihr Gehorsam der des fretien Mannes ist, der keineswegs auf sein Denken verzichtet bat. Mit solchen Männern hat Ignatius von Loyola gerechnet.

Er sah und anerkannte auch diel Tatsache, daß es zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen Meinungsverschiedenheiten geben könne. An nicht weniger als sieben

stellen, und zwar an den wichtigsten, wie etwa dort, wo es um die apostolische Arbeit des Jesuiten gebt, heißt es: „Dem widerstreitet es nicht, die Regungen oder Gedanken, die einem in Gegensatz dazu (zum Obern) kommen, vorzutragen, wenn man dabei sein ganzes Meinen und Wollen dem seines Obern an Stelle Christi unseres Herrn unterwirft.“

Ich kann also meine Meinung und Ansicht dem Obern vortragen, ihm die Gründe dafür mündlich oder noch besser schriftlich auseinanderlegen, muß aber bereit sein, schließlich das zu tun, was der Obere für richtig hält. Nie hätte ein Mann wie Delp

im Angesicht des Todes ein Wort von den „Männern in ihrer freien Gebundenheit“ geschrieben, wenn er es nicht für wahr gehalten hätte, weil er es selbst in seinem Leben als Jesuit erfahren hatte.

Die 32. Generalkongregation war insofern eine außerordentliche, als eine solche Generalversammlung des Ordens normalerweise nur jeweils zur Wahl eines neuen Generalobern einberufen wird. Solche außerordentliche Generalkongregationen werden einberufen, wenn es wichtige, den ganzen Orden betreffende Entscheidungen zu fällen gibt, weil die Generalkongregation allein, nicht der Generalobere, Gesetze erlassen kann. Von den sieben seit seiner Gründung abgehaltenen außerordentlichen Generalkongregationen wurden allein vier in diesem Jahrhundert abgehalten, beginnend mit 1923, als es galt, das Recht des Ordens dem neuen Kirchenrecht anzupassen.

Die 32. Generalkongregation ist nicht wegen ihrer Dekrete ins Gespräch oder in Verruf gekommen, da diese, soweit sie überhaupt schon veröffentlicht sind, wohl kaum das Interesse der Massenmedien erregen dürften. Es war sozusagen ihr „Aufstand gegen den Papst“, den sie angeblich versucht hat, der die Sensation erregte.

Was war geschehen? Das Konzil hatte in seinem Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens (Nr. 15) gefordert, daß die Unterschiede unter den Ordensmitgliedern abgebaut werden sollten, soweit sie nicht durch die Verschie-

denheit der Arbeiten gefordert seien. Es gibt in der Gesellschaft Jesu die verschiedensten Unterschiede von Mitgliedern, nicht weniger als fünf, wenn wir von den Novizen absehen, die noch nicht im eigentlichen Sinn zum Orden gehören. Da sind die Laienbrüder, die Studierenden (Scholastiker), die sogenannten geistlichen Koadjutores, Priester mit einfachen Gelübden, Priester mit drei feierlichen Gelübden und schließlich die Professen, die neben den drei feierlichen Gelübden der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams noch ein viertes Gelübde ablegen, das zu einem „besonderen Gehorsam gegenüber dem Papst in bezug auf Aussendungen“ verpflichtet.

Es handelt sich nicht darum, dieses Gelübde abzuschaffen, von dem immer nur einzelne Jesuiten betroffen waren, sondern den Unterschied der Grade überhaupt aufzuheben,

weil alle Jesuiten nach den Satzungen des Ordens zum gleichen Gehorsam dem Papst gegenüber verpflichtet sind, und weil in der Arbeit der heutigen Jesuiten dieser Unterschied nichts bedeutet, soweit die eigentlich priesterlichen Arbeiten davon betroffen sind.

Für diese Abschaffung der Grade waren von der Mehrheit der Provinzen Wünsche geäußert worden. Pater Arrupe hatte darüber den Papst schon im November informiert. Die Ansprache des Papstes zu Beginn der Kongregation am 3. Dezember 1974 hatte freilich schon ein Warnzeichen gesetzt, da der Papst auf dieses besondere Gelübde der Gesellschaft Jesu, das von ihrem Kern, besonders qualifizierten Priestern, abgelegt werde, hingewiesen hatte. Außerdem betonte er nachdrücklich, daß sie in erster Linie ein Orden von Priestern sei.

Es mag sein, daß nicht alle Mitglieder der Generalkongregation die Entschiedenheit dieser Formulierungen durchschauten. Aber war ihnen damit verboten, „ihre von der Ansicht des Obern abweichende Ansicht“ durchzudiskutieren, das Für und Wider abzuwägen? In einer Anmerkung zum Papstgehorsam weist Ignatius in den Konstitutionen ausdrücklich darauf hin, daß der Generalobere den Papst bessser informieren dürfe, wenn er der Ansicht ist, „der höchste Stellvertreter Christi“ würde anders entscheiden, wenn er gut informiert wäre.

