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Arbeitslosigkeit: Ungelernt heißt „stempeln“ gehen

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Die Konjunktur hat sich erholt, aber das Heer der Arbeitslosen wächst. Firmen finden nicht genug qualifizierte Fachleute, sollen aber „intelligente“ Produkte erzeugen. Was kann bis 1990 erwartet werden?

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Die Konjunktur hat sich erholt, aber das Heer der Arbeitslosen wächst. Firmen finden nicht genug qualifizierte Fachleute, sollen aber „intelligente“ Produkte erzeugen. Was kann bis 1990 erwartet werden?

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Das einzige Überraschende an den traurigen Rekordwerten des Arbeitsmarktes Ende Jänner war, daß sie mindestens für einige doch unerwartet kamen. Spätestens seit dem Sommer, als die Arbeitsmarktprognose für die nächsten 18 Monate vorgelegt wurde, mußte damit gerechnet werden. Es gilt nun als nahezu sicher, daß die gegenwärtige Hochkonjunktur in keiner Phase ausreichend kräftig ist, den Anstieg der Arbeitslosigkeit auch nur zu stoppen, geschweige denn Arbeitslosigkeit abzubauen. Und ebenso sicher müssen wir in den kommenden fünf Jahren auch wieder mit einer Rezession rechnen. Das aber bedeutet, daß die schon vor einigen Jahren präsentierte Vorausschätzung für das Ende des Jahrzehnts, eine Arbeitslosenquote zwischen sechs und sieben Prozent, immer wahrscheinlicher wird.

Das wirklich Beunruhigende an dieser Entwicklung sind aber nicht die Saisonarbeitslosen, in deren Lebensrhythmus die winterliche Arbeitspause oft seit Jahrzehnten einen festen Platz hat. (Im übrigen war die Arbeitslosigkeit unter Bauarbeitern heuer sogar etwas niedriger als im Vorjahr.) Beunruhigen sollten die 100.000 Arbeitslosen im Hochsommer, unter welchen die Gruppe derer, die schon mehr als ein halbes Jahr arbeitslos waren, und die Gruppe der 19- bis 25jährigen einen immer größeren Teil bildet. Menschen, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit die Integration in unsere Gesellschaft zumindest sehr schwer gemacht wird.

Aus diesem Grund sind auch Vergleiche mit der Nachkriegszeit nicht ganz sinnvoll. Damals waren nicht nur Bauarbeiter, sondern auch eine große Zahl von Landarbeitern zu einer winterlichen Arbeitsunterbrechung gezwungen. Es gab schwere kurzfristige Störungen am Arbeitsmarkt, aber tendenziell waren Arbeitskräfte seit der unmittelbaren Nachkriegszeit eher ein knapper Faktor.

Wie ist es zu dieser bedrückenden Entwicklung des Arbeitsmarktes gekommen?

Das Anwachsen des Anteils der aktiven Jahrgänge an der Gesamtbevölkerung (infolge des Baby-Booms der frühen sechziger Jahre und der kriegsbedingt geringen Besetzung der Jahrgänge an der Grenze zum Ruhestand) braucht wohl nur in Erinnerung gerufen zu werden. Aber es bedarf vielleicht noch des Hinweises, daß durch die Bemühungen, den Arbeitsmarkt durch Frühpensionierungen zu entlasten, das Problem des wachsenden Angebotes bloß in die Zukunft verlängert und damit sichergestellt wurde, daß wir bis zum Ende des Jahrzehnts mit einem weiteren Anstieg der Zahl jener rechnen müssen, die einen Arbeitsplatz suchen.

Vor etwa zwei Jahren konnte man sich noch der Hoffnung hingeben, das Anwachsen des Arbeitskräfteangebotes würde hinter den Befürchtungen der Prognosen zurückbleiben. Nicht alle Formen von Arbeitslosigkeit waren statistisch faßbar. Seit sich die Konjunktur jedoch erholt hat, wächst das Angebot um einiges rascher. Jugendliche, Frauen und Ausländer kommen zum Arbeitsmarkt „zurück“, ja es ist nicht einmal auszuschließen (der Nachweis bedarf noch eingehender Studien), daß die Reallohnverluste einzelner Gruppen die Erwerbsbeteiligung zusätzlich erhöhen.