Es war also keineswegs ein Ungehorsam, schon gar nicht ein „Aufstand“, wenn die Generalkongrega-

tion trotz des päpstlichen Hinweises das Problem diskutierte, sich zu einer Ansicht unter mehreren verschiedenen durchrang und den Papst sofort von dieser ihrer Ansicht informierte.

Der Papst lehnte den Wunsch der Generalkongregation — es war keine Entscheidung — ab, und hier erst setzt die Frage des Gehorsams ein. „Die Generalkongregation gehorchte ohne weitere Diskussion“, schreibt Pater Gerhartz, Provinzial der Niederdeutschen Provinz und Sekretär der Generalkongregation. Dies anerkannte auch der Papst in einem Brief an die Gesellschaft Jesu, den er dem Pater General und den Generalassistenten am 7. März 1975 übergab: „Wir haben in dieser Zeit eine wahrhaft nicht geringe Genugtuung darüber empfunden, daß die Mitglieder der Generalkongregation gezeigt haben, daß sie das Gewicht und die Bedeutung Unserer Hinweise in gutem Geist verstanden und in gehorsamer Haltung angenommen haben. So möchten Wir jetzt die Worte des Apostels Paulus wiederholen: ,Das habe ich euch geschrieben ... im Vertrauen zu euch allen, daß meine Freude euer aller Freude ist. Denn aus vieler Trübsal und Beklemmung des Herzens habe ich euch geschrieben ...; nicht um euch Trauer zu bereiten, sondern damit ihr wißt, welche Liebe ach überreich zu euch habe' (2 Kor 3—4).“

Zu den Mitteln, die nach Ignatius die Einheit des Ordens fördern, zählt in erster Linie der Gehorsam, der die einzelnen mit ihren Obern, diese mit den Provinzialen und diese wiederum mit dem Generalobern verbindet, der selbstverständlich dem Papst gehorsam zu sein hat. Die Gesellschaft Jesu hat in einer Zeit, da dieser Gehorsam im Namen demokratischen Verhaltens in der Kirche in Frage gestellt ist, den Weg des bereiten und fraglosen Gehorsams gewählt.

Und hier wird das Geheimnis des Ordens sichtbar, das Pater Delp gemeint hat, wenn er von den „geprägten Männern“ gesprochen hat.Es geht auf die Erfahrungen des Ignatius in Manresa und auf die Vision von La Storta vor den Toren Roms zurück. Es wird bereits denen vorgelegt, die in die Gesellschaft Jesu eintreten wallen: „Sehr wichtig ist ferner, die examiniert werden, darauf hinzuweisen und ihnen ans Herz zu legen und in seiner ganzen Bedeutung vor Gott unserem Herrn vorzustellen, in wie hohem Maße es im geistlichen Leben hilfreich und förderlich ist, gänzlich und nicht nur teilweise alles zu verabscheuen, was die Welt

liebt und umarmt, und alles das zuzulassen und mit allen Kräften, mit denen man es vermag, das zu ersehnen, was Christus unser Herr geliebt und umarmt hat. Denn wie die weltlichen Menschen, die der Welt folgen, Ehre, guten Ruf und Ansehen eines großen Namens auf Erden mit solchem Eifer lieben und suchen, wie die Welt es sie lehrt, so lieben und verlangen die, die im Geist gehen und ernstlich Christus unserem Herrn nachfolgen, aus aller Kraft das genaue Gegenteil, nämlich sich aus der ihm geschuldeten Liebe und Ehrfurcht mit der gleichen Kleidung und Diensttracht au kleiden “wie ihr Herr, so daß sie sogar, wo es für seine göttliche Majestät keine Beleidigung ist, noch dem nächsten zurt Sünde angerechnet wird, danach verlangen, Schmähungen, falsche Zeugnisse und Beschimpfungen erdulden und für Toren gehalten und angesehen werden — ohne selbst Anlaß dazu zu geben —, weil sie danach verlangen, einigermaßen unserem Schöpfer und Herrn Jesus Christus ähnlich zu sein nnd ihn nachzuahmen, indem sie sich mit seiner Kleidung und Diensttracht kleiden. Denn er selbst hat sich damit zu unserem • größten geistlichen Nutzen gekleidet und uns ein Beispiel gegeben, damit wir mit Hilfe seiner göttlichen Gnade willens seien, ihn in allen Dingen, wo wir es vermögen, nachzuahmen und ihm zu folgen, da er ja der Weg ist, der die Menschen zum Leben führt.“

Jesus Christus also, der Gekreuzigte, ist die letzte und tiefste Einheit der Gesellschaft Jesu, weil über allen menschlichen Schwächen, die es selbstverständlich auch im Orden gibt, doch dies die letzte Prägung des Jesuiten ausmacht: die Nachfolge des kreuztragenden Herrn. Die 32. Generalkongregation weist in ihrem Dokument über die Einheit des Ordens gerade auf diesen Punkt. mit Nachdruck hin.

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