Wieso aber reicht die Konjunkturerholung nicht aus, das Angebot zu absorbieren, wieso wächst die Beschäftigung nicht stärker? Sind es die neuen Technologien, ist es die Rationalisierung, die Arbeitsplätze wegfrißt?

Es gibt tatsächlich ein Segment der Wirtschaft, in dem die Arbeitsplätze rasch zusammenschmelzen. Vereinfacht gesagt werden dort in mehr oder weniger allgemein bekannten Verfahren standardisierte Weltmarktprodukte erzeugt. Diese müssen sich gegen weltweite Konkurrenz durchsetzen, wer da nicht jede Chance weiterer Rationalisierung wahrnimmt, fliegt aus dem Markt.

Auf der anderen Seite gibt es Segmente, in welchen nicht der Preis, sondern Qualität, Kundenbetreuung, die Fähigkeit, auf Sonderwünsche einzugehen, ein noch so kleiner Entwicklungsvorsprung oder die überlegene Bearbeitung des Marktes über den Erfolg entscheiden. Dies alles sind personalintensive — allerdings auch qualifikationsintensive Tätigkeiten.

Neue Technologien bieten auch neue Möglichkeiten, aber ihre Ausschöpfung kommt nicht rasch genug voran. Dafür ist eine Fülle von Gründen verantwortlich. In den Sozialwissenschaften ist es fast immer falsch, in einem einzigen Wirkungszusammenhang die Ursache eines Problems zu sehen. Der verfügbare Raum gestattet aber nur, auf die den Arbeitsmarkt unmittelbar tangierenden einzugehen.

Berufsbilder, die Fülle der notwendigen Kenntnisse für eine bestimmte Tätigkeit ändern sich heute äußerst rasch. Es sind keineswegs nur die Arbeitnehmer, die sich nicht rasch genug umstellen, nicht flexibel genug sind, obgleich vor allem die Jugendlichen darunter leiden, daß die Berufsvorbereitung in den Schulen not-, wendigerweise etwas schwerfällig reagieren muß. Schließlich hat man zunächst die Lehrer für neue Inhalte auszubilden.

Es sind auch die Arbeitgeber, die erwarten, ganz bestimmte Fertigkeiten am Arbeitsmarkt zu finden, statt solche selbst auszubilden, die zur verzögerten Anpassung am Arbeitsmarkt beitragen. Das Paradox von gleichzeitigem Arbeitskräftemangel und -Überschuß ist relativ leicht zu lösen.

Solche Arbeitskräfte, wie man sie gerade in einer Phase raschen Strukturwandels zusätzlich braucht, sind immer selten, ja fast nie zu finden, ihre Ausbildung beginnt eigentlich erst im Betrieb. Unternehmer aber wollen gerade in Phasen höherer Unsicherheit nicht auch noch in „human capi-tal“ investieren müssen. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, daß man bestrebt ist, Arbeitskosten variabel zu halten: Leiharbeit, Werksverträge, mehr Spezialisierung und Zukauf.

Das Gegenteil wäre notwendig. „Intelligente Produkte“ sind ja bekanntlich bloß Produkte, die mit Intelligenz erzeugt werden. Und wenn man nicht bereit ist, ziemlich massiv in solche Intelligenz zu investieren, dann bleiben nur noch angebotsverkürzende Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung. Wie es aussieht, werden wir eine Arbeitszeitverkürzung bekommen, aber so verwässert, daß sie nichts bringen wird.

Der Autor ist Arbeitsmarktexperte im österreichischen Institut für Wirtscnaftsfor-schung (WIFO) in Wien.

